SoZ - Sozialistische Zeitung

Zur SoZ-Homepage SoZ - Sozialistische Zeitung, September 2006, Seite 06

Frauen- und Sozialverbände protestieren

Gegen die Änderung der §§218 und 219

Auf Initiative des Pro-familia-Bundesverbands haben am 21.Juni 2006 neun weitere Frauen- und Sozialverbände (u.a. Arbeitsgemeinschaft Sozialdemokratischer Frauen, AWO-Bundesverband e.V., Bundesarbeitsgemeinschaft der Erwerbslosen- und Sozialhilfeinitiativen, DGB-Bundesfrauenausschuss, Humanistische Union, Verband Alleinerziehender Mütter und Väter) eine Erklärung gegen die Änderung der §§218 und 219 abgegeben.
CDU/CSU und konservative Familien- und Frauenverbände fordern immer wieder, für Frauen vor einem Schwangerschaftsabbruch nach medizinischer Indikation eine Pflichtberatung festzuschreiben.
Medizinische Indikation zum Schwangerschaftsabbruch bedeutet gemäß §218a StGB, dass der "Abbruch der Schwangerschaft unter Berücksichtigung der gegenwärtigen und zukünftigen Lebensverhältnisse der Schwangeren nach ärztlicher Erkenntnis angezeigt ist, um eine Gefahr für das Leben oder die Gefahr einer schwerwiegenden Beeinträchtigung des körperlichen oder seelischen Gesundheitszustandes der Schwangeren abzuwenden, und die Gefahr nicht auf eine andere für sie zumutbare Weise abgewendet werden kann".
Zwei Ärzte oder Ärztinnen haben zu entscheiden, ob nach §218a eine medizinische Indikation vorliegt, darunter diejenige Person, die den Schwangerschaftsabbruch vornehmen soll. Das Vorliegen eines "auffälligen Befundes" (Behinderung) des Fötus ist laut geltendem Gesetz (1995) keine ausreichende Begründung für eine medizinische Indikation.
Im Oktober 2004 hat die Fraktion CDU/CSU- Fraktion einen entsprechenden Antrag zur Änderung der §§218 und 219 in den Bundestag eingebracht, nachdem ein früherer Versuch gescheitert war. Danach sollte nicht nur die Zwangsberatung neu festgeschrieben werden, sondern der Antrag sah zusätzlich vor, dass die Frau sich vor "einem interdisziplinär besetzten Kollegium" zu rechtfertigen hätte.
Der Antrag war damals abgelehnt worden. Schon damals war befürchtet worden, dass die Unionsparteien durch diesen Nachbesserungsbedarf den §218 mit der gültigen Fristenregelung wieder aufrollen wollen. Die damalige Parlamentarische Geschäftsführerin und frauenpolitische Sprecherin der Grünen, Irmingard Schewe-Gerigk, warf der Union während der hochemotionalen Debatte vor, nur an einer Verschärfung des §218 interessiert zu sein. Gleichzeitig demonstrierten (damals) "Lebensschützer" für einen verbesserten Schutz des Lebens (aller) ungeborenen Kinder, veröffentlichten eine "Berliner Erklärung" und der Bundesverband Lebensrecht stellte 1000 Kreuze für die abgetriebenen Kinder auf.
Die zusätzliche Beratungspflicht ist im November 2004 an der SPD/Grünen-Koalition gescheitert. SPD und Grüne fanden, die geltenden Regelungen seien "eindeutig und nicht ergänzungsbedürftig". Sie plädierten für mehr Beratungsangebote, wanden sich jedoch strikt gegen eine Verpflichtung. Im Rahmen der Koalitionsvereinbarung zwischen SPD und CDU/CSU haben sich die Parteien nun wiederum ausdrücklich dazu verpflichtet, das Thema der Spätabtreibungen einer erneuten Prüfung zu unterziehen.
Die "Aktion Lebensrecht für alle" richtete in einer Presseerklärung am 5.7.2006 in diesem Zusammenhang einen Appell an die große Koalition, endlich "einen Riegel vorzuschieben". Die SPD-Fraktion forderte sie auf, der Änderung des §218 nicht länger im Wege zu stehen und machte darauf aufmerksam, dass es unverantwortlich sei, den "Schutz des Lebens ungeborener Kinder als Faustpfand einzusetzen, um etwa einen grundsätzlichen Schutz von homosexuellen Lebensweisen durchzusetzen".
Die zehn Verbände machen in ihrem Statement zurecht darauf aufmerksam, dass die derzeitige Diskussion um die sog. Spätabtreibungen auf eine Verschärfung der Abtreibungsregelung zielt. Insbesondere sprechen sie sich gegen eine zusätzliche verpflichtende Beratung vor einem Schwangerschaftsabbruch nach medizinischer Indikation aus.
Sie schreiben: "Jede gesetzlich vorgeschriebene Beratung widerspricht den fachlichen Grundsätzen von psychosozialer Beratung, denen Fachverbände der institutionellen Beratung verpflichtet sind."
Die Verbände weisen darauf hin, dass der kostenfreie Anspruch auf freiwillige Beratung, den eine Frau hat, gesetzlich festgeschrieben (§2 (1) SFHÄndG) und die Infrastruktur von Beratungsstellen in allen Bundesländern gegeben ist. Die freiwillige Benutzung der Beratung sollte bereits vor der Inanspruchnahme der vorgeburtlichen Diagnostik gefördert werden, weil Schwangere dann nicht unter Zeitdruck stünden, Nutzen und Risiken der Verfahren abgewogen werden und mögliche Konsequenzen überdacht werden könnten.
An die behandelnden Ärzte richteten sie den Appell, im Rahmen ihrer Aufklärungspflicht auf freiwillige Beratungsangebote vor Pränataldiagnostik hinzuweisen und einen interdisziplinären Erfahrungsaustausch zwischen Ärzten und Beratungseinrichtungen zu initiieren. Ausdrücklich sprechen sich die Verbände gegen jede Verschärfung der §§218 und 219 aus.

Gisela Notz

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