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Der Kölner gelernte Philosoph und Publizist Werner Rügemer legt mit
seinem Buch eine Bilanz der Privatisierungen in Deutschland vor und kommt zu einem ernüchternden, aber
für die Linke sicherlich nicht überraschenden Ergebnis: Privatisierte öffentliche
Dienstleistungen werden für die Bürger nicht billiger, sondern teurer; die Arbeitsbedingungen der
Beschäftigten werden schlechter bis miserabel.
Jenseits aller Propaganda, dass sich die
Qualität der privatisierten Dienstleistungen verbessere, ist das Gegenteil der Fall. Ein Filz von
politischen und privatwirtschaftlichen Eliten aus Politik, Wirtschaft, Beratungsfirmen und Anwaltskanzleien
bereichert sich, zum Teil recht schamlos, und wird dafür noch in nicht wenigen Fällen durch den
Wiedereinstieg in hohe und höchste politische Ämter belohnt. Und so legt Rügemer an
vielen Beispielen dar die Verschuldung der öffentlichen Haushalte wird nicht etwa geringer,
sondern die Zahlungsverpflichtungen noch weiter in die Zukunft verschoben und per saldo
vergrößert. Am Ende zahlt die Zivilgesellschaft auf allen diesen Feldern die Zeche.
Die Liste der Beispiele, die Rügemer
bringt, ist eindrucksvoll und wird spannend geschildert, jedenfalls für diejenigen Leser, die sich
eine Art von bitterem Humor bewahrt haben: Müllverbrennungsanlagen, Abwasser- und Wasserversorgung,
die Deutsche Post AG, die Deutsche Bahn AG, Volkswagen AG, Bank Gesellschaft Berlin AG, Berliner
Wasserbetriebe, Gebäudemanagement und -leasing in Köln, Einzeldramen wie um die KölnArena,
das Rathaus Gelsenkirchen, Stadtwerke Leipzig, den "Pecunia non olet"-Skandal um den Verkauf von
Anteilen der Energieversorgung Hildesheim.
Eine der wesentlichen Katalysatoren
für die ganz offene Machtübernahme der entsprechenden politischen und wirtschaftlichen Netzwerke
sowie den Durchbruch für die neoliberale Hegemonie der Privatisierungsideologie, denn um eine solche
handelt es sich im Ergebnis, sieht Rügemer im Zusammenbruch des DDR-Staatskapitalismus und der
Ausplünderung der dortigen Ökonomie mit und durch die Treuhandanstalt, die zum 1.7.1990
Eigentümerin der DDR-Volkswirtschaft wurde. Zunächst wurde die Mitbestimmung, die nach geltendem
Recht hätte Platz greifen müssen, mit der Billigung durch den damaligen Bundeskanzler Kohl und
das Kabinett auf Vorschlag des später von der RAF ermordeten SPD-Mitglieds, Ex-Staatssekretärs
und Hoeschmanagers Karsten Rohwedder, ausgehebelt. Dann wurde eine operative Leitung der Anstalt mit einem
sog. Leitungsausschuss installiert, in dem Beraterfirmen wie McKinsey, Berger, KPMG und Price Waterhouse
Coopers die wirklichen Entscheidungen vorbereiteten und durchsetzten: Stilllegungen wie bei Jenoptik, den
Werften und der Mikroelektronik.
Wesentliche Strukturmerkmale dieser Etappe
des Kapitalismus sind hier zu besichtigen: Enteignung von öffentlichem Eigentum die DDR-
Betriebe waren zumindest juristisch Volkseigentum durch die Schaffung von demokratisch in keiner
Weise legitimierten Parallelstrukturen, die Entscheidungskompetenzen von Exekutive und Legislative
substituieren; die Herausnahme von weitgehenden ökonomischen und sozialen Entscheidungsprozessen aus
jeder öffentlichen Debatte; die bewusste Ausschaltung der Zivilgesellschaft aus den
Informationsflüssen. Dieser Prozess, so zeigt Rügemer in eindrucksvoller Breite auf, ist
paradigmatisch und findet seitdem beschleunigt auch im Westen der Republik statt.
Gewünscht hätte ich mir jedoch
eine tiefere theoretische Durchdringung und Verarbeitung des Stoffes. Zu oft bleibt Rügemer bei der
Beschreibung stehen: der Filz von Politik und Wirtschaft, die wachsende Rolle der Beraterfirmen
Rügemer liefert dafür jede Menge anschaulicher Beispiele. Aber ist das nicht auch theoretisch auf
den Punkt zu bringen? Mir scheint das Buch die These vom jetzigen Stadium des Kapitalismus als der einer
Akkumulation durch Enteignung sehr gut zu unterlegen. Aber als Leser bin ich zu oft moralisch empört,
zu oft als jemand angesprochen, der sich über die Dummheit oder Feigheit der politischen
Repräsentanten ärgert, wenn diese nicht gerade selbst Nutznießer der Enteignung
öffentlichen Eigentums sind oder werden. Das reicht mir nicht aus.
Eine politisch-theoretische Reflexion ist
meines Erachtens wichtig, um die Gegenargumentation gegen die Enteignungsstrategien verfeinern zu
können. Was da verscherbelt und privatisiert wird, ist Eigentum des Volkes. Privatisierung höhlt
die Demokratie aus, weil sie den gewählten Vertretungskörperschaften Möglichkeiten zu einer
wirksamen Regelung der Bereitstellung und Verwendung öffentlicher Güter nimmt. Weshalb wird von
den meisten politischen Parteien die Selbstentmündigung vorangetrieben, warum werden empirieresistent
die Behauptungen der Privatisierer internalisiert, auch wenn keine unmittelbaren wirtschaftlichen Vorteile
gewonnen werden? Hier wäre ein Mehr im Buch ein Gewinn gewesen.
Rügemers Buch ist dafür an einer
anderen Stelle ertragreich: Ausschlaggebend ist für eine Bereitstellung qualitativ guter, bezahlbarer
und bürgerfreundlich organisierter öffentlicher Güter und Dienstleitungen nicht die
Rechtsform. Das Verhalten von Landesbanken, Sparkassen und Konzernen mit staatlicher Beteiligung bietet
dafür ausreichend Anschauungsmaterial. Es wäre deshalb eine böse Falle, in die die
demokratische Linke gehen könnte, wenn sie sich alleine auf die abstrakte Formel "Privat
schlecht, staatlich gut!" festlegen ließe.
Ich denke, dass der neoliberale Zeitgeist
auch deshalb hegemonial werden konnte, weil die Bürgerinnen und Bürger zu oft autoritären
und bürokratischen Zumutungen bei der Inanspruchnahme von öffentlichen Dienstleistungen
ausgesetzt wurden (und werden). Entscheidend ist auch hier, dass demokratische Prinzipien ein- und
durchgehalten werden: die Organisation von öffentlichen Gütern und Dienstleistungen im
kontinuierlichen Diskussionsprozess mit der Zivilgesellschaft.
Alles in allem möchte ich
Rügemers Buch all jenen empfehlen, die sich einen Überblick über die Entwicklung, Formen und
Ergebnisse der Privatisierungen der letzten 20 Jahre verschaffen wollen. Es ist ein Handbuch aus der Praxis
für die Praxis, das eine Anschaffung lohnt.
Wilfried Gaum
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