SoZ - Sozialistische Zeitung

Zur SoZ-Homepage SoZ - Sozialistische Zeitung, September 2006, Seite 10

Hizbollah

führend im Wiederaufbau

Seit Mitte August kehren Libanesen in ihre zertrümmerten Häuser zurück. Dabei scheint es, dass die Hauptnutznießerin der Zerstörung die Hizbollah sein wird.
Einer der Gründe dafür ist ihr Ruf, die einzige arabische Kraft gewesen zu sein, die den militärischen Angriff der Israelis gestoppt hat. Ein weiterer aber ist, dass sie den Wiederaufbau kontrolliert — mit Hilfe einer Flut von Geld aus dem ölreichen Iran.
Nehme Y. Tohme, Parlamentsabgeordneter des antisyrischen Reformblocks und Minister für Rückkehrer, berichtete von Hizbollah- Funktionären, die ihm nach der Einstellung der Kampfhandlungen gesagt hätten, Iran werde der Hizbollah "unbegrenzte Geldmittel" für den Wiederaufbau zur Verfügung stellen.
In seiner Ansprache am Abend der Waffenruhe, in der er den Sieg feierte, bot Hizbollah-Führer Scheich Hassan Nasrallah jedem Libanesen, der in diesem Krieg sein Heim verloren hat, Geld für "anständige und geeignete Möbel" und die Wohnungsmiete für ein Jahr an. "Heute ist der Tag, unsere Versprechen einzulösen. Alle unsere Brüder werden von morgen an in euren Diensten stehen." "Wir können nicht auf die Regierung und ihre schweren Räumfahrzeuge und Maschinen warten, denn das kann eine Weile dauern." "Der Wiederaufbau kann den Sieg vervollständigen." Er warnte auch: "Niemand sollte die Preise anheben, weil die Nachfrage jetzt steigt."
Am Dienstag begann Israel mit dem Rückzug seiner Reserveeinheiten aus dem südlichen Libanon, der Generalstabschef sprach davon, alle Soldaten könnten innerhalb von zehn Tagen abgezogen sein. Libanesische Soldaten sollen in wenigen Tagen einrücken, unterstützt von einer 15000 Mann starken internationalen Truppe. Während die Israelis ihren Rückzug vorbereiten, strömen Hunderte von Hizbollah-Mitgliedern in die Dörfer des südlichen Libanon aus und beginnen aufzuräumen, zu organisieren, den Schaden aufzunehmen. Männer auf Planierraupen schlagen Schneisen in gigantische Schuttberge. Straßen, die von Trümmern blockiert waren, werden innerhalb von wenigen Tagen frei geräumt. In Bint Jbail bergen Ambulanzen der Hizbollah — große neue Autos mit Blaulicht auf dem Dach — die Leichen. Junge Männer mit Walkie-Talkies und Schreibunterlagen nehmen im demolierten schiitischen Viertel am Südrand der Stadt das Ausmaß der Zerstörungen auf, Männer gehen von Tür zu Tür und fragen die Bewohner, was ihnen fehlt.
Der Ruf der Hizbollah als effizientes Netzwerk gemeindenaher Dienstleistungen bestätigt sich hier an allen Ecken. Er steht im Gegensatz zu dem der Regierung, in der viele hier nichts anderes sehen als glatte Männer in gut aussehenden Anzügen. "Die Stärke der Hizbollah", sagt Amal Saad-Ghorayeb, Professorin an der Libanesisch-Amerikanischen Universität, die viel über diese Organisation geschrieben hat, entspringt zum großen Teil dem "Vakuum, das der Staat hinterlassen hat". Die Hizbollah ist nicht ein Staat im Staat, sie ist derzeit eher "ein Staat in einem Nichtstaat".
Die Hizbollah ist zwar eine schiitische Organisation, aber von ihrer Organisation des Wiederaufbaus fühlen sich auch Sunniten angesprochen.
Nasrallahs Rede wird von einigen als Wendepunkt in der libanesischen Politik empfunden; er habe seine Gruppe dadurch mit der Regierung auf eine Stufe gestellt. "Das war ein Staatsstreich", sagt Jad al-Akjaoui vom Reformblock, und Rami G. Khouri, Kolumnist des Daily Star in Beirut, schreibt, Nasrallah gebe sich "eher den Anstrich eines nationalen Führers denn den eines Gruppenchefs in dem an politischen Parteien reichen Libanon". "In Ton und Inhalt glich seine Rede eher der, die ein Präsident oder Premierminister nach einem schrecklichen Monat von Leid und Zerstörung an die Nation halten sollte. Die Armee wird nicht in den Süden gehen, der Hizbollah ihre Waffen wegnehmen und die Arbeit tun, die die Israelis nicht getan haben." "Die Hizbollah stützt sich auf zwei Säulen", sagt Professor Saad-Ghorayeb, "den Widerstand und die sozialen Dienste. Dieser Krieg hat gezeigt, dass sie in beidem sehr gut ist."

John Kifner

Aus: New York Times vom 16.8.2006 (Übersetzung: Angela Klein)


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