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Noch am Abend seines Wahlsieges am 28.Mai, der seine zweite
Präsidentschaftsperiode einleitete, setzte der kolumbianische Präsident Álvaro Uribe Vélez
vorerst noch im Geheimen erste Schritte, um mit der FARC-Guerilla Friedensverhandlungen
aufzunehmen.
Vielleicht war es ein historischer Paukenschlag, als Uribe Vélez am Abend des 28.Mai, jenem Tag,
als er mit 62% der gültigen Stimmen seinen zweiten Wahlsieg einfuhr, sich mit seinem
Friedenskommissär Luis Carlos Restrepo und seinem Berater Fabio Valencia zurückzog und ihnen
seinen Plan unterbreitete, mit den Revolutionären Streitkräften Kolumbiens (FARC),
Friedensgespräche aufnehmen zu wollen. Die kommunistische Guerilla, älteste und stärkste
Aufstandsbewegung Lateinamerikas, von Uribe bisher nur als Terroristen beschimpft, die er in seiner ersten
Präsidentschaft militärisch zu besiegen versprach, soll nunmehr ohne Vorbedingungen an den
Verhandlungstisch gebracht werden.
Unmittelbar danach begannen Restrepo und
Valencia mit einer Reihe von vertraulichen Gesprächen mit Persönlichkeiten des politischen
Lebens, um ihre Vorstellungen über Verhandlungen und auch ihre mögliche Unterstützung dabei
zu sondieren. Eine dieser Personen ist Carlos Lozano, Herausgeber der kommunistischen Wochenzeitung Voz und
bekannt für seine guten Kontakte zur FARC, eine der am meisten von den Paramilitärs und
militärischen Geheimdiensten bedrohten Personen des politischen Lebens. Auch die Botschaften von
Frankreich, Spanien und der Schweiz werden in den Versuch, ein Gesprächsklima mit den FARC aufzubauen,
einbezogen.
In der ersten Amtszeit des
rechtsautoritären Präsidenten Álvaro Uribe Vélez, die im August 2002 begann, stand die
Verbesserung der Sicherheitslage im Land und die Demobilisierung der Paramilitärs im Mittelpunkt
seiner Politik. Er hatte die Wahlen mit dem Versprechen gewonnen, mit "starker Hand und großem
Herz" so sein Wahlslogan durch den militärischen Sieg über die Guerilla nach
einem 40-jährigen Dauerkonflikt Kolumbien wieder den Frieden zu bringen. Der beste Wahlhelfer dabei
war die Tatsache, dass wenige Monate vor den Wahlen nach dreijährigen Friedensgesprächen zwischen
der Regierung Pastrana und den FARC die Verhandlungen geplatzt waren. Damit war die Guerilla auf einen
Tiefpunkt ihrer Sympathiewerte in der Bevölkerung gesunken. In ihren Augen war nun die Zeit reif
für einen Staatschef, der mit starker Hand für Ordnung sorgte.
Das Ziel, die Guerilla zu besiegen oder
zumindest so weit zu schwächen, dass sie sich zu Verhandlungen unter vom Präsidenten diktierten
Bedingungen bereit erklärt, hat Uribe bei weitem nicht erreicht. Durch eine massive Aufstockung von
Militär und Polizei und dem Aufbau eines breiten Informanten-, d.h. Spitzelwesens hat er jedoch einen
Rückgang der politischen Gewalt, vor allem der Entführungen, und auch der allgemeinen
Kriminalität erreicht, was der kriegs- und gewaltmüden Bevölkerung das Gefühl von mehr
Sicherheit und Bewegungsfreiheit vermittelte.
Ein äußerst fadenscheiniger und
fragwürdiger Demobilisierungsprozess der rechtsextremen paramilitärischen Gruppen, die für
einen Großteil der schweren Menschenrechtsverletzungen in den letzten zwei Jahrzehnten und der
Vertreibung von über drei Millionen Menschen von ihrem Lebensraum verantwortlich sind, konnte gerade
noch kurz vor dem Ende der ersten Amtszeit abgeschlossen werden.
Statt der anfänglich geschätzten
16000 Kämpfer demobilisierten sich schließlich über 30000, wobei nur jeder zweite
Demobilisierte seine Waffe abgab. Diese wundersame Vermehrung der Paramilitärs, kurz Paras genannt,
ergab sich daraus, dass die paramilitärischen Führer in die Demobilisierungslisten, die sie den
Behörden übergaben, auch zahlreiche Kriminelle aufnahmen, damit diese in den Genuss der
staatlichen Begünstigungen kommen.
Doch ein großer Teil der
Bevölkerung zeigte sich zufrieden mit diesem Demobilisierungsprozess und die internationale
Staatengemeinschaft applaudierte. Dass die Paramilitärs, die in den 80er Jahren als Söldner von
Drogenhändlern, Großgrundbesitzern, Viehzüchtern und Wirtschaftsunternehmen begannen und
später ihr eigenes rechtskonservatives politisches Projekt entwickelten, nur deswegen dem
Entwaffnungsprozess zustimmten, da sie in vielen Regionen des Landes bereits die soziale und politische
Kontrolle ausüben, dass sie ihre Einheiten nicht vollständig abrüsteten und dass nun wieder
neue Gruppen entstehen man spricht bereits von einem Para-Recycling , darüber schweigen
die USA und die EU.
Uribes Wahlsieg
Im Jahr 2006 standen zwei Wahlgänge
an, die beide für das politische Überleben und den Fortgang des politischen Projekts von
Präsident Uribe von entscheidender Bedeutung waren: die Parlamentswahlen vom 12.März und die
Präsidentschaftswahlen vom 28.Mai.
Vor allem die Legislativwahlen standen von
Anfang unter dem Zeichen des Demobilisierungsprozesses und der Versuche des Paramilitarismus, noch
stärker im Kongress Fuß zu fassen. Sie endeten mit einem großen Sieg der Uribe-Parteien, zu
denen nun auch die Konservative Partei gezählt werden muss, die praktisch im Uribismus aufging.
Noch nie in der jüngeren Geschichte
des Landes hatte die Exekutive eine derart starke Unterstützung im Senat und Repräsentantenhaus
erlangt, wo die Anhänger des Präsidenten an die 70% der Sitze einnehmen. Einige bekannte
Gesichter der Paramilitärs sind nicht mehr im Parlament vertreten, dafür sind andere, weniger
bekannte, neu eingezogen. Es wird geschätzt, dass die Paramilitärs ihren Einfluss von etwa 30% in
den Legislativkammern zumindest bewahren konnten.
Der Wahlsieg Uribes bei den
Präsidentschaftswahlen von Ende Mai stand eigentlich schon seit Oktober 2005 fest, als der
Verfassungsgerichtshof jene Verfassungsreform billigte, die die direkte Wiederwahl des Staatschefs
zulässt. Nicht einmal die Tatsache, dass Uribe sich die Zustimmung im Kongress durch den Kauf von
Abgeordneten gesichert hatte, konnte die Verfassungsrichter zu einer Ablehnung der Reform bewegen. Zu stark
war der Druck der Öffentlichkeit und fast der Gesamtheit der Medien in Richtung Wiederwahl.
So wurde also der 28.Mai 2006 zum Tag der
triumphalen Wiederwahl von Àlvaro Uribe Vélez. 7,6 Millionen Menschen sprachen sich für seinen
Verbleib im Amt aus, das ist zwar weniger als ein Drittel der 26,7 Millionen Wahlberechtigten, aber
immerhin 1,5 Millionen mehr als bei der Wahl von 2002 und mehr als 62% der gültigen Stimmen. Wenn man
allerdings die Zahl der Stimmenthaltungen und der ungültigen Stimmen zusammenzählt, ergibt sich,
dass gerade 28% der stimmberechtigten Bevölkerung für den Präsidenten stimmte bei den
Kongresswahlen vom März waren sogar wegen der noch höheren Stimmenthaltung gerade 18% auf die
uribistischen Parteien entfallen.
Nach Meinung vieler Beobachter brachten die
Präsidentschaftswahlen vom Mai 2006 auch einen zweiten Sieger hervor: Carlos Gaviria vom Polo
Democrático Alternativo (PDA). Nach einem mühsamen Vereinigungsprozess des traditionellerweise
zersplitterten linken Spektrums und Primärwahlen im März (gegen den früheren M-19-
Führer Antonio Navarro Wolf) war der ehemalige Präsident des Verfassungsgerichtshofs und Senator
zum unwidersprochenen Führer der demokratischen Linken aufgestiegen. Mit den 22% der Stimmen hat
Gaviria das klare Mandat erhalten, die politische Opposition gegen Uribe anzuführen. (Bei den
Liberalen ist nach dem erfolglosen Abschneiden bei den Wahlen von 2006 noch offen, ob sie sich mehrheitlich
dem Uribismus zuwenden oder sich im Oppositionslager positionieren wollen.)
Angesichts der satten Mehrheit des
Uribismus in den beiden Kongresskammern wird der PDA stark auf die außerparlamentarische Karte setzen
müssen: auf die Öffentlichkeit und die sozialen Bewegungen. Als erstes großes Thema bietet
sich hier die Mobilisierung gegen die Ratifizierung des Freihandelsabkommens (TLC) mit den USA an. Eine
wichtige und nicht einfache Aufgabe für Gaviria wird es auch sein, die Einheit der Linken zu
konsolidieren und im großen Potenzial der Wahlverweigerer zu fischen.
Unter Uribe hat die Stimmenthaltung seit
den Zeiten der Nationalen Front nie wieder erlebte Höhen erlangt. Viele Menschen gehen nicht
wählen, weil ihnen die Stimmabgabe materiell keine Vorteile bringen würde, aus politischer
Apathie oder aus Enttäuschung über fehlgeschlagene politische Abenteuer der Linken.
Uribes Versicherungen, die FARC
militärisch zu besiegen oder zumindest an den Verhandlungstisch zu zwingen, blieben Luftblasen. Was
die Regierung und regierungsnahe Medien immer wieder beteuern eine empfindliche Schwächung der
Kampfkraft der FARC , ist schwer zu beweisen. Sie haben wohl die Kontrolle über viele Regionen
zumindest teilweise verloren, vor allem nahe den städtischen Zentren, dafür aber ihre
Präsenz in anderen Landesteilen erhöht. Den quantitativen Rückgang von Kampfhandlungen
erklärt die Guerilla mit einem taktischen Rückzug. Sie setzt offensichtlich auf Zeit und ist
zuversichtlich, auch eine weitere Regierungsperiode Uribes auszuhalten.
Die große Frage ist allerdings, welche
politischen Zugeständnisse Uribe den FARC im Rahmen der geplanten Friedensgespräche für eine
Demobilisierung anbieten würde. Wenn die Guerilla weiterhin solche Forderungen stellt wie beim
Verhandlungsprozess mit Pastrana, kann der Präsident nicht zustimmen, ohne sein Gesellschaftsprojekt
akut zu gefährden. Dass die FARC-Chefs keine besonders kompromissbereiten Unterhändler sind,
haben sie in der Vergangenheit auch schon zur Genüge gezeigt. Es ist also schwer vorstellbar, dass die
Regierung Uribe den FARC derart umfassende politische Reformen garantiert, dass diese mehr als vierzig
Jahre des bewaffneten Kampfes aufgeben.
Ein Abkommen mit der Nationalen
Befreiungsarmee (ELN), mit der seit Herbst 2005 Gespräche laufen, u.a. in Havanna, wäre wohl ein
propagandistischer Erfolg für Uribe, sicherheitspolitisch jedoch ohne Bedeutung, da diese zweite
kolumbianische Guerillabewegung schon seit längerem militärisch inaktiv war und mit ihrer
Rückkehr zum bewaffneten Kampf kaum zu rechnen ist.
Vision eines korporativen Staates
Uribes gesellschaftspolitische Visionen
gehen in Richtung autoritärer korporativer Staat mit starker Einbindung gremialer
Interessensvertretungen, ähnlich dem italienischen Faschismus Mussolinis und dem österreichischen
Ständestaat der 30er Jahre verbunden mit einem radikalen Neoliberalismus.
Das Projekt jener paramilitärischen
Führer, die nicht den Drogenhandel in den Mittelpunkt ihrer Lebensinteressen stellen, sieht einen
ebenfalls autoritären konservativ-katholischen Staat vor, der die nationalen Interessen bei
gleichzeitiger Verteidigung des Privateigentums in den Vordergrund stellt. Was läge näher,
als diese beiden Tendenzen zu einem einzigen, rechtskonservativen bis faschistoiden Gesellschaftsprojekt
zusammenzuführen?
Widerstand wird es dabei nicht nur aus den
Reihen der Linksopposition und der sozialen Bewegungen geben; auch in Kreisen des Unternehmertums und des
Establishments wächst die Besorgnis. Uribe war und ist ihr Kandidat, doch geht er zu weit, wenn er das
politische System in seinem Kern verändern will das hat seit den Zeiten von General Rojas
Pinilla vor einem halben Jahrhundert kein Präsident versucht.
Außenpolitisch wird Uribe weiterhin
die Unterstützung der USA genießen. Für Washington spielt Kolumbien eine wichtige
geopolitische Rolle, ist es doch der wichtigste Verbündete in dem ehemaligen Hinterhof, der nun dabei
ist, eine neue, selbstständige Identität zu finden. Dass Kolumbien unter Uribe Vélez auch
ein verlässlicher Verbündeter bleibt, das garantiert das Wissen des Weißen Hauses um die
befleckte Vergangenheit des Präsidenten.
Im September 1991 hatte das US-
Verteidigungsministerium eine Liste von 106 Personen erstellt, die seiner Auffassung nach mit dem
Drogenkartell von Medellín verbunden sind. Dieses Dokument wurde kürzlich deklassifiziert und
gelangte in den Besitz des "Archivs der Nationalen Sicherheit", einer NGO mit Sitz in Washington.
Pablo Escobar führt natürlich die
Liste an, auf der auch Panamas Expräsident Noriega erscheint, auf Platz 66. Unter der Nummer 82 findet
sich jedoch ein erstaunlicher Hinweis: "Àlvaro Uribe, kolumbianischer Politiker und Senator, der von
einer hohen Regierungsebene aus mit dem Medellín-Kartell zusammenarbeitet. Uribe ist mit
drogenhändlerischen Aktivitäten in den USA verknüpft ... Uribe arbeitet für das
Medellín-Kartell und ist ein intimer Freund von Pablo Escobar Gaviria."
Uribe gehörte damals auch zu jenen
Politikern, die sich der Auslieferung von Drogenhändlern in die USA entgegenstellten auch wenn
er später als Präsident mehreren Auslieferungsbegehren von US-Behörden zustimmte und zum
wichtigsten lateinamerikanischen Verbündeten in Washingtons Drogenbekämpfungspolitik wurde.
Die zweite Amtszeit des kolumbianischen
Präsidenten hält viele Stolpersteine für ihn bereit, angefangen von den Nachwirkungen des
Potjomkinschen Demobilisierungsprozesses der Paramilitärs, der eigentlich eine Legalisierung der
Todesschwadronen darstellt, bis hin zu dem geplanten Friedensprozess mit den FARC. Uribe ist ein gewiefter
Taktiker und Populist; wenn er es schafft, die FARC in Friedensverhandlungen einzubinden, die nicht wieder
platzen wie die unter seinem Vorgänger Andrés Pastrana, so könnte er als Staatsmann in die
Geschichte eingehen, der die kolumbianische Quadratur des Kreises entdeckt hat.
Werner Hörtner
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