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Das Scheitern der sog. Doha-Runde der WTO am 24.Juli ist mit das Beste, was
der sich entwickelnden Welt für lange Zeit passieren konnte meint WALDEN BELLO.
In den zwei Wochen vor dem Treffen des WTO-
Generalrats in Genf wurden gewaltige Anstrengungen unternommen, die Welthandelsrunde noch zu retten.
Herausragend darunter war der G8-Gipfel in St.Petersburg, wo die Führer der größten
Wirtschaftsmächte der Welt dazu aufriefen, die Runde erfolgreich zu Ende zu führen und sie als
"historische Chance für Wirtschaftswachstum, Entwicklungspotenzial und steigenden Lebensstandard
in der Welt" darstellten. Das war reines Wunschdenken.
Vom Anbeginn der Doha-Runde im November
2001 an haben die Regierungen der industriell entwickelten Länder die Forderung der Mehrzahl der WTO-
Mitgliedstaaten zurückgewiesen, die Verhandlungen müssten sich auf die Einlösung vergangener
Verpflichtungen konzentrieren, eine neue Verhandlungsrunde vermieden werden. Ihr Bestreben war von Anfang
an darauf gerichtet, von den sich industriell entwickelnden Ländern eine größere
Marktöffnung zu verlangen, selber aber nur minimale Zugeständnisse zu machen.
An den Agrarverhandlungen wurde dies ganz deutlich. Selbst wenn die USA sich auf den von Pascal Lamy,
dem Generaldirektor der WTO, vorgeschlagenen Kompromiss eingelassen hätten (was sie nicht getan
haben), hätte dies immer noch bedeutet, dass die USA ihre Landwirtschaft mit 20 Milliarden Dollar
subventionieren dürfen. Und selbst wenn die EU bereit gewesen wäre, ihre Exportsubventionen
für landwirtschaftliche Güter auslaufen zu lassen (wozu sie nicht bereit war), wären immer
noch 55 Milliarden Euro davon übrig geblieben, die in anderer Form gezahlt werden. Im Gegenzug zu
solch minimalen Zugeständnissen aber sollten die sich entwickelnden Länder die Zölle auf
Agrarimporte aus den entwickelten Ländern radikal herabsetzen.
Die USA haben sogar versucht, bis zuletzt
jeglichen Schutz für die Bauern des Südens zu beseitigen. Ihre Handelsvertreterin Susan Schwab
wollte selbst die Ausnahmen, die im Dezember 2005 in Hongkong für "besondere Produkte" und
"besondere Schutzmaßnahmen" vereinbart worden waren, wieder rückgängig machen.
Diese Maßnahmen sind zwar unzureichend, erlauben den Regierungen jedoch immerhin, die Erosion der
lokalen Landwirtschaft zu verlangsamen, indem einige Importe von Zollsenkungen ausgenommen und die
Zölle auf subventionierte Importe angehoben werden können.
Wären die WTO-Verhandlungen mit einem
solchen Ergebnis ausgegangen, hätte dies bedeutet, dass die Agrarzölle der armen Länder
niedergerissen worden wären und diese keine Nahrungsmittelsicherheit mehr gehabt hätten. Der
Hunger hätte nochmals massiv ausgedehnt und Hunderte Millionen Menschen wären zusätzlich von
Armut bedroht worden. Der Verhandlungsführer der philippinischen Regierung brachte vor dem WTO-
Agrarausschuss diese Folgen so zum Ausdruck: "Unser Agrarsektor ist für die
Nahrungsmittelversorgung und die Beschäftigung auf dem Land von strategischer Bedeutung. Er ist
bereits destabilisiert worden, da unsere Kleinproduzenten von einem im großen Maßstab ungerechten
internationalen Handel niedergemäht werden."
Die entwickelten Länder forderten aber
nicht nur eine radikale Herabsetzung der Agrarzölle der sich entwickelnden Länder. Sie fordern
auch maximalen Marktzugang für ihre Industrie- und andere nicht agrarische Produkte. In diesem
Verhandlungssegment haben sie gefordert, dass die Länder des Südens ihre Zölle auf
nichtagrarische Güter um 6070% senken, selber aber nur eine Zollsenkung von 2030%
angeboten. Dies verstößt sogar gegen den WTO-Grundsatz der Gegenseitigkeit. Der Vertreter der
Regierung Südafrikas brachte die Frustration der Mehrzahl der Länder des Südens über
den Doha-Prozess auf den Punkt: "Die sich entwickelnden Länder werden nicht einwilligen, dass
ihre heimische Industrie zerstört wird, weil die entwickelten Länder unannehmbare und irrationale
Forderungen stellen."
Die Zerstörung ihrer Landwirtschaft
und weitgehende Deindustrialisierung sind nicht der einzige Preis, den die entwickelten Länder
für einen erfolgreichen Abschluss der Doha-Runde gefordert haben. Unter dem Kapitel "Handel mit
Dienstleistungen" (GATS) fordern sie das Recht für ausländische Konzerne, Dienstleistungen
in den sich entwickelnden Ländern aufzukaufen und zu kontrollieren zulasten einer
Grundversorgung der Armen.
Die Länder des Südens und die Zivilgesellschaft weltweit sind inzwischen nicht mehr die
einzigen, die davor warnen, dass die Liberalisierung nach Art der WTO den Interessen der sich entwickelnden
Welt schadet. Selbst Institutionen, die bislang als scharfe Befürworter der Liberalisierung
aufgetreten sind, geben zu, dass die Vorteile, die die Doha-Runde den Armen bringen sollte, stark
aufgebläht worden sind. Eine Studie der Weltbank vom Herbst 2005 errechnet für den Fall, dass das
"Doha-Szenario" eintritt, Mehreinkünfte für die sich entwickelnden Länder von 16
Milliarden Dollar in zehn Jahren. Das sind 0,16% ihres Bruttosozialprodukts, oder weniger als ein Penny pro
Kopf und Tag. Die eine Milliarde Ärmsten der Welt hätten davon eine Einkommenssteigerung von 2
Dollar pro Jahr.
Dabei sind in dieser Studie viele Kosten,
mit denen die sich entwickelnden Länder in diesem Szenario belastet würden, nicht einmal
berücksichtigt z.B. die negativen Folgen eines Monopols auf Patente, das den Konzernen unter
dem TRIPS-Abkommen zufallen und die Armen zwingen würde, stark erhöhte Preise für
lebensrettende Medikamente zu zahlen.
Einige Studien schätzen, dass diese
Kosten die sich entwickelnden Länder erheblich mehr belasten und die Handelsliberalisierung ihnen
Kosten sparen würden. Die UNCTAD (UN-Konferenz für Handel und Entwicklung) kommt bspw. zu dem
Schluss, dass im Doha-Szenario den sich entwickelnden Ländern Zolleinkünfte zwischen 32 und 63
Milliarden Dollar jährlich entgehen würden. Das ist zwei- bis viermal so viel wie die Weltbank an
Mehreinkünften errechnet. Und diese Einnahmen fehlen den Regierungen für Ausgaben für
Gesundheit, Wasserversorgung, Bildung usw.
Afrika wäre das größte Opfer
einer erfolgreichen Doha-Runde gewesen. Beides, die Liberalisierung des Agrarhandels wie auch des Handels
mit Industriegütern, bringt diesem Kontinent Nachteile. Selbst für den Fall, dass afrikanische
Farmer, die in ihrer Mehrzahl Subsistenzbauern sind, ungehinderten Zugang zu Exportmärkten haben,
wären sie nicht konkurrenzfähig. Zusätzlich aber würden sie ihre einheimischen
Märkte verlieren.
Freihandel ist so eindeutig ein Hindernis
für Entwicklung, dass eine Studie des UN-Entwicklungsprogramms (UNDP) den armen asiatischen
Ländern rät, das zu tun, was Japan und Südkorea erfolgreich vorgemacht haben: ihre
Schlüsselindustrien mit Zöllen zu schützen, bevor sie sie der ausländischen Konkurrenz
aussetzen. Die Regierungen dieser Länder sollten ermutigt werden, in Gesundheit, Bildung,
Wasserversorgung und andere Basisdienstleistungen zu investieren, damit Entwicklung möglich und Armut
zurückgedrängt wird und nicht gedrängt werden, sie an ausländische Konzerne zu
verkaufen, um des privaten Profits willen.
Handel kann ein Mittel zur Entwicklung
sein. Doch das Regelwerk der WTO ordnet Entwicklung dem Freihandel im Interesse der Konzerne unter und
drängt sich entwickelnde Länder weiter an den Rand. Es ist Zeit, mit der Illusion
aufzuräumen, die Doha-Runde könnte den Armen was bringen. Ihr Scheitern bringt ihnen was. Die
Aufmerksamkeit muss jetzt darauf gelenkt werden, welche Alternativen in Form von Regelwerk und
Institutionen geschaffen werden können, die an die Stelle der WTO treten und den Armen wirklich
nützen.
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