SoZ - Sozialistische Zeitung |
Der G8-Gipfel in St.Petersburg ist gescheitert. In den wichtigen Fragen auf
der Tagesordnung Aufnahme Russlands in die WTO, Energiesicherheit, Klimaschutz, Nahost konnte
keine Einigkeit erzielt werden. Parallel zu ihm fanden drei Gegengipfel statt: die Konferenz "Das
andere Russland" (Drugaja Rossija) der extremen Rechten und Ultraliberalen, zu der auch Washington und
Berlin hochrangige Beamte des Außenministeriums entsandten; ein libertäres Forum und das
Russische Sozialforum.
Wie nicht anders zu erwarten priesen die
Organisatoren des G8-Gipfels seine "herausragenden Ergebnisse". Doch abgesehen von diplomatischem
Floskeln und hohlen Erklärungen hat er keine berichtenswerten Ergebnisse gebracht. Moskau und
Washington sollten ein Protokoll über Russlands Aufnahme in die WTO unterzeichnen, taten es aber
nicht. Die im Vorfeld vorbereiteten Vereinbarungen wurden in letzter Minute verworfen vielleicht
hatten aber auch nur russische Regierungsbeamte falsche Informationen verbreitet, als sie behaupteten, bei
der Mehrzahl der strittigen Punkte seien die Meinungsverschiedenheiten beigelegt worden.
Russlands Aufnahme in die WTO ist in unbestimmte Ferne gerückt; da Georgien zudem von einem
früher von Moskau unterzeichneten Abkommen abgerückt ist, steckt sie in einer Sackgasse. Georgien
wird ihr solange nicht zustimmen, wie Russland georgischen Wein boykottiert (was für Georgien
praktisch einer Wirtschaftsblockade gleich kommt). Aber auch Moldawien leidet unter einem Weinboykott
und kann deshalb in ähnlicher Weise Russland den Weg in die WTO verlegen. Genau besehen kann
man sich über diese Entwicklung freuen, sie verschafft eine Atempause.
In der Energiefrage, die als
Schlüsselfrage galt, ist ebenfalls nichts Handfestes beschlossen worden. Russland hat die von der EU
entworfene Energiecharta unterschrieben, hat aber nicht die Absicht, sie zu ratifizieren. Denn dies
würde bedeuten, dass Gazprom nicht mehr drohen darf, der Ukraine und Weißrussland den Ölhahn
abzudrehen. Die Versuche, die globale Korruption einzudämmen, waren eh nur ein schlechter Scherz.
So konnten die Vertreter der G8 nicht
verbergen, dass sie in fast jedem Punkt schwerwiegende Meinungsverschiedenheiten haben angefangen
vom Nahen Osten bis zur Frage der demokratischen Rechte in Russland.
Einzig die sog.
"Alternativgipfel" fielen noch finsterer aus als der G8-Gipfel selbst. Das Forum Drugaja Rossija
wurde von einer "Vereinigten Opposition" ausgerichtet. Der Name des Forums war nicht
zufällig gewählt er griff den Titel eines Buchs von Eduard Limonow auf, welcher
Vorsitzender der rechtsradikalen Nationalbolschewistischen Partei (NBP) ist. Diese war auf dem Forum sehr
präsent: sie überprüfte die Akkreditierung der Journalisten, sorgte für Ordnung und
bemühte sich allüberall, ihre verantwortliche Rolle hervorzuheben.
Doch ideologisch gaben andere den Ton an
nämlich Ultra-Liberale wie Andrej Illarionow, der Wirtschaftskapitän, der Jegor Gaidar
oder Jeffrey Sachs schon für Kommunisten hält. Die größte Geißel Russlands,
erklärte er, seien die Überbleibsel des sozialen Sicherungssystems, an denen das Land noch klebe,
oder die Bereiche, die noch nicht der Herrschaft der Marktgesetze unterworfen seien, die immer noch
ausufernde staatliche Beteiligung an der Wirtschaft... Alles müsse privatisiert werden,
veräußert werden, in Stücke gehauen und zerstört werden. Dies durchzusetzen auch
die Zerschlagung von Protestaktionen überlässt man gern den Jungs der NBP.
Limonow hat etwas andere Vorstellungen als
Illarionow. Er möchte gern die Städte und die Zivilisation vernichten und der Geschichte eine
"neue Chronologie" aufdrücken, die uns geradewegs zurück ins finsterste Mittelalter
führen würde. Für die Zusammenarbeit beider Strömungen bedeuten diese Vorstellungen
aber kein Hindernis. Warum sollte die Zerstörung der Städte die Expansion des Marktes
beeinträchtigen? Warum sollten nicht wilde Horden sengend und plündernd durch die Lande ziehen
wie in einem Hollywoodfilm?
Tatsächlich sind die Verhältnisse
so, dass die extreme Rechte wie auch die "extreme Linke" [die KPRF hat mit einigen Vertretern an
dieser Konferenz teilgenommen] nur Werkzeuge in der Hand der russischen Rechtsliberalen sind, die sie
zynisch für ihre Zwecke benutzen im Bewusstsein, dass keine von beiden Aussichten hat, an die Macht zu
kommen. Keine verfügt über ein strukturiertes Programm höchstens über ein paar
Utopien und hölzerne Losungen. Der Ideologe der "Vereinigten Opposition", Stanislaw
Belkowski, verkündete klipp und klar auf dem Forum Drugaja Rossija: das Ziel ihrer Aktivität sei
die Bewahrung des Status quo. Die Gesellschaft soll bleiben wie sie ist. Mit Putin ist man eher deshalb
unzufrieden, weil er manchmal unverantwortlich und leichtsinnig agiert und damit unnötig Krisen
heraufbeschwört. Sein unprofessioneller Kampf um Stabilisierung störe nur.
In den Augen der Ultra-Liberalen sind die
extreme Rechte und die "extreme Linke" nicht mehr als Landsknechte, auf eigene Faust agierende
Söldner, deren Aufgabe es ist, vor laufenden Kameras die Sicherheitskräfte herauszufordern und
Opfer eines blutigen Regimes zu werden je mehr Verhaftungen und Anarchie sie provozieren, desto
besser. Sie sind Katalysatoren vorgetäuschter Krisen, die wie Raketen abgeschossen werden müssen,
bis in der Gesellschaft eine wahre Opposition herangereift ist.
Daran gemessen stellte die Linke, die auf dem Russischen Sozialforum versammelt war, eine genuine
Opposition dar: demokratisch, zukunftsorientiert und dem Schutz der sozialen Rechte verpflichtet. Doch das
Forum war überraschend schwach besucht. Sein größter Erfolg war die Medienaufmerksamkeit,
die es auf sich ziehen konnte.
Die liberale Presse ließ keine
Gelegenheit aus, die Verhaftungen und die Wortführer des Forums hervorzuheben, unterließ dabei
aber peinlich jeden Bezug auf ihre tatsächliche Aktivität. Die hilflosen und nutzlosen Versuche,
am 15.Juli eine Polizeiblockade zu durchbrechen, konnte nur den Sinn haben, die Aufmerksamkeit der
Öffentlichkeit auf einen weiteren Krawall zu richten. Die Vertreter der sozialen Bewegungen, die sich
bis nach St.Petersburg durchschlagen konnten, waren empört: Sie sollten ohne ihr Wissen und
Zutun der "Vereinigten Opposition" zugeschlagen werden!
Dennoch hatte das Russische Sozialforum
auch ein positives Ergebnis. Drei Tage lang sprach das ganze Land davon. Bis vor kurzem glaubte ein
großer Teil der Bevölkerung, die KPRF wäre die einzige Opposition im Land. Jetzt haben die
Leute entdeckt, dass es auch eine linke Opposition gibt. Einige waren von ihren Ideen sogar angetan.
Der sonstige Misserfolg des Forums wird
Anstoß sein für eine politische und organisatorische Restrukturierung auf der Linken. Jetzt
versteht jeder, dass die Linke eine reale Chance hat, zu einer funktionierenden politischen Kraft zu
werden. Noch errichtet die Linke eigenhändig Hindernisse auf diesem Weg: sie agiert kindisch,
desorganisiert, ist scharf auf den billigen Erfolg und auf Selbstdarstellung. Das mag für Leute des
Schlages von Limonow taugen, aber nicht für Menschen, die reale gesellschaftliche Veränderungen
und dafür die Unterstützung der Massen wollen.
Es gibt eine Massenbewegung in Russland,
ohne Zweifel, die findet man aber nicht auf kleinen Versammlungen und Minidemonstrationen. Zum selben
Zeitpunkt als der Gegengipfel organisiert wurde, hat die Allrussische Konföderation der Arbeit die
freien Gewerkschaften im Automobilsektor zu einer einzigen Organisation zusammengebunden. In der
Nahrungsmittelindustrie sind ähnliche Bestrebungen im Gange, in anderen Bereichen ebenso. Dies sind
die ersten Anzeichen einer wirklichen linken Bewegung. Viele Teilnehmer des Sozialforums, auch solche, die
in St.Petersburg leben, haben von ihrer Existenz nicht einmal Notiz genommen.
Große Ereignisse werfen ihre Schatten
nicht immer voraus.
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