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Als die im September 1976 erstmals erschienene Frauenzeitschrift Courage
(Nullnummer: 17.Juni) 1984 Konkurs anmelden musste, hatte das überregionale, linksfeministische und
autonome Blatt acht Jahre lang zuvor tabuisierte Themen, wie z.B. Gewalt, sexuellen Missbrauch,
Frauenopposition in Osteuropa, schonungslos aufgegriffen. 30 Jahre nach der Gründung trafen sich
ehemalige Mitarbeiterinnen von Courage, um mit jungen und alten Menschen noch einmal öffentlich
über Courage und die Frauenbewegung dieser Zeit nachzudenken.
"Das Private ist politisch" war zum Slogan der in den 70er Jahren entstandene Neue
Frauenbewegung (die man eher Frauenbewegungen nennen sollte) geworden. In Erweiterung des traditionell
männlichen Politikbegriffs sollte damit die politische Dimension scheinbar privater
Beziehungsstrukturen hervorgehoben werden.
Es ging um eine zentrale Kritik der
patriarchalischen Abhängigkeit und Unterdrückung und damit um eine grundlegende Veränderung
des linken Politikverständnisses und um eine qualitative Veränderung auch des Privatlebens. In
den folgenden Jahren kam es nicht nur zu längerfristigen Veränderungen von Mentalitäten und
zur Eigenaktivität der Akteurinnen, sondern auch zu neuen Aktions- und Organisationsformen, zu
internationalen Vernetzungen und zu Projektgründungen.
Frauenzentren und autonome Frauenräume
waren die logische Konsequenz der zumindest temporären Separierung der Frauen von den
Männern. Hier fanden Lese- und Diskussionsveranstaltungen statt, hier wurden regelmäßig
Feste organisiert, Aktionen und Demonstrationen vorbereitet und es lagen Frauenzeitschriften, Flugschriften
und Informationen aus.
Besondere Bedeutung kam den beiden bundesweiten Zeitschriften Courage und Emma zu. Courage wurde im Juni
1976 als selbstverwaltetes Projekt gegründet und diente als Informations-, Kommunikations- und
Diskussionsforum für Kleingruppen, Netzwerke und Projekte der autonomen Frauenbewegungen
gewissermaßen als "Sprachrohr". Ein halbes Jahr später kam Emma auf den
Zeitschriftenmarkt, war jedoch von Anfang an von ihrer Chefin Alice Schwarzer abhängig.
Die Idee für die autonome,
linksfeministische Zeitung kam von einer kleinen Gruppe autonomer Berliner Frauen, zumeist junge Frauen und
Studentinnen. Sie kamen alle mit ihrer eigenen Geschichte in die Bleibtreustraße 48 in Westberlin und
waren sich darin einig: "Wir brauchen eine Zeitung, die Frauen darin unterstützt, politische
Verantwortung zu übernehmen und sie ermutigt, Privilegien und Macht zu beanspruchen."
Christel Dormagen, eine der
Gründerinnen, erklärte später über die Gründungsmotivation: "Damit die
aufrührerischen Gedanken zirkulieren und weitere Anhängerinnen gewinnen konnten, bedurfte es
einer größeren Öffentlichkeit."
Politisch unzufriedene Frauen, die die
herrschende, auf der Unterdrückung der Frauen und anderer "Minderheiten" basierende
Gesellschaft in Frage stellen und die auch Perspektiven zur Veränderung einläuten wollten,
sollten mit der noch zu schaffenden Zeitung angesprochen werden.
Staatliche Institutionen wie Parlamente
oder Gerichte sollten einer radikalen Kritik unterzogen werden, wenn sie frauenfeindliche Politik
betrieben. Mit Institutionen, die wie Kirche oder Familie die Frauen direkt in den Fesseln moralischer
"Werte" halten, wollte man ebenso verfahren.
Schonungslos berichtet werden sollte
über alle Themen, die Frauen betrafen, von der Geschichte über die Gegenwart bis zur Zukunft.
Frauen jeden Alters und jeder Berufsgruppe sollten erreicht werden, auch solche, die nicht in der
Frauenbewegung aktiv waren, wollte man anstecken.
Mutter Courage war auf dem Titelbild, die
Marketenderin von Bertolt Brecht. Die Anregung, die Grimmelshausen-Version der Landstreicherin Courage als
Sinnbild der kämpferischen selbstständig handelnden Frau zu wählen, kam von Barbara Duden:
"Lust und Witz prägen ihren
Lebenskampf. Ihre Neugierde ist unendlich, hält sie am Leben. Ihr Blick macht Kleinigkeiten groß,
Nebensächliches zur Hauptsache. Ihre Freiheit verteidigt sie mit allen Mitteln. Courage die
selbständig handelnde Frau. Nicht als ungebrochenes Idealbild, wohl aber: sich nicht mit bestehenden
Verhältnissen zufrieden geben. Alternativen denken und leben. Dafür mag Courage stehen. Nicht
mehr und nicht weniger", schrieb sie in der ersten Ausgabe.
Und so war es geschehen: Die Frauen
schlugen die warnenden Stimmen von Freundinnen, Eltern und sonstigen Menschen in den Wind, die sie darauf
aufmerksam machten, dass man für ein solches Vorhaben Geld brauchte. Sie luden zu einem Frauenfest in
den "Wintergarten" ein. Es wurde ein voller Erfolg. Die Frauen kamen in Scharen. Aus den
Eintrittsgeldern und dem Verkauf der Nullnummer (Auflage 5000 Stück) konnte die erste
Druckereirechnung gezahlt werden.
Als Gerüchte aufgekommen waren, dass
Alice Schwarzer auch eine Zeitung plante, bot Courage die Zusammenarbeit an. Die Frauen waren erleichtert,
als diese ablehnte. Sie beschleunigten das Erscheinen und kamen im September 1976 mit der Courage Nr.1 auf
den Markt. Vier Monate später kam Emma.
Die Courage-Frauen hatten sich selbst ermächtigt und bestimmten ihr Programm selbst. Morgens um 10
Uhr begann die Arbeit. Sie hatten wenig praktische Vorkenntnisse und noch weniger Geldmittel, waren aber
voller Idealismus, Selbstbewusstsein und Leidenschaft. Ein radikaler Gleichheitsanspruch sollte in die
Wirklichkeit umgesetzt werden.
Die Gründerinnen erfanden neue
Arbeitsstrukturen. Alle Arbeiten sollten von allen erledigt werden und als gleich wertvoll betrachtet
werden. Hierarchien wurden abgelehnt und alle Frauen sollten sich an allen Arbeiten beteiligen. Von der
Idee bis zum fertigen Produkt und dessen Verkauf waren alle Sinne an einem kollektiven Prozess beteiligt.
Die Erwartungen und der Anspruch waren
groß, wahrscheinlich zu groß. Einige Ansprüche wurden bald modifiziert. Es war nicht nur
eine arbeitsame Zeit, die oft bis in die späten Nachtstunden dauerte, es war auch eine
leidenschaftliche Zeit. Auf die Erfahrungen, die die Frauen damals sammelten, möchten die meisten bis
heute nicht verzichten. Eine Courage-Frau zu sein wurde als Ehre angesehen.
Fortan informierte die Courage in der Form
von Schwerpunktheften über alle frauenpolitisch relevanten Ereignisse, nach der Maxime, so die
Mitgründerin Sibylle Plogstedt: "Das, was uns interessiert, ist auch für andere interessant;
das, worüber wir streiten, regt auch andere auf". Christel Dormagen, ebenfalls eine der Frauen
der "ersten Stunde", bezeichnete das Blatt als "eine Art Ordnungsmacht, die den wirren
Meinungs- und Theoriestrom kanalisierte". Der Anspruch, die Frauenbewegung in die hintersten Winkel zu
tragen, schien zu gelingen. Es kamen Zuschriften aus aller Welt; auch aus Osteuropa und der DDR. Nach einer
Anlaufzeit von zwei Jahren erfanden die Frauen ihr Lohnsystem selbst. Von dem Einheitslohn konnten sie ganz
gut leben.
Zunächst war Courage nur im Berliner
Zeitschriftenhandel erhältlich. Die Auflage stieg von der Nullnummer bis bereits zur dritten Ausgabe
von 5000 auf 20000. Im Februar 1977, 14 Tage nach dem Erscheinen der Emma (Auflagenhöhe 20000) betrug
sie 35000 Exemplare. Bald wurde Courage über die Grenzen Berlins hinaus bekannt. Ab Februar 1977 war
der Vertrieb auf das gesamte Bundesgebiet ausgeweitet worden. In den späten 70er Jahren hatte sie
schließlich eine Auflage von 70000 Exemplaren.
Der überwältigende Anfangserfolg
konnte sich allerdings nicht halten. In den folgenden Jahren wurden oft nur noch die Hälfte der
gedruckten Zeitungen verkauft. Emma hingegen konnte nach ihren eigenen Angaben ihre Auflage bis heute auf
mehr als 100000 erhöhen.
Spätestens mit dem Erscheinen der Emma
1977 entzündeten sich erbitterte Auseinandersetzungen innerhalb der Frauenbewegung, die in den Heften
der Courage breiten Raum einnahmen. Immer wieder wurde Kritik an der redaktionellen Alleinherrschaft von
Alice Schwarzer geübt. Emma hatte von Beginn an Strukturen, wie man sie aus der "normalen
Wirtschaftswelt" kennt und die waren in den Frauenbewegungen verpönt.
Inhaltlich drehten sich die
Auseinandersetzungen um die unterschiedlichen Auffassungen von Feminismus. Besonders deutlich wurde das an
der Frage: "Frauen in die Bundeswehr". Alice Schwarzer plädierte für die Gleichstellung
von Frauen in allen Bereichen, während das Courage-Kollektiv den Kriegsdienst generell ablehnte.
Courage war nun Anfeindungen von zwei Seiten ausgesetzt: Von der Männerpresse und von Emma. Hinzu
kamen Konflikte innerhalb des Kollektivs.
Nachdem sich die Krise abzuzeichnen begann, wussten die Kollektivistinnen nichts besseres, als noch mehr
zu arbeiten und stellten auf eine wöchentlich erscheinende Zeitung um. Ein schwerer Fehler, wie sich
bald herausstellte. Zweieinhalb Monate lang erschien die Courage als Wochenzeitung, dann war sie weg vom
Fenster und das einstmals so euphorische Kollektiv war zerstritten.
Bereits in der ersten Ausgabe hatte es
prophetisch über die Brechtsche Namensgeberin geheißen: "Die Marketenderin hat offene
Augen und sieht nicht. Hat Sinn fürs Geschäft und kommt nicht zur Besinnung. Nach dem Tod ihres
letzten Kindes spannt sie sich vor den Krämerkarren, ruft den aufbrechenden Soldaten zu: Ich
muss wieder in den Handel kommen. Nehmts mich mit." Die Courage kam nicht mehr in den
Handel, sie musste 1984 Konkurs anmelden. Weil die Konkurrenz auf dem Frauenblättermarkt, besonders
durch Emma, aber auch durch andere, neu hinzugekommene Blätter, eine wirtschaftliche Krise und
Kollektivkonflikte zeitgleich auftraten, konnte sie nicht gerettet werden.
Seitdem fehlt der Frauenbewegung ein
wichtiges Sprachrohr. Dabei wäre Courage heute, anlässlich der aktuellen politischen und
wirtschaftlichen Situation, wichtiger denn je. Die acht Jahrgänge der umfangreichen Hefte sind in die
Archive gewandert. Sie haben Spuren hinterlassen, nicht nur in den Köpfen der insgesamt 7080
festen Mitarbeiterinnen, die im Laufe der Jahre in der Redaktion gearbeitet haben. Etliche der
Kollektivmitglieder sind auch heute noch journalistisch tätig. Leicht hatten sie es in neuen
Tätigkeiten nicht immer.
Die Frauen, die in der Courage mitarbeiteten, haben feministische Utopien der selbstbestimmten
Zusammenarbeit erprobt. Die Redaktionsräume waren Orte voller Leben und Fantasie, wo es vor neuen
Ideen nur so sprühte. Die agierenden Frauen haben sich Freiräume geschaffen, die einen
herrschaftsfreien Diskurs und die Entfaltung bisher oft verschütteter Potenziale garantieren sollten.
Die Notwendigkeit solcher
"Frauenecken" wurde auch von den Frauen selbst oft in Frage gestellt. Schließlich ist es
eine Paradoxie feministischer Politik, dass sie sich ausgrenzen muss, um Ausgrenzungen zu überwinden.
Dennoch entschieden sich die Frauen dafür, sich den alltäglichen Spannungen in den
"gemischten" Veranstaltungen zu entziehen.
Geradezu erschreckend wird am Beispiel von
Courage deutlich, wie unfähig die Frauenstrukturen zu sein scheinen, wenn es darum geht, konstruktiv
mit Konflikten umzugehen. Courage scheiterte unter anderem an dieser Unfähigkeit. Indem
Frauen Autoritäten negieren wollten, haben sie sich vor allem an ihnen abgearbeitet. Die Hoffnung,
dass Frauen, weil sie Frauen sind, weniger elitär, weniger konkurrenzorientiert und mehr an
zwischenmenschlichen und sozialen Problemen interessiert seien, musste zu Enttäuschungen führen.
Gisela Notz
Informationen und Meinungen sollten keine Waren sein. Und Geld ist ein Fetisch.
Dennoch und ganz praktisch: Die Online-SoZ sieht nur umsonst aus. Wir brauchen Eure Euros.
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