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SoZ-Homepage SoZ - Sozialistische Zeitung, September 2006, Seite 18

Wenig Substanz

Michael Alberts "Parecon" liegt nun auch auf deutsch vor

Michel Albert: Parecon. Leben nach dem Kapitalismus, Frankfurt: Trotzdem Verlag, 2006, 295 Seiten, 18 Euro

Parecon sagt den linken Leuten hierzulande wenig. Aber wenn jemand ein Buch über das "Leben nach dem Kapitalismus" schreibt, lässt das aufhorchen.
In den USA schaffte es Parecon immerhin auf Platz 13 bei den bestverkauften Amazon-Büchern — für ein Buch mit linksradikalem Anspruch mehr als erstaunlich. Der Autor ist Michael Albert, Herausgeber der populären linken amerikanischen Web-Seite Z-Net, der der libertären Strömung um Noam Chomsky zuzurechnen ist. Jetzt hat der Trotzdem-Verlag Alberts‘ Buch auf Deutsch herausgebracht. Natürlich macht in dieser utopiearmen Zeit der Untertitel auch deutsche Linke neugierig. Denn Michael Albert gibt sich überzeugt, mit diesem Buch das Alternativkonzept zum Kapitalismus einerseits und der Kommandowirtschaft sowjetischen Typs andrerseits entworfen zu haben.
Parecon behandelt im Wesentlichen drei Themenkomplexe. In der selbstverwalteten und somit nichthierarchischen Arbeitsorganisation der Zukunft, dies zum ersten, hat nach Vorstellung von Albert jeder Beschäftigte "Tätigkeitsbündel", die gleichermaßen aus anregenden und stupiden, angenehmen und unangenehmen Aufgaben bestehen sollen. Damit will er sicherstellen, dass bei formal bestehenden Rätestrukturen nicht wieder eine "Koordinatorenklasse" (so nennt er die Bürokratie) letztlich alle Entscheidungsmacht an sich reißt. Es soll der Dynamik entgegengewirkt werden, dass infolge ihrer höheren Qualifikation einige Arbeiter anderen gegenüber bei der Mitsprache zu Entscheidungen im Vorteil sind.
Was das Einkommen anbelangt, vertritt Albert, dies zum zweiten, einen strikt egalitären Standpunkt. Einkommensunterschiede aufgrund von Eigentumsbesitz, "natürlicher Talente" oder höherer Qualifikation sind für ihn nicht gerechtfertigt. Jeder soll in etwa das gleiche Einkommen erhalten. Auch die Tatsache, dass jemand lange studiert hat, ist kein Argument. Nur ein "Opfer" in Form längerer Arbeitszeit oder die Übernahme besonders anstrengender, unangenehmer oder gefährlicher Tätigkeiten rechtfertigt für Albert eine bessere Bezahlung.
Hiermit setzt Albert einen sehr sympathischen Kontrapunkt zum schreienden Unrecht in Zeiten des Neoliberalismus. Schade ist allerdings, dass Albert sich nicht die Mühe macht, aufzuarbeiten, welche diesbezüglichen Diskussionen es bspw. in den kollektivierten Betrieben im Katalonien der Jahre 1936 und 1937 gab oder in den zahlreichen selbstverwalteten Betrieben in Argentinien heute gibt. So wirken Alberts Ausführungen zu den Komplexen "Tätigkeitsbündel" und "Bezahlung" etwas gekünstelt und am Schreibtisch zusammengebastelt. Aber nichtsdestotrotz sind sie anregend.
Das lässt sich vom dritten Themenkomplex, der sich mit der "Allokation" bzw. der "dezentralen partizipatorischen Planung" beschäftigt, wahrlich nicht sagen.
Letztendlich wird das Thema Produzentenräte auf einer Seite abgehandelt. Sein Aussagegehalt geht nicht über Allgemeinplätze hinaus wie: "Diese Räte gibt es soweit erforderlich, auf allen Ebenen, angefangen von der Arbeitsgruppe bis zum ganzen Betrieb und weiter über Industriezweige." Dass dies etwas dürftig und oberflächlich sein könnte, kommt ihm nicht in den Sinn. Statt sich an realen historischen Versuchen der Arbeiterselbstverwaltung abzuarbeiten, referiert er als vermeintlich konkrete Beispiele irgendwelche von ihm ersonnenen Fiktionen eines Verlags namens "Northstart Press" oder eines "John Henry"-Stahlwerks. Das wirkt wie eine typische Kopfgeburt, konstruiert und steril. Über den Gehalt seiner Ausführungen zu den Produzentenräten gilt, was Albert selbst als das schlechtmöglichste Urteil über ein Buch mit derartiger Themenstellung hält: "eine weit gespannte und allgemein gehaltene Sammlung hochtrabender Adjektive mit wenig tatsächlichem Gehalt".
Was Albert über das Zusammenspiel von individuellen Konsumwünschen und ihrer Integration in den Produktionsprozess zum Besten gibt, hat schon unfreiwillig karikaturhafte Züge. Da soll jedes Individuum am Anfang des Jahres in den Computer eingeben, was es im kommenden Jahr zu konsumieren gedenkt — wie viele Hemden, wie viele Hosen, ob es einen neuen Schrank oder eine neue Zudecke fürs Bett braucht usw. Auch der Wunsch nach einem DVD-Spieler und die Menge der CDs, die es zu kaufen gedenkt, müssen in den Computer. Dann befindet das nachbarschaftliche Konsumentenkomitee darüber, ob das auch angemessen ist. Und wenn es grünes Licht gibt, geht‘s ab zur Produktionsebene...
Erschreckend und traurig ist, dass Albert dies ernst meint und sich von der Bedeutsamkeit und Originalität seines geistigen Konstrukts überzeugt zeigt. So bleibt als Resumé, dass die Frage nach dem Leben nach dem Kapitalismus zwar hinreißend gestellt, aber leider nicht ausreichend beantwortet wird. Es gibt nach wie vor viel zu tun.

Franz Mayer

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