SoZ - Sozialistische Zeitung |
Parecon sagt den linken Leuten hierzulande wenig. Aber wenn jemand ein Buch über das
"Leben nach dem Kapitalismus" schreibt, lässt das aufhorchen.
In den USA schaffte es Parecon immerhin auf Platz 13 bei den
bestverkauften Amazon-Büchern für ein Buch mit linksradikalem Anspruch mehr als erstaunlich. Der Autor ist
Michael Albert, Herausgeber der populären linken amerikanischen Web-Seite Z-Net, der der libertären Strömung
um Noam Chomsky zuzurechnen ist. Jetzt hat der Trotzdem-Verlag Alberts Buch auf Deutsch herausgebracht. Natürlich
macht in dieser utopiearmen Zeit der Untertitel auch deutsche Linke neugierig. Denn Michael Albert gibt sich überzeugt,
mit diesem Buch das Alternativkonzept zum Kapitalismus einerseits und der Kommandowirtschaft sowjetischen Typs andrerseits
entworfen zu haben.
Parecon behandelt im Wesentlichen drei Themenkomplexe. In der
selbstverwalteten und somit nichthierarchischen Arbeitsorganisation der Zukunft, dies zum ersten, hat nach Vorstellung von
Albert jeder Beschäftigte "Tätigkeitsbündel", die gleichermaßen aus anregenden und stupiden,
angenehmen und unangenehmen Aufgaben bestehen sollen. Damit will er sicherstellen, dass bei formal bestehenden
Rätestrukturen nicht wieder eine "Koordinatorenklasse" (so nennt er die Bürokratie) letztlich alle
Entscheidungsmacht an sich reißt. Es soll der Dynamik entgegengewirkt werden, dass infolge ihrer höheren
Qualifikation einige Arbeiter anderen gegenüber bei der Mitsprache zu Entscheidungen im Vorteil sind.
Was das Einkommen anbelangt, vertritt Albert, dies zum
zweiten, einen strikt egalitären Standpunkt. Einkommensunterschiede aufgrund von Eigentumsbesitz, "natürlicher
Talente" oder höherer Qualifikation sind für ihn nicht gerechtfertigt. Jeder soll in etwa das gleiche
Einkommen erhalten. Auch die Tatsache, dass jemand lange studiert hat, ist kein Argument. Nur ein "Opfer" in Form
längerer Arbeitszeit oder die Übernahme besonders anstrengender, unangenehmer oder gefährlicher
Tätigkeiten rechtfertigt für Albert eine bessere Bezahlung.
Hiermit setzt Albert einen sehr sympathischen Kontrapunkt zum
schreienden Unrecht in Zeiten des Neoliberalismus. Schade ist allerdings, dass Albert sich nicht die Mühe macht,
aufzuarbeiten, welche diesbezüglichen Diskussionen es bspw. in den kollektivierten Betrieben im Katalonien der Jahre
1936 und 1937 gab oder in den zahlreichen selbstverwalteten Betrieben in Argentinien heute gibt. So wirken Alberts
Ausführungen zu den Komplexen "Tätigkeitsbündel" und "Bezahlung" etwas gekünstelt und
am Schreibtisch zusammengebastelt. Aber nichtsdestotrotz sind sie anregend.
Das lässt sich vom dritten Themenkomplex, der sich mit
der "Allokation" bzw. der "dezentralen partizipatorischen Planung" beschäftigt, wahrlich nicht
sagen.
Letztendlich wird das Thema Produzentenräte auf einer
Seite abgehandelt. Sein Aussagegehalt geht nicht über Allgemeinplätze hinaus wie: "Diese Räte gibt es
soweit erforderlich, auf allen Ebenen, angefangen von der Arbeitsgruppe bis zum ganzen Betrieb und weiter über
Industriezweige." Dass dies etwas dürftig und oberflächlich sein könnte, kommt ihm nicht in den Sinn.
Statt sich an realen historischen Versuchen der Arbeiterselbstverwaltung abzuarbeiten, referiert er als vermeintlich konkrete
Beispiele irgendwelche von ihm ersonnenen Fiktionen eines Verlags namens "Northstart Press" oder eines "John
Henry"-Stahlwerks. Das wirkt wie eine typische Kopfgeburt, konstruiert und steril. Über den Gehalt seiner
Ausführungen zu den Produzentenräten gilt, was Albert selbst als das schlechtmöglichste Urteil über ein
Buch mit derartiger Themenstellung hält: "eine weit gespannte und allgemein gehaltene Sammlung hochtrabender
Adjektive mit wenig tatsächlichem Gehalt".
Was Albert über das Zusammenspiel von individuellen
Konsumwünschen und ihrer Integration in den Produktionsprozess zum Besten gibt, hat schon unfreiwillig karikaturhafte
Züge. Da soll jedes Individuum am Anfang des Jahres in den Computer eingeben, was es im kommenden Jahr zu konsumieren
gedenkt wie viele Hemden, wie viele Hosen, ob es einen neuen Schrank oder eine neue Zudecke fürs Bett braucht
usw. Auch der Wunsch nach einem DVD-Spieler und die Menge der CDs, die es zu kaufen gedenkt, müssen in den Computer.
Dann befindet das nachbarschaftliche Konsumentenkomitee darüber, ob das auch angemessen ist. Und wenn es grünes
Licht gibt, gehts ab zur Produktionsebene...
Erschreckend und traurig ist, dass Albert dies ernst meint
und sich von der Bedeutsamkeit und Originalität seines geistigen Konstrukts überzeugt zeigt. So bleibt als
Resumé, dass die Frage nach dem Leben nach dem Kapitalismus zwar hinreißend gestellt, aber leider nicht ausreichend
beantwortet wird. Es gibt nach wie vor viel zu tun.
Franz Mayer
Informationen und Meinungen sollten keine Waren sein. Und Geld ist ein Fetisch.
Dennoch und ganz praktisch: Die Online-SoZ sieht nur umsonst aus. Wir brauchen Eure Euros.
Spendet steuerlich abzugsfähig!
VsP, Postbank Köln, BLZ 370100 50,
Kontonummer 603 95 04