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Bis tief hinein ins linksliberale Lager reicht die Vorstellung einer pazifistischen EU,
die, im Unterschied zu den USA, mit den Mitteln der Diplomatie und im Rahmen der UNO sich weltweit für Frieden
einsetze. Das in allen großen Tageszeitungen veröffentlichte "Manifest für Europa" oder der
vorgebliche Antikriegskurs vor allem der deutschen und französischen Regierung beim Krieg gegen den Irak trugen dazu
bei, die in Europa breite Ablehnung jeglicher militärischer Konfliktlösungen in die herrschende Ideologie einer
Friedensmacht Europa zu integrieren. Der von Tobias Pflüger und Jürgen Wagner herausgegebene Sammelband
Weltmacht EUropa entlarvt diese Ideologie bis ins Detail.
Der erste und längste Teil ("Strukturen und
Grundlagen der Weltmacht EU") beschreibt handbuchartig die historische Genese der EU und zeigt, dass die
militärische Komponente hier von Beginn an eine wichtige Rolle spielte und dann vor allem mit dem Ende der Ost-West-
Konfrontation eine weitere Aufwertung erfuhr. Interessant ist hier vor allem der Aufsatz von Jürgen Wagner über
"Neoliberale Politik: Transatlantische Konzepte einer militärischen Absicherung der Globalisierung", der
die Militarisierung weniger als Ausdruck einer wachsenden Konkurrenz zwischen den USA und der EU versteht (wie das
für die deutschsprachige Linke so typisch ist), sondern in erster Linie als "gemeinsames" Projekt der
kapitalistischen Kernländer zur Durchsetzung und Absicherung ihrer neoliberalen Agenda gegen die Interessen
der halbkolonialen Länder und der Lohnabhängigen in den Zentren selbst.
Im zweiten Teil ("Zwischen Nachbarschaftspolitik und
globalem Einfluss") zeigen die Autoren, wie die EU in den unterschiedlichen Regionen der Welt ihre Interessen mit
politischem und ökonomischem Druck und seltener mit militärischer Hilfe durchzusetzen versucht.
Leider werden Süd-, Ost- und Südostasien nicht in die Analyse miteinbezogen.
Der dritte Teil ("Die Militarisierung von
Gesellschaft, Politik und Ökonomie stoppen") beschäftigt sich mit Veränderungen innerhalb der EU. Er
handelt von europäischen Waffenexporten, von der Finanzierung und dem Boom der Rüstungsindustrie, der Politik
gegen Flüchtlinge und schließlich von der Kehrseite der Militarisierung: vom Sozialabbau im Innern.
Das Buch bietet über weite Strecken konkrete, sehr
informative empirische Beschreibungen und ist insofern eine große Bereicherung der nach wie vor sehr dürftigen
linken Literatur zur Entwicklung der EU.
Weit weniger Stellenwert wird den Fragen nach den
Ursachen der Militarisierung der EU gewidmet mit Ausnahme der Sicherung von Rohstoffen, deren Bedeutung für
die militärische Expansion der EU ausführlich beschrieben wird. Zudem scheinen einige Autoren vorauszusetzen,
was Gegenstand ihrer Analyse sein sollte: dass es im Interesse der EU bzw. ihrer herrschenden Klassen liege, die USA als
Weltmachtführer herauszufordern und langfristig auch abzulösen.
Beispielhaft sei dafür der Aufsatz von Uli Cremer
über den "Kampf der Giganten? Die Zukunft der transatlantischen Beziehungen" genannt. Cremer betont
zunächst die gemeinsamen Interessen, die "in der ökonomischen Ordnung, von der beide profitieren, sowie in
gemeinsamen Rohstoffinteressen" bestünden. Die potenziellen Konfliktgründe findet er konsequenterweise
nicht in unterschiedlichen strategischen Interessen der herrschenden Klassen (wie das in klassischen
Imperialismustheorien immer argumentiert wird), sondern in "Verselbständigungen" der politischen
Sphäre. Es seien unterschiedliche "Große Strategien", eine unterschiedliche Orientierung auf NATO
bzw. UNO sowie generell das Beharren der USA auf ihrer politischen und militärischen Führungsrolle sowie das
Zurückweisen des unter Clinton praktizierten Multilateralismus.
Die Regierung Clinton hätte die EU in ihre Planungen
etwa für den Kosovokrieg einbezogen, während die Regierung Bush ihre Kriege in Afghanistan und im Irak allein
durchgesetzt habe. (Allerdings war auch keines der großen EU-Länder gegen die Bombardierung des Kosovo, die
Intervention der USA geschah im Gegenteil auf ihr Drängen hin: weshalb hätte Clinton da unilateral agieren
sollen?) Eine Fortführung dieses "diktatorischen Kurses" der US-Regierung wäre für Cremer auch
der Hauptgrund für künftige transatlantische Konflikte: "...natürlich würde die EU versuchen,
ihre Stärken auf währungspolitischem und wirtschaftlichem Gebiet auszuspielen. Daraufhin dürfte die Bush-
Regierung mit rabiaterem Unilateralismus reagieren. Das wiederum dürfte die EU zu weiteren (auch militärischen)
Absetzbewegungen animieren ... ein neues Wettrüsten zwischen EU und den USA [würde] ein immer realistischeres
Szenario ... Am Anfang könnten militärische Kleinkonflikte bis hin zu Stellvertreterkriegen in verschiedenen
Teilen der Welt stehen."
Nach der zentralen Voraussetzung dieser evolutionär
anmutenden Bewegung sucht Cremer allerdings nicht (und die Frage wird auch von den anderen Autoren nicht thematisiert):
Gibt es in der EU relevante Teile der herrschenden Klassen, die ein Interesse daran haben, die USA als
Weltmachtführer abzulösen? Beispiel Währung: Erst jüngst mahnten führende industrielle Gruppen
vor einer weiteren Aufwertung des Euro, weil das die Profitabilität empfindlich schwächen würde.
Beispiel Aufrüstung: Die USA heimsen nicht nur
(private) Extragewinne durch den Krieg im Irak ein, sie tragen auch die weit höheren (sozialisierten) Kosten. Von
der Sicherung der Erdölversorgung profitieren allerdings EU-Konzerne im selben Ausmaß wie US-amerikanische. Das
bedeutet natürlich nicht, dass militärische Konflikte zwischen den imperialistischen Kernländern
unmöglich sind, sondern nur, dass es keine Automatismen in diese Richtung gibt, wie es Lenin oder Luxemburg Anfang
des 20.Jahrhunderts annahmen.
Trotz solcher und ähnlicher konzeptioneller
Schwächen ist Weltmacht EUropa eines der interessantesten Bücher zu diesem Thema.
Martin Riedl
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