SoZ - Sozialistische Zeitung

Zur SoZ-Homepage SoZ - Sozialistische Zeitung, Oktober 2006, Seite 12

New Orleans

Nach der Flut

In New Orleans hat sich die Entwicklung der Arbeit, die sich im Lande die letzten 15 Jahre abspielte, in sechs Monaten verdichtet, sagt Saket Soni, ein Organisator der New Orleans Coalition for Labor Justice, einer von mehreren Gruppen, die den Arbeitern der Stadt seit der Flut die Hand reichen. Um den Arbeitern im Rekonstruktionsprozess eine Stimme zu geben, sagt er, müsse die Koalition neue Latinoimmigranten mit vertriebenen Einwohnern von New Orleans, zumeist afroamerikanischer Herkunft, zusammenbringen, die noch immer um ihre Rückkehr in die Stadt kämpfen.
Bevor die Deiche brachen, stellten Latinos 3% der Bevölkerung von New Orleans. Heute ist ihr Anteil auf 20% angewachsen, weil Immigranten aus anderen Städten der USA und von südlich der Grenze nach Arbeit im Abriss- und Wiederaufbaugewerbe suchen. Eine Studie der Universitäten Tulane und Berkely hat herausgefunden, dass fast die Hälfte aller Wiederaufbauarbeiter der Gegend Latinos sind.
Wie im Rest des Landes reden die beiden Gruppen auch hier zumeist nicht miteinander. Einem neuen Bericht des mit der Koalition eng zusammenarbeitenden Entwicklungsprojekts zufolge ergaben die Gespräche mit mehr als 700 Arbeitern, dass die allgemeine Wahrnehmung noch immer sei, "dass die farbigen Arbeiter um die Jobs konkurrieren. Die Realität ist jedoch, dass die Unternehmer um die billigste Arbeitskraft konkurrieren." Sowohl Gewerkschaften wie soziale Unterstützungsorganisationen sagen, dass sie bei ihrer Arbeit mit ausgesprochen trennenden Stereotypen konfrontiert werden.
Unternehmer haben die Immigranten willkommen geheißen, weil sie einfacher auszubeuten sind. Ana Mendes bspw., die über Arkansas aus Guatemala kam, arbeitete vier Wochen ohne Lohn, bis sie und ein Dutzend anderer den Arbeitgeber in seinem Haus aufspürten. In der Zwischenzeit wurden die vertriebenen schwarzen Einwohner — zwei Drittel der Bevölkerung New Orleans vor der Flut — aus einer Stadt verdrängt, in der Wohnraum Mangelware ist und die Mieten sich verdoppelt und verdreifacht haben. Deren Probleme wurzeln zum Teil in jener Armut, die sich bereits vor der Flut in der vierthöchsten Arbeitslosenrate des Landes und dem schlechtesten Schulsystem ausdrückten. Zehntausende Einwohner lebten vom Tagelohn einer Dienstleistungsindustrie. "Ohne auf jene zu schauen, die bereits vor dem Sturm in ungerechten Verhältnissen leben mussten", so einer der Hilfsorganisatoren, "kannst du nicht über gerechte Hilfsmaßnahmen reden."
An der größten Ecke für Tagelöhner gibt sich ein Schwarzer ängstlich und ärgerlich über die Mexikaner, die nicht hierher gehörten, und droht ihnen Prügel an. Debra Campbell, eine schwarze Hauseigentümerin, die nun in Houston lebt und an der Rückkehr arbeitet, sagt, die Mexikaner "tun wirklich gute Wiederaufbauarbeit. Sie holen aber ihre Familien nach und mieten sich die Häuser, weil sie das Geld dazu haben. Lasst unsere Jugend das Handwerk lernen, sodass sie die Arbeit machen können." Und Ana Mendes, die bisher im Putzgewerbe gearbeitet hat, sagt: "Wenn wir arbeiten, arbeiten wir. Wenn wir Pause machen, machen wir Pause. Die [die schwarzen Arbeiter] sind mehr wie..." — sie mimt einen genüsslichen Zug an der Zigarette.
Um den durch solche Wahrnehmungen verursachten Graben zu überbrücken, arbeitet die Coalition for Labor Justice sowohl mit afroamerikanischen Organisationen als auch mit erfahrenen Organisatoren der Latinotagelöhner zusammen. In einigen Fällen ist es ihr erfolgreich gelungen, die Unternehmer unter Druck zu setzen, ausstehende Löhne auszuzahlen. Koalitionsmitglieder arbeiten auch an kreativen Wegen, die ethnischen Gruppen zusammenzubringen bspw. mit einem Fest- und Feiertag für Frieden und Würde, bei deren Planung sie führende Vertreter der Gruppen beteiligt haben.
Während diese Graswurzelaktivitäten versuchen, einen Fuß in die zerstörte Stadt zu bekommen, kommen die nationalen Gewerkschaften mit ambitionierten Programmen in ein New Orleans, das traditionell eine Nichtgewerkschaftsstadt gewesen ist. Im Juli startete die Laborers Union Kurse für die Grundlagen der Wiederaufbauarbeit, ab September bietet die Service Employees International Union (SEIU) Kurse für Kinder- und Krankenpflege und häusliche Gesundheitspflege. Die Gewerkschaften setzen auf einen Wiederaufbauboom, sobald die Regierung die Bundesmittel zur Unterstützung der Hauseigentümer freigibt.
Der Gewerkschaftsdachverband AFL-CIO nähert sich dem Jobproblem von einer anderen Seite. Zwei, von gewerkschaftlichen Pensionsfonds gestützte, Investmentfonds wollen 700 Millionen Dollar in die Errichtung von Appartements, Hotels und Krankenhäuser pumpen. Das sei laut AFL-CIO die erste große Infusion privaten Kapitals in die Golfküste nach der Flut. "Wenn die Gemeinden und ethnischen Gruppen sehen, dass die Gewerkschaft ihnen in ihrem Kampf um Rückkehr und Wiederaufbau beisteht", so die Koordinatorin Arlene Holt Baker, "werden sie erkennen, dass eine starke Arbeiterbewegung allen zugute kommt. Diese Stadt wird nicht über Nacht zur Gewerkschaftsstadt. Aber wir legen die Grundlagen."
Doch wer bekommt die zu schaffenden Jobs? Obwohl beide Gewerkschaften ihre Offenheit betonen, sind die Programme an ehemalige Bewohner der Golfküste gerichtet. Die Absolventen der ersten Kurse sind alles Afroamerikaner.
"Wir müssen die Auseinandersetzungen hinter uns lassen, indem wir zur Kenntnis nehmen, dass wir nicht für einen 6- Dollar-Job kämpfen, der darin besteht, die Bettlaken anderer Leute Hotels zu wechseln", sagt Tracie Washington: "Der Kampf geht darum, aus dem Job einen 10-Dollar-Job zu machen und das Hotel letztendlich selbst zu besitzen."

Jane Slaughter

Jane Slaughter ist Redakteurin der US-amerikanischen Zeitschrift Labor Notes (Übersetzung: Christoph Jünke)


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