SoZ - Sozialistische Zeitung

Zur SoZ-Homepage SoZ - Sozialistische Zeitung, Oktober 2006, Seite 13

Nahost

Schlachtfeld des Bösen

Der Nahe Osten ist nicht allein Schlachtfeld zwischen USA/Israel auf der einen und Islamisten auf der anderen Seite. Auch andere kapitalistische Mächte — EU, China und Russland — sind aktive Protagonisten. Die Bevölkerung, vor allem die Armen, verlieren ihr Leben und ihre Habe. Sie sind die eigentlichen Opfer auf diesem Schlachtfeld.
Wo stehen die Linken in dieser Auseinandersetzung? Wie kann die antikapitalistische Bewegung in der Welt Stellung beziehen und effektiv wirken? Ein kurzer Blick auf die Hintergründe des Problems, auf Lage und Strategie der Kontrahenten, mag helfen, eine Antwort zu finden.

Das Problem

Der politische "Nahe Osten" ist mit dem geografischen nicht gleichzusetzen. Der politische Nahe Osten umfasst das Gebiet von Marokko in Nordwestafrika bis Iran und Afghanistan in Westasien. Dieser geopolitische Bereich strukturiert und formiert sich durch drei gemeinsame Voraussetzungen:
wirtschaftlich: das Erdöl,
politisch: das Palästina-Problem,
kulturell und religiös: der Islam.
Die Region um den Persischen Golf und zum kleineren Teil das Gebiet um das Kaspische Meer verfügt über nahezu 75% der anerkannten Ölquellen der Welt. Der Iran liegt zwischen diesen beiden Regionen. Die größten Erdölreserven liegen in Saudi-Arabien, dem Iran und dem Irak.
Für dieses Gebiet ist das Öl seit 80 Jahren die wichtigste Verbindung zur Weltwirtschaft — sie beeinflusst auch ihre politische Formierung. Um die Ölpolitik im Nahen Osten in den Griff zu bekommen und zu kontrollieren, unterstützten die USA und Großbritannien als die hier vorherrschenden Weltmächte, schon immer despotische Regierungen, während demokratische Bewegungen zerschlagen wurden.
Ein Beispiel dafür ist der vom CIA und dem M16 (dem britischen Geheimdienst) organisierte Putsch im Iran 1953. Er richtete sich gegen den damaligen Premier Mossadegh und die demokratische Bewegung zur Nationalisierung der Ölindustrie des Landes. Der Putsch brachte den Schah an die Macht, der sein despotisches Regime gestützt auf die Hilfe des Westens bis zur Revolution 1979 aufrechterhalten konnte.
Mit der Unterstützung der Imperialisten ist das Öleinkommen immer in die Taschen der herrschenden politischen Eliten geflossen. Das spielt eine große Rolle für die Unterdrückung und Diskriminierung großer Teile der Bevölkerung. Es bildet sozusagen den Hintergrund für den Hass auf die Imperialisten und den Westen. In den Augen der Bevölkerung ist sind die imperialistischen Weltmächte verantwortlich für ihre derzeitige miserable Situation.
Die Vertreibung der Palästinenser aus ihrem Land und ihre elende Lage seit 1948 ist für viele Menschen im Nahen Osten gewissermaßen der sinnbildliche Ausdruck für das Leiden der Bevölkerung der Region; daher die große Sympathie der Bevölkerung der angrenzenden Länder für die Palästinenser.
Die hartnäckige Ignoranz der Imperialisten gegenüber den Rechten der Palästinenser kann als Ursache des regionalen Konflikts betrachtet werden. Bedauerlich ist, dass die barbarische Gewalt des israelischen Regimes gegen die Palästinenser einen ausgeprägten Antisemitismus hervorbringt und den Weg auch für die bestialischen Aktionen der Islamisten freigemacht hat.
Die Instabilität der meisten Nahostregierungen liegt in ihrem prowestlichen Charakter begründet. Alle diese Regierungen sind korrupt, ihre Wirtschaft kapitalistisch, und mit Ausnahme des Iran und Syriens unterhalten sie gute Beziehungen zu den USA. Diese und ihr prowestliches Profil sind die Ursache dafür, dass die islamische Opposition ihren politischen Einfluss ausbauen konnte. In allen islamischen Ländern mit Ausnahme des Iran würde die Bevölkerung heute deshalb — hätte sie die Möglichkeit zur freien und demokratischen Wahl — islamistische Gruppierungen wählen. So geschah es in Algerien, der Türkei und in Palästina (Hamas).
Im Iran, der schon seit 27 Jahren von einem islamischen Regime regiert wird, ist alles offen. Dort hat die Bevölkerung alles erlebt, sie weiß, was kapitalistische Ausbeutung bedeutet und was ein religiöses despotisches Regime ist. Auch in Syrien haben die Islamisten eine Chance, trotz der unfreundlichen Beziehungen der USA zur syrischen Regierung, weil letztere korrupt und undemokratisch ist. Deshalb ist für die USA trotz aller Probleme die Assad-Regierung immer noch das kleinere Übel.

Die US-Strategie

Das Ziel der US-Strategie im Nahen Osten ist die alleinige Herrschaft über das Öl. Das war schon unter Clinton so, wenn auch die Mittel der Herrschaftsausübung damals andere waren. Dafür brauchen die USA in der Region nicht nur hörige, sondern auch stabile Regierungen. Die korrupten, despotischen Regierungen im Nahen Osten, die fast alle einer staatlich kontrollierten, kapitalistischen Wirtschaft vorstehen, sind nicht stabil.
Die USA und auch die EU versuchen daher, eine dominante Rolle für den Privatsektor in der Wirtschaft des Nahen Osten durchzusetzen. Dies soll der Region mehr Stabilität bringen und den Nahen Osten stärker in die globale Wirtschaft integrieren. Das ist der Kern des Programms für den Nahen Osten, das sog. "Große Nahostprogramm", das unter der Marke "Demokratisierung" verkauft wird.
Manche Regierungen sind noch nicht fit für dieses Programm, andere wie der Iran passen aus politischen Gründen nicht zur US-Strategie. Die Machthaber im Iran versuchen, alle wirtschaftlichen Voraussetzungen für die Integration in die "globale Wirtschaft" zu erfüllen.
Die politischen Hindernisse sind jedoch groß. Eine politische Reform dieses despotischen und religiösen Regimes, das die Mehrheit der Bevölkerung gegen sich hat, ist nicht möglich. Eine Verwirklichung der politischen Veränderungen aber, welche die USA wünschen, würde das Regime in eine gefährliche Situation und ihm einen Machtverlust bringen.
Für die USA ist die Frage, wer in Teheran regiert, das Herzstück des "Großen Nahostprogramms" — nicht nur wegen der geopolitischen Lage des Iran, sondern auch wegen seiner Rolle als spiritueller "Mutterstaat" der politischen islamischen Bewegung. Diese Rolle nutzt das Mullahregime seit seiner Gründung zur Erhaltung seiner Macht gegen seine Kontrahenten. Diese Rolle versuchen die USA zu schwächen und das Mullahregime zu beugen. Deshalb wollten sie den israelischen Krieg im Libanon nutzen, die Hizbollah, die westliche "Front" des Mullahregimes im Nahen Osten, lahmzulegen und das Nahostprogramm, das im Sumpf des Irak und Afghanistans steckengeblieben ist, wieder anzuschieben.

Die EU

Grundsätzlich ist die EU darauf vorbereitet, in das "Große Nahostprogramm" als Partner der USA einzusteigen. Auch kann die EU derzeit die vorherrschende Rolle der USA akzeptieren. Das gilt allerdings nicht für eine Alleinherrschaft oder für eine Vorherrschaft der USA auf dem Energiesektor weltweit. Die EU hat — mit Ausnahme des Iran — kein eigenes Standbein im Nahen Osten. Deshalb möchte sie die Krise im Iran nicht nach amerikanischem Rezept, nach Art der "harten Politik" gelöst wissen.
Die europäische Variante der Problemlösung sind anpassende Veränderungen im Iran-Regime durch Reformer wie dem ehemaligen Staatspräsidenten Khatami. Die Europäer unterhalten gute Beziehungen zu diesem Flügel der politischen Elite im Iran. Das ist der Grund dafür, dass sie durch ihre "softe Politik" in der Energiefrage weiter mitspielen können.
Obwohl die EU im Vergleich zu den USA und ihrer militärischen Intervention nur unzureichende Instrumente für eine "harte Politik" hat, kann sie durch eine Beteiligung an den militärischen Aufgaben im Libanon ihre Position festigen und gegenüber dem Rivalen USA behaupten.
Der Libanon ist ein wichtiger Standort für die EU, besonders für die Verwirklichung des "Plans für die Länder Nordafrikas und des östlichen Mittelmeer", — die zweite Phase der Weltexpansion nach der osteuropäischen Expansion. In diesem Rahmen findet auch die Türkeipolitik ihre Bedeutung. Beide, die USA wie die EU, verkaufen ihren jeweiligen Nahostplan in einer "Demokratie-Packung", schüren jedoch Krisen, üben diplomatischen Druck aus und organisieren militärische Intervention.
Auch China, der weltweit größte Energieverbraucher der Zukunft, und Russland wollen in diesem Spiel mitmischen. China bereitet sich darauf vor, in Zukunft eine eigene Rolle als Supermacht zu spielen. Die "Shanghai-Organisation" bringt China und Russland zusammen. Der Iran möchte gern Vollmitglied dieser Organisation werden.

Die Islamisten

Unter diesem Begriff werden politische Strömungen und Gruppierungen zusammengefasst, die ihre Wurzeln in den klerikalen islamischen — sunnitischen und schiitischen — Institutionen haben. Sie sind Teil der herrschenden Klasse, hatten jedoch schon immer Probleme mit allen Kolonialsystemen, die dem Nahen Osten von außen übergestülpt wurden und versucht haben, seine gesellschaftliche Entwicklung und "Modernisierung" zu diktieren.
Diese traditionellen privilegierten Institutionen standen als Verlierer der gesellschaftlichen Entwicklung da, waren aber doch Teil der herrschenden Klasse. Sie selbst bilden eine moderate Opposition, lassen aber zu, dass ihnen nahestehende politische Gruppierungen die Regierungen weitaus härter herausfordern.
Die islamistischen Gruppen standen nach dem Zweiten Weltkrieg trotz ihrer langen Geschichte (z.B. in Ägypten) bis zur Revolution im Iran 1979 immer im Schatten der Linken und Nationalisten. Die iranische Revolution und die Übernahme der Macht durch Khomeini und seine Gefolgsleute bedeutete einen Wendepunkt. Es war wir eine Entdeckung, dass es auch in modernen Zeiten möglich ist, die Macht mit alten Lehrern und Gesichtern zu übernehmen. Für die bislang randständigen Gruppen war das wie eine Erleuchtung und neue Energiequelle.
Gleichzeitig machten auch die USA und die europäischen Mächte den Weg für sie frei, indem sie islamische Gruppen in Afghanistan mit fast allen Mitteln gegen die Russen unterstützten. Es war die Zeit, wo die Linke weltweit auf dem Höhepunkt ihrer Krise war, besonders im Nahen Osten, und die Nationalisten mit ihren korrupten, despotischen Regierungen in Ägypten, in Syrien und im Irak vor dem Bankrott standen.
Die Folge aus dieser Situation war eine Renaissance des Islamismus. Sie nutzten den Islam, um die Macht zu übernehmen und zu behalten. An die Macht gelangt, errichteten sie erneut eine Klassenregierung — so im Iran (für die schiitische Variante) und in Afghanistan (für die sunnitische Variante der Taliban).
Sie waren und sind auch nicht gegen den wirtschaftsliberalen Kapitalismus. Die islamischen Führer im Iran beschlossen im Juli 2006, 80% alles staatlichen Eigentums zu privatisieren. Ihre traditionelle, vorkapitalistische Weltanschauung passt jedoch nicht zu den kapitalistischen Bedürfnissen, besonders in kultureller und gesellschaftlicher Hinsicht, das bereitet Probleme.
Sie haben sich auf die arme Bevölkerung gestützt, um an die Macht zu kommen, müssen nun aber die inneren politischen Konflikte nach außen verlegen, um die Macht zu behalten. Sie gründen ihre Macht auf den Islam und grenzen alle Andersgläubigen aus, insbesondere die Kommunisten, die sie als "Atheisten" und "Feinde Gottes" bezeichnen. An der Macht wird ihr politischer Charakter richtig sichtbar. Sie sind Feinde der sozialen Bewegungen, insbesondere der Arbeiterbewegung und der Frauenbewegung, sowie aller intellektuellen Tätigkeit. Die Geschichte des Iran zeigt das wahre Gesicht der Islamisten.
Was nun? Gibt es bei dieser strategischen Gemengelage auch Chancen für einen menschlichen, linken Ausweg aus dieser Hölle?

Piran Azad

Der Autor ist Mitglied der Gruppe Rahe Kargar ("Arbeiterweg"), einer iranischen kommunistischen Organisation. Piran Azad lebt in Deutschland.



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