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Der Nahe Osten ist nicht allein Schlachtfeld zwischen USA/Israel auf der
einen und Islamisten auf der anderen Seite. Auch andere kapitalistische Mächte EU, China und
Russland sind aktive Protagonisten. Die Bevölkerung, vor allem die Armen, verlieren ihr Leben
und ihre Habe. Sie sind die eigentlichen Opfer auf diesem Schlachtfeld.
Wo stehen die Linken in dieser
Auseinandersetzung? Wie kann die antikapitalistische Bewegung in der Welt Stellung beziehen und effektiv
wirken? Ein kurzer Blick auf die Hintergründe des Problems, auf Lage und Strategie der Kontrahenten,
mag helfen, eine Antwort zu finden.
Der politische "Nahe Osten" ist mit dem geografischen nicht gleichzusetzen. Der politische
Nahe Osten umfasst das Gebiet von Marokko in Nordwestafrika bis Iran und Afghanistan in Westasien. Dieser
geopolitische Bereich strukturiert und formiert sich durch drei gemeinsame Voraussetzungen:
wirtschaftlich: das Erdöl,
politisch: das Palästina-Problem,
kulturell und religiös: der
Islam.
Die Region um den Persischen Golf und zum
kleineren Teil das Gebiet um das Kaspische Meer verfügt über nahezu 75% der anerkannten
Ölquellen der Welt. Der Iran liegt zwischen diesen beiden Regionen. Die größten
Erdölreserven liegen in Saudi-Arabien, dem Iran und dem Irak.
Für dieses Gebiet ist das Öl seit
80 Jahren die wichtigste Verbindung zur Weltwirtschaft sie beeinflusst auch ihre politische
Formierung. Um die Ölpolitik im Nahen Osten in den Griff zu bekommen und zu kontrollieren,
unterstützten die USA und Großbritannien als die hier vorherrschenden Weltmächte, schon
immer despotische Regierungen, während demokratische Bewegungen zerschlagen wurden.
Ein Beispiel dafür ist der vom CIA und
dem M16 (dem britischen Geheimdienst) organisierte Putsch im Iran 1953. Er richtete sich gegen den
damaligen Premier Mossadegh und die demokratische Bewegung zur Nationalisierung der Ölindustrie des
Landes. Der Putsch brachte den Schah an die Macht, der sein despotisches Regime gestützt auf die Hilfe
des Westens bis zur Revolution 1979 aufrechterhalten konnte.
Mit der Unterstützung der
Imperialisten ist das Öleinkommen immer in die Taschen der herrschenden politischen Eliten geflossen.
Das spielt eine große Rolle für die Unterdrückung und Diskriminierung großer Teile der
Bevölkerung. Es bildet sozusagen den Hintergrund für den Hass auf die Imperialisten und den
Westen. In den Augen der Bevölkerung ist sind die imperialistischen Weltmächte verantwortlich
für ihre derzeitige miserable Situation.
Die Vertreibung der Palästinenser aus
ihrem Land und ihre elende Lage seit 1948 ist für viele Menschen im Nahen Osten gewissermaßen der
sinnbildliche Ausdruck für das Leiden der Bevölkerung der Region; daher die große Sympathie
der Bevölkerung der angrenzenden Länder für die Palästinenser.
Die hartnäckige Ignoranz der
Imperialisten gegenüber den Rechten der Palästinenser kann als Ursache des regionalen Konflikts
betrachtet werden. Bedauerlich ist, dass die barbarische Gewalt des israelischen Regimes gegen die
Palästinenser einen ausgeprägten Antisemitismus hervorbringt und den Weg auch für die
bestialischen Aktionen der Islamisten freigemacht hat.
Die Instabilität der meisten
Nahostregierungen liegt in ihrem prowestlichen Charakter begründet. Alle diese Regierungen sind
korrupt, ihre Wirtschaft kapitalistisch, und mit Ausnahme des Iran und Syriens unterhalten sie gute
Beziehungen zu den USA. Diese und ihr prowestliches Profil sind die Ursache dafür, dass die islamische
Opposition ihren politischen Einfluss ausbauen konnte. In allen islamischen Ländern mit Ausnahme des
Iran würde die Bevölkerung heute deshalb hätte sie die Möglichkeit zur freien
und demokratischen Wahl islamistische Gruppierungen wählen. So geschah es in Algerien, der
Türkei und in Palästina (Hamas).
Im Iran, der schon seit 27 Jahren von einem
islamischen Regime regiert wird, ist alles offen. Dort hat die Bevölkerung alles erlebt, sie
weiß, was kapitalistische Ausbeutung bedeutet und was ein religiöses despotisches Regime ist.
Auch in Syrien haben die Islamisten eine Chance, trotz der unfreundlichen Beziehungen der USA zur syrischen
Regierung, weil letztere korrupt und undemokratisch ist. Deshalb ist für die USA trotz aller Probleme
die Assad-Regierung immer noch das kleinere Übel.
Das Ziel der US-Strategie im Nahen Osten ist die alleinige Herrschaft über das Öl. Das war
schon unter Clinton so, wenn auch die Mittel der Herrschaftsausübung damals andere waren. Dafür
brauchen die USA in der Region nicht nur hörige, sondern auch stabile Regierungen. Die korrupten,
despotischen Regierungen im Nahen Osten, die fast alle einer staatlich kontrollierten, kapitalistischen
Wirtschaft vorstehen, sind nicht stabil.
Die USA und auch die EU versuchen daher,
eine dominante Rolle für den Privatsektor in der Wirtschaft des Nahen Osten durchzusetzen. Dies soll
der Region mehr Stabilität bringen und den Nahen Osten stärker in die globale Wirtschaft
integrieren. Das ist der Kern des Programms für den Nahen Osten, das sog. "Große
Nahostprogramm", das unter der Marke "Demokratisierung" verkauft wird.
Manche Regierungen sind noch nicht fit
für dieses Programm, andere wie der Iran passen aus politischen Gründen nicht zur US-Strategie.
Die Machthaber im Iran versuchen, alle wirtschaftlichen Voraussetzungen für die Integration in die
"globale Wirtschaft" zu erfüllen.
Die politischen Hindernisse sind jedoch
groß. Eine politische Reform dieses despotischen und religiösen Regimes, das die Mehrheit der
Bevölkerung gegen sich hat, ist nicht möglich. Eine Verwirklichung der politischen
Veränderungen aber, welche die USA wünschen, würde das Regime in eine gefährliche
Situation und ihm einen Machtverlust bringen.
Für die USA ist die Frage, wer in
Teheran regiert, das Herzstück des "Großen Nahostprogramms" nicht nur wegen der
geopolitischen Lage des Iran, sondern auch wegen seiner Rolle als spiritueller "Mutterstaat" der
politischen islamischen Bewegung. Diese Rolle nutzt das Mullahregime seit seiner Gründung zur
Erhaltung seiner Macht gegen seine Kontrahenten. Diese Rolle versuchen die USA zu schwächen und das
Mullahregime zu beugen. Deshalb wollten sie den israelischen Krieg im Libanon nutzen, die Hizbollah, die
westliche "Front" des Mullahregimes im Nahen Osten, lahmzulegen und das Nahostprogramm, das im
Sumpf des Irak und Afghanistans steckengeblieben ist, wieder anzuschieben.
Grundsätzlich ist die EU darauf vorbereitet, in das "Große Nahostprogramm" als
Partner der USA einzusteigen. Auch kann die EU derzeit die vorherrschende Rolle der USA akzeptieren. Das
gilt allerdings nicht für eine Alleinherrschaft oder für eine Vorherrschaft der USA auf dem
Energiesektor weltweit. Die EU hat mit Ausnahme des Iran kein eigenes Standbein im Nahen
Osten. Deshalb möchte sie die Krise im Iran nicht nach amerikanischem Rezept, nach Art der
"harten Politik" gelöst wissen.
Die europäische Variante der
Problemlösung sind anpassende Veränderungen im Iran-Regime durch Reformer wie dem ehemaligen
Staatspräsidenten Khatami. Die Europäer unterhalten gute Beziehungen zu diesem Flügel der
politischen Elite im Iran. Das ist der Grund dafür, dass sie durch ihre "softe Politik" in
der Energiefrage weiter mitspielen können.
Obwohl die EU im Vergleich zu den USA und
ihrer militärischen Intervention nur unzureichende Instrumente für eine "harte Politik"
hat, kann sie durch eine Beteiligung an den militärischen Aufgaben im Libanon ihre Position festigen
und gegenüber dem Rivalen USA behaupten.
Der Libanon ist ein wichtiger Standort
für die EU, besonders für die Verwirklichung des "Plans für die Länder Nordafrikas
und des östlichen Mittelmeer", die zweite Phase der Weltexpansion nach der
osteuropäischen Expansion. In diesem Rahmen findet auch die Türkeipolitik ihre Bedeutung. Beide,
die USA wie die EU, verkaufen ihren jeweiligen Nahostplan in einer "Demokratie-Packung",
schüren jedoch Krisen, üben diplomatischen Druck aus und organisieren militärische
Intervention.
Auch China, der weltweit größte
Energieverbraucher der Zukunft, und Russland wollen in diesem Spiel mitmischen. China bereitet sich darauf
vor, in Zukunft eine eigene Rolle als Supermacht zu spielen. Die "Shanghai-Organisation" bringt
China und Russland zusammen. Der Iran möchte gern Vollmitglied dieser Organisation werden.
Unter diesem Begriff werden politische Strömungen und Gruppierungen zusammengefasst, die ihre
Wurzeln in den klerikalen islamischen sunnitischen und schiitischen Institutionen haben. Sie
sind Teil der herrschenden Klasse, hatten jedoch schon immer Probleme mit allen Kolonialsystemen, die dem
Nahen Osten von außen übergestülpt wurden und versucht haben, seine gesellschaftliche
Entwicklung und "Modernisierung" zu diktieren.
Diese traditionellen privilegierten
Institutionen standen als Verlierer der gesellschaftlichen Entwicklung da, waren aber doch Teil der
herrschenden Klasse. Sie selbst bilden eine moderate Opposition, lassen aber zu, dass ihnen nahestehende
politische Gruppierungen die Regierungen weitaus härter herausfordern.
Die islamistischen Gruppen standen nach dem
Zweiten Weltkrieg trotz ihrer langen Geschichte (z.B. in Ägypten) bis zur Revolution im Iran 1979
immer im Schatten der Linken und Nationalisten. Die iranische Revolution und die Übernahme der Macht
durch Khomeini und seine Gefolgsleute bedeutete einen Wendepunkt. Es war wir eine Entdeckung, dass es auch
in modernen Zeiten möglich ist, die Macht mit alten Lehrern und Gesichtern zu übernehmen.
Für die bislang randständigen Gruppen war das wie eine Erleuchtung und neue Energiequelle.
Gleichzeitig machten auch die USA und die
europäischen Mächte den Weg für sie frei, indem sie islamische Gruppen in Afghanistan mit
fast allen Mitteln gegen die Russen unterstützten. Es war die Zeit, wo die Linke weltweit auf dem
Höhepunkt ihrer Krise war, besonders im Nahen Osten, und die Nationalisten mit ihren korrupten,
despotischen Regierungen in Ägypten, in Syrien und im Irak vor dem Bankrott standen.
Die Folge aus dieser Situation war eine
Renaissance des Islamismus. Sie nutzten den Islam, um die Macht zu übernehmen und zu behalten. An die
Macht gelangt, errichteten sie erneut eine Klassenregierung so im Iran (für die schiitische
Variante) und in Afghanistan (für die sunnitische Variante der Taliban).
Sie waren und sind auch nicht gegen den
wirtschaftsliberalen Kapitalismus. Die islamischen Führer im Iran beschlossen im Juli 2006, 80% alles
staatlichen Eigentums zu privatisieren. Ihre traditionelle, vorkapitalistische Weltanschauung passt jedoch
nicht zu den kapitalistischen Bedürfnissen, besonders in kultureller und gesellschaftlicher Hinsicht,
das bereitet Probleme.
Sie haben sich auf die arme
Bevölkerung gestützt, um an die Macht zu kommen, müssen nun aber die inneren politischen
Konflikte nach außen verlegen, um die Macht zu behalten. Sie gründen ihre Macht auf den Islam und
grenzen alle Andersgläubigen aus, insbesondere die Kommunisten, die sie als "Atheisten" und
"Feinde Gottes" bezeichnen. An der Macht wird ihr politischer Charakter richtig sichtbar. Sie
sind Feinde der sozialen Bewegungen, insbesondere der Arbeiterbewegung und der Frauenbewegung, sowie aller
intellektuellen Tätigkeit. Die Geschichte des Iran zeigt das wahre Gesicht der Islamisten.
Was nun? Gibt es bei dieser strategischen
Gemengelage auch Chancen für einen menschlichen, linken Ausweg aus dieser Hölle?
Piran Azad
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