SoZ - Sozialistische Zeitung

Zur SoZ-Homepage SoZ - Sozialistische Zeitung, Oktober 2006, Seite 19

"Ich erinnere mich an diesen Deutschen ganz genau"

Ausstellung zum Prozess gegen drei NS-Täter in Köln

"Aktenträger oder Massenmörder" betitelte der WDR 1979 eine Dokumentation über den im gleichen Jahr vor dem Kölner Landgericht stattfindenden Prozess gegen Kurt Lischka, Herbert Martin Hagen und Ernst Heinrichsohn. Zu diesem Prozess zeigte das NS- Dokumentationszentrum der Stadt Köln in diesem Jahr vom 12.Mai bis zum 16.September eine Ausstellung unter dem Titel "Ich erinnere mich an diesen Deutschen ganz genau. Der Lischka-Prozess: drei NS- Täter in Köln vor Gericht."
Das NS-Dokumentationszentrum hat seinen Sitz im sog. EL-DE-Haus am Appellhofplatz im Zentrum der Stadt. Das nach den Initialen seines Architekten benannte Gebäude war im "Dritten Reich" Sitz der Gestapo in Köln. Von Mai bis April 1940 war Kurt Lischka Chef der Kölner Gestapo.

Die Täter

Danach war Kurt Lischka von1940 bis 1943 stellvertretender Befehlshaber von Sicherheitspolizei und Sicherheitsdienst in Frankreich. In dieser Eigenschaft war er für die Deportation von Zehntausenden von französischen Jüdinnen und Juden in die Vernichtungslager in Polen verantwortlich. 1943 kehrte Lischka nach Deutschland zurück und war unter anderem Mitglied der Gestapo-Sonderkommission, die 1944 gegen die Attentäter vom 20.Juli 1944 ermittelte. Nach dem Krieg war er von 1947 bis 1950 in der Tschechoslowakei inhaftiert und wurde 1950 von einem französischen Gericht in Abwesenheit zu lebenslänglichem Gefängnis verurteilt. Lischka lebte aber von 1950 an unbehelligt in Köln, arbeitete ab 1957 als Prokurist und ging 1975 in Rente.
Herbert Martin Hagen war von 1933 bis 1940 Mitarbeiter von Eichmann, von 1940 bis 1942 Kommandeur von Sicherheitspolizei und Sicherheitsdienst in Bordeaux und ab 1942 Referatsleiter dieser beiden Organisationen in Paris. Nach dem Krieg arbeitete er bis zu seinem Prozess ebenfalls völlig unbehelligt im westfälischen Warstein als Geschäftsführer.
Der dritte Angeklagte — Ernst Heinrichsohn — war ab 1940 im Judenreferat der Gestapo in Frankreich beschäftigt. Ab 1943 war er Kommandeur in der Sicherheitspolizei und im Sicherheitsdienst. Er machte nach dem Zweiten Weltkrieg die bemerkenswerteste Karriere der drei Angeklagten. Er ließ sich im fränkischen Bürgstadt als Rechtsanwalt nieder und trat der CSU bei. Als deren Kandidat wurde er zum Bürgermeister gewählt. Auch nachdem die Anklage bereits bekannt geworden war, wurde er mit 85,6% der Stimmen wiedergewählt.

Der Prozess

Erst 1971 trat eine Zusatzvereinbarung zum Überleitungsvertrag zwischen der Bundesrepublik und den Westalliierten von 1955 in Kraft, wonach in Abwesenheit Verurteilte auch in Deutschland juristisch verfolgt werden konnten. Auf Lischka wurde man aber vor allem durch einen spektakulären Entführungsversuch aufmerksam, den Beate Klarsfeld unternahm. Sie und ihr Mann Serge prangerten immer wieder die Verantwortung Lischkas und seiner Komplizen an. Sie fuhren sogar in die tiefe deutsche Provinz, nach Warstein und Bürgstadt, um dort auf ihr Anliegen aufmerksam zu machen. Bis zur Eröffnung des Hauptverfahrens vor dem Kölner Landgericht dauerte es aber noch bis zum Oktober 1979. Als Nebenkläger traten hier u.a. Serge Klarsfeld sowie Prof. Friedrich Karl Kaul aus der DDR auf, der als "Anwalt der DDR" häufig vor westdeutschen Gerichten bei NS-Verfahren in Erscheinung trat. Zum Prozessauftakt hatten die Kinder von französischen Holocaust-Opfern in Köln mit einer großen Demonstration für Aufsehen gesorgt.
Während des Prozesses versuchten sich die Angeklagten als harmlose Aktenträger und Befehlsempfänger darzustellen, wie es bereits der Titel der WDR-Dokumentation andeutete. Dank einer kritischen Berichterstattung der Medien und einer — wie auch die Nebenklage hervorhob — souveränen Verhandlungsführung des Gerichts kam es aber doch zu einer vergleichsweise harten Verurteilung. Die im Februar 1980 gefällten Urteile lauteten: 10 Jahre für Lischka, 12 Jahre für Hagen und 6 Jahre für Heinrichsohn. Dem Verlangen der Opfer nach Gerechtigkeit war damit — soweit juristisch möglich — Genüge getan. Der Skandal, dass die drei Angeklagten wie viele andere Jahrzehnte unbehelligt in der BRD gelebt hatten, konnte nicht mehr aus der Welt geschafft werden.

Die Ausstellung

Hier wurde ein nachgebauter Gerichtssaal in den Mittelpunkt gestellt. Dort konnten Dokumente des Gerichts, der Anklage und der Verteidigung sowie Aussagen von Zeuginnen und Zeugen am jeweils dafür in einem Gerichtssaal vorgesehenen Platz nachgelesen und -gehört werden. Im Gang um den "Gerichtssaal" waren Dokumente über die NS-Verbrechen in Frankreich und die zeitgenössische Berichterstattung über den Prozess zu sehen. Dabei wurde vor allem die Rolle von Beate Klarsfeld bei der Anklageerhebung gegen Lischka, Hagen und Heinrichsohn positiv hervorgehoben. Es gab ein Rahmenprogramm mit Informationsveranstaltungen über die Verfolgung französischer Jüdinnen und Juden während des "Dritten Reichs" sowie über den meist beschämenden Umgang der westdeutschen Nachkrieggesellschaft mit NS-Verbrechen und einer Filmreihe. Die Ausstellung enthielt dem Zeitgeist entsprechende Seitenhiebe gegen den DDR-Juristen Kaul, dem als Vertreter eines "totalitären" Systems zumindest indirekt die Legitimation abgesprochen wurde, in NS- Verfahren aufzutreten, obwohl in der DDR NS-Verbrechen konsequenter verfolgt wurden als in der BRD. Abgesehen davon darf die Ausstellung als gelungen angesehen werden.

Andreas Bodden

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