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Im hiesigen Brecht-Jubiläumsjahr lohnt es sich, auf ein Buch aufmerksam
zu machen, das bereits im letzten Jahr des vergangenen Jahrhunderts erschienen ist: Manfred Wekwerths
Memoiren Erinnern ist Leben. Wekwerth (Jahrgang 1929) ist einer der bedeutenden
Theaterpersönlichkeiten unserer Zeit und war ab 1951 mit Unterbrechungen als Regieassistent, Regisseur
und Intendant am berühmten Berliner Ensemble dem Theater Bertolt Brechts tätig.
Selbstbewusst und mit heiterer Gelassenheit lässt Wekwerth ein bedeutendes Stück
Theatergeschichte und ein intellektuelles Panorama von 1950 bis zur Gegenwart Revue passieren, wobei seine
Erinnerungen in fünf Kapitel gegliedert sind, die den Akten eines Dramas entsprechen.
Anschaulich schildert der Autor die
Atmosphäre am Berliner Ensemble während der DDR-Aufbaujahre, die Rolle Brechts, die
Auseinandersetzungen um unterschiedliche künstlerische Konzeptionen, aber auch die persönlichen
Querelen unter den Mitarbeitern im Ensemble, in dem er zu Beginn als Regieassistent tätig war.
Aufschlussreich ist vor allem seine
Schilderung der Ereignisse um den 17.Juni, insbesondere Brechts Haltung. Von Wekwerth in der Nacht vom 16.
auf den 17.Juni 1953 gefragt, was er in dieser Situation tun würde, lautete Brechts Antwort: "Die
Streikenden bewaffnen." Brecht zufolge hätten die streikenden Arbeiter bei den Ereignissen des
nächsten Tages sich nicht nur gegen die Bevormundung von oben zu wehren, sondern mehr noch gegen den
Missbrauch von rechts.
Im Zusammenhang mit dem 1951 erfolgten
Verbot von Brechts Oper Das Verhör des Lukullus durch das SED-Regime wendet sich Wekwerth in der
Rückschau gegen die auch unter Linken verbreitete irrige Auffassung, derzufolge der Stalinismus
"Linksradikalismus" sei, "zu dem jede Revolution neige": "Stalinismus ist nicht
eine revolutionäre Verirrung, sondern Zurücknahme der Revolution. Seine Methode ist nicht
kommunistische Radikalisierung, sondern Verbürgerlichung ... Die Oper wurde nicht, wie heute oft
behauptet wird, abgesetzt, weil die SED ihre revolutionäre Gewalt ... ausübte, sondern weil
revolutionäre Kunst gegen verbürgerlichte ausgetauscht werden sollte."
Nach Brechts Tod 1956 leitet Wekwerth
gemeinsam mit Peter Palitzsch und Benno Besson das Berliner Ensemble. 1968 kündigt Wekwerth nach
Auseinandersetzungen mit Brechts Witwe Helene Weigel über eine nach seiner Auffassung erforderliche
künstlerische Neuorientierung.
Wekwerth macht nun Inszenierungen für
das DDR-Fernsehen und ist als Regisseur an großen europäischen Bühnen tätig, darunter
das Wiener Burgtheater und das Schauspielhaus Zürich. An Laurence Oliviers London National Theatre
inszeniert er Shakespeares Coriolan mit Anthony Hopkins in der Titelrolle. Es ist der erste große
Erfolg eines Schauspielers, der später mit der Hauptrolle in Das Schweigen der Lämmer zum
Weltstar wurde.
Nach Helene Weigels Tod (1971) sinken unter
der Intendantin Ruth Berghaus die Zuschauerzahlen des Berliner Ensembles drastisch, und Manfred Wekwerth
lässt sich 1978 von Konrad Wolf, dem Akademiepräsidenten, überzeugen, die Intendanz des BE
zu übernehmen. Brechts Galilei und Volker Brauns Großer Frieden gehören zu den
Aufführungen, bei denen der Intendant Wekwerth selber Regie führt.
In den 80er Jahren spitzen sich die
politischen und wirtschaftlichen Probleme der DDR zu. Sie wird zu einem "Land im Zustand des Wartens,
das aber nicht mehr genau weiß, auf was" (Robert Weimann). Wekwerth formuliert im November 1988
seine Besorgnis über die Lage. In einem Brief an Stephan Hermlin schreibt er von der
"eklatante[n] Entmündigung der Leute": "Brechts List der Vernunft reicht
nicht mehr. Wir brauchen die Diktatur der Vernunft, jedenfalls bei unseren politischen
Größen."
Bereits 1978 hatte Wekwerth in einem Brief
an den westdeutschen Bühnenbildner Hans-Ulrich Schmückle die Mechanismen beschrieben, die zum
Untergang der DDR beigetragen haben: "Man glaubt sich hier im Besitz der Wahrheit, weil
man Marx im Bücherregal hat. Man vergisst, dass für Marx nur wahr ist, was sich täglich als
wahr erweist. Das schafft unerträgliche Zufriedenheit: Oben, indem man sich dort für
das führende Gesetz hält, das unausweichlich Wahrheit produziert, auch wenn man
selbst nichts dafür tut; unten, da man alles denen da oben
überlässt, weil die ja die Wahrheit gepachtet haben. Die Folge: unkontrollierte Macht
kontrollierter Gehorsam."
1989 gehört das BE zu den Initiatoren
der großen Protestdemonstration vom 4.November. 1992 wird Wekwerth aufgrund der Entscheidung des
Berliner Kultursenators beim Berliner Ensemble "abgewickelt", weil er für die
Unterdrückung der künstlerischen Freiheiten in der DDR mitverantwortlich gewesen sei ein
Vorwurf, gegen den sich der Autor im letzten Akt seines Buches überzeugend zu verteidigen weiß.
Hans-Günter Mull
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