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Homepage SoZ - Sozialistische Zeitung, November 2006, Seite 09

Partei im Strudel

Die CDU in Brandenburg

Der General hat‘s nicht richten können. Jörg Schönbohm gibt den CDU-Vorsitz in Brandenburg ab und die Partei fällt wieder in Grabenkriege zurück.
Im ostdeutschen Süden — in Sachsen und Thüringen — hat sie das Heft seit der Wende 1989/90 fest in der Hand, in der Mitte — in Sachsen-Anhalt — hat sie es nach achtjähriger Unterbrechung 2002 wieder in die Hand genommen, im Norden — in Mecklenburg-Vorpommern — war sie 1990 und 1994 Wahlsiegerin und wäre es im November 2006 fast wieder geworden: nur in Brandenburg hat es noch nie mit dem ersten Platz geklappt, und es ist auch nicht absehbar, dass es in Zukunft einmal klappen könnte. Gemeint ist die CDU — die Partei, die im Bund die Kanzlerin stellt.
Warum ist sie so schwach in Brandenburg? Was hat die CDU in Sachsen und Thüringen, was die Brandenburger CDU nicht hat? Eine Antwort auf diese Fragen führt in die Entwicklung der ostdeutschen Bundesländer nach der Wende.
Den größten Erfolg hatten damals jene Parteien, die vom ersten Tage an einen "Landesvater" zu bieten hatten. Nicht Parteiprogramme waren bei der Mehrheit der Wählerinnen und Wähler gefragt, nicht anstrengende Überlegungen darüber, wie man eine Nach-Wende-DDR anders aufbauen könnte als die alte Bundesrepublik, sondern ein "starker Mann" an der Spitze, dem sie sich anvertrauen konnten auf dem Weg in die Zukunft.
Helmut Kohl, der Bundeskanzler der CDU, hatte es vorgemacht. "Keine Experimente" war seine Devise, und als er "blühende Landschaften" versprach, hatte es geklungen, als sei das tatsächlich ein richtiger Plan — aufgeschrieben und mit durchgreifender Weisungsmacht untersetzt, etwa so, wie das bei den Beschlüssen von SED-Parteitagen der Fall war. Egal, ob man diese Beschlüsse gemocht hatte oder nicht, klar war immer, ihnen folgten stets spürbare Taten, aus denen man sich je nach Lage der Dinge persönliche Gewinne oder Verluste ausrechnen konnte.
So führte die Ankündigung "keine Experimente" und "blühende Landschaften" bei den Volkskammerwahlen am 18.März 1990 zum völlig unerwarteten Triumph der CDU und zugleich zu einer massiven Zurückweisung nicht nur der SED-Nachfolgepartei PDS, sondern auch der neuen Parteien und Bewegungen, die sich — anders als die Blockpartei CDU — aus der Opposition in der DDR heraus entwickelt hatten und nicht nur etwas anderes als die SED, sondern auch etwas anderes als die etablierten westdeutschen Parteien wollten.
Für Sachsen und Thüringen hatte die CDU zwei altgediente, stark profilierte westdeutsche Größen zu bieten, die ihrem Bundeskanzler in vollmundigen Versprechungen wie in konzentrierter Machtbewusstheit und im Nutzen von Seilschaften in Bürokratie und Wirtschaft nicht nachstanden. Kurt Biedenkopf ging nach Dresden und gab dort von 1990 bis 2002 den "Erlöser", Bernhard Vogel ersetzte in Erfurt mitten in der Legislaturperiode 1992 den glücklosen Ostdeutschen Josef Duchac und herrschte unumstritten bis 2003. Ganz anders in Sachsen-Anhalt: Dort wurde der CDU-Wahlsieg von 1990 in der kurzen Zeit bis 1994 hintereinander von drei profillosen Ministerpräsidenten aus Ost und West völlig vergeigt, erst mit der Vaterfigur Wolfgang Böhmer gelang 2002 die Rückkehr an die Spitze. Auch in Mecklenburg-Vorpommern fiel die CDU vor allem durch Profillosigkeit auf. Sie schaffte es mit zwei Ost-Ministerpräsidenten bis 1998, aber dann musste sie das Handtuch werfen.
Richtige "Väter" kümmern sich um starke "Söhne". Auch das ist Biedenkopf und Vogel gelungen. Sie haben ihre Macht an langfristig aufgebaute Nachfolger übergeben. Der Westdeutsche Georg Milbradt in Sachsen und der Ostdeutsche Dieter Althaus in Thüringen haben die CDU trotz spürbarer Stimmenverluste an der Spitze gehalten.

Das Bedürfnis nach dem Landesvater

Und in Brandenburg? In Brandenburg hat die CDU 1989/1990 einfach nicht begriffen, dass sie Manfred Stolpe den Parteivorsitz hätte anbieten müssen. Dann wäre dieser Kirchenmann nicht in die SPD eingetreten und aus ihr heraus "Landesvater" geworden, sondern eben aus der CDU. Von 1990 bis 2002 hat er regiert, seine Politik hat sich bis auf die Tatsache, dass er keine alten Spezies aus der westdeutschen Wirtschaft ins Land holen konnte, von der eines Biedenkopf oder eines Vogel nur unwesentlich unterschieden, und auch er hat einen Nachfolger aufgebaut: Matthias Platzeck. Die Wege zum Erfolg sind ähnlich. Auch Stolpe hat einmal mit absoluter SPD-Mehrheit regiert (1994—1999) und ansonsten Koalitionen (fast) aller Art vorgestanden: 1990—1994 einer Ampel-Koalition aus SPD, FDP und Grünen, ab 1999 einer Koalition mit der CDU. Nur mit der PDS und späteren Linkspartei wollte er nicht und war sich darin mit Nachfolger Platzeck einig, sozialdemokratische Politik gehe mit der CDU besser als mit der PDS.
Die Brandenburger CDU hat im Schatten des übermächtigen Manfred Stolpe von 1990 bis 1999 sechs verschiedene Landesvorsitzende gehabt. Mit Ausnahme von Ulf Fink waren es alles Leute aus der alten Ost-CDU — immer daran verzweifelnd, dass Stolpe schon alles aufgesogen hatte an des Volkes Bedürfnis an Landesvaterschaft.
Im Jahre 1999 kam Jörg Schönbohm. Mit ihm an der Spitze sollte es endlich klappen. Aber der rechtskonservative General konnte zwar Ordnung in die Parteireihen bringen, erwies sich jedoch als unfähig, auch nur in Ansätzen zu verstehen, womit seine Parteikollegen Biedenkopf und Vogel soviel Erfolg gehabt hatten. Die hatten sich eingefühlt in die gebeutelte ostdeutsche Seele, hatten — ganz so, wie SPD-Stolpe in Brandenburg — immer wieder Gesten des Verständnisses gefunden. Schönbohm hingegen steckt immer noch tief in den Gräben des Kalten Krieges. Der Osten ist ihm so fremd — und in vielen Teilen geradezu hassenswert, wie man das in den 60er Jahren wohl in den Politschulungen der Bundeswehr verkündet hat. Die Wählerschaft hat‘s gemerkt. Auf 26,5% im Jahre 1999 folgten 19,4% 2004 — weit abgeschlagen hinter der SPD mit 31,9% und der PDS mit 28%.
Nun ist der Kampf um die Schönbohm-Nachfolge entbrannt. Rechtsaußen Sven Petke, Ziehsohn des Generals und Vertreter eines fundamental antisozialistischen, arroganten, alles Solidarische in der Gesellschaft als hinderlich zurückweisenden Führungsstils, Exponent kalter neoliberaler Jugendlichkeit, steht gegen den von Schönbohm jetzt favorisierten Wirtschaftsminister Ulrich Junghanns, von dem sich manch einer wohl immer noch erhofft, er möge der Ost-Komponente in der Partei ein wenig mehr Stimme verleihen. Aber Junghanns ist nur wenig profiliert, steht in der Tradition der schwachen ehemaligen Landesvorsitzenden, und der schon fast endlose öffentliche Streit um die Petke zur Last gelegte E-Mail-Affäre schwächt die Partei weiter.
Wird die Brandenburger CDU aus dem Strudel herauskommen? Im Moment gibt es dafür wenig Anzeichen. Freude darüber sollte jedoch in der Linken nicht wirklich aufkommen. Denn erfolgreiche "Landesvaterschaft" hier und verzweifeltes Dahindümpeln im Schatten solcher "Landesvaterschaften" da — das sind zwei Seiten derselben Medaille: Mangel an profilierten Programmen und Visionen, über die sich demokratisch zu streiten lohnt. Aus diesem Mangel erwächst die oft beklagte Politikmüdigkeit wie auch die wachsende Bereitschaft, sich rechtsextremistischen Positionen zuzuwenden.

Michael Wildenbruch

Der Autor ist Politikwissenschaftler in Berlin.



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