SoZ - Sozialistische Zeitung |
Rainer Roth hat unter Mitarbeit von Irmgard Schaffrin, Robert Schlosser und Sturmi Siebers die Forderung nach einem
bedingungslosen Grundeinkommen (BGE) einer grundsätzlichen Kritik unterzogen (Rainer Roth: Zur Kritik des "Bedingungslosen
Grundeinkommens", Frankfurt 2006, 3 Euro).
Im Vordergrund steht dabei die Forderung nicht in der Version der Unternehmer oder der
Liberalen, sondern in der Version vieler Linker, wie sie in Foren von Attac und bei Erwerbslosen diskutiert wird und im "Netzwerk
Grundeinkommen" eine eigene Initiative besitzt. Diese Kräfte fordern das BGE aus völlig anderen Gründen und mit völlig
anderen Absichten als etwa ein Götz Werner. Sie lehnen Arbeitszwang im Gegenzug zu Transferleistungen ab eine Prämisse, die die
Autoren teilen.
Dennoch akzeptieren die Autoren das BGE "weder als konkrete Tagesforderung noch als langfristiges Ziel". Für kritikwürdig halten
sie insbesondere die Forderung nach "Bedingungslosigkeit". Damit ist die Befreiung von jeglicher Arbeitsverpflichtung gemeint: Mensch muss
entscheiden können, ob er oder sie überhaupt arbeiten möchte. Dem halten die Autoren entgegen: Jedes Einkommen muss erarbeitet werden.
Aus der hohen Arbeitslosigkeit kann man nicht schließen, dass die Arbeit deshalb überflüssig geworden sei.
Auch dass jeder ungeachtet seiner Bedürftigkeit das BGE bekommen soll auch
Grundeigentümer, Vermögensbesitzer und Kapitalist, stößt auf ihren Widerspruch. Das BGE würde nicht nur denen gezahlt, die
sonst kein Einkommen und kein nennenswertes Vermögen haben, sondern allen Menschen; Lohn und Gehalt wären zusätzliches Einkommen.
Damit würden alle abhängig Beschäftigten einen Kombilohn erhalten, und auf allen Ebenen würde der Lohn massiv gedrückt.
"Es ist falsch, die Interessen von Erwerbslosen zu verteidigen, indem man für die drastische Ausweitung von Kombilöhnen bzw. für
massive steuerfinanzierte Lohnsubventionen eintritt", lautet das erste Fazit.
Für die bisherigen Sozialsysteme hätte die Einführung eines BGE
gravierende Folgen. Sozialsysteme sichern die Reproduktion der vom Kapital genutzten Arbeitskraft. Je mehr davon nicht vom Kapital, sondern aus
Steuermitteln gezahlt wird (eine Tendenz, die von der rot-grünen Gesetzgebung vorangetrieben wurde), umso mehr wälzt das Kapital die Kosten der
Arbeitskraft, die es vernutzt, auf die Allgemeinheit (in der Mehrzahl Lohnabhängige) ab. Daher bietet die Forderung nach einem BGE gewollt
oder nicht eine offene Flanke für die neoliberale Tendenz, Unternehmern die sog. Lohnnebenkosten zu ersparen und trifft deshalb auch bei Teilen
von ihnen auf Zuspruch.
Roth und seine Mitautoren polemisieren gegen das BGE, weil es den Unterschied zwischen
den wirklich Bedürftigen, Erwerbslosen und Minijobbern, und den Reichen, den Ackermanns und Quandts, nicht ziehen mag. "Indem das BGE im
Namen aller Menschen gefordert wird, behindern seine Befürworter den notwendigen Prozess der Verständigung und des Zusammenschlusses der
Mehrheit der Menschen gegen eine Minderheit, um ihre Interessen zu vertreten." Die Autoren befürchten, dass die Solidarisierung mit linken
Gewerkschaftern erschwert wird, wenn deren Forderung nach einem Mindestlohn von 10 Euro oder nach der 30-Stunden-Woche das BGE entgegengestellt wird.
Das BGE wird oft als Alternative zum bestehenden System der Lohnarbeit verstanden. Hier
setzt Roth grundsätzlich an, erläutert den Zusammenhang von Geld(einkommen) und kapitalistischer Produktion und deckt viele Illusionen der
BGE-Befürworter über den ökonomischen Hintergrund des BGE auf. Die Autoren vermissen trotz aller Ablehnung der (Lohn-)Arbeit eine
radikale Kritik der kapitalistischen Verhältnisse: "Das BGE verspricht die Emanzipation von Lohnarbeit, obwohl es Lohnarbeit zwingend
voraussetzt ... Das BGE, gerade weil es aus Geld besteht, setzt eine gut funktionierende Kapitalverwertung voraus."
Die Autoren plädieren für eine andere Utopie: mehr gesellschaftliche Leistungen bei Kindererziehung, Haushaltsarbeit, öffentlichen
Dienstleistungen, statt Transferzahlungen an alle Individuen, mit denen sich das Kapital von seinen gesellschaftlichen Verpflichtungen befreit. "Die
Forderung nach einem BGE ist das Konzentrat der Grundidee eines Kapitalismus, der Gerechtigkeit und Solidarität durch gerechte Verteilung von Geld
verwirklicht ... Die Verteilungsverhältnisse hängen aber letztlich von den Produktionsverhältnissen, oder anders ausgedrückt, von den
Eigentumsverhältnissen ab. Diejenigen, die Produktionsmittel besitzen, eigenen sich auch den mit ihnen produzierten Reichtum an."
Dieser kleine "Grundlehrgang Marx" scheint nötig, um der Illusion
entgegenzutreten, das BGE sei ein Instrument, den Reichtum gerecht zu verteilen und Armut abzuschaffen und mehr Freiheit herzustellen. Der BGE-Bezieher
bleibt "ausgeschlossen von der Freiheit, selbst Eigentümer der materiellen Mittel und Bedingungen zu sein (und dadurch über sie
verfügen zu können), mit denen und unter denen die Güter produziert werden, die für das eigene Leben und die Gesellschaft notwendig
und wünschenswert sind".
"Utopisch ist nicht die Sehnsucht, befreit vom Arbeitszwang und
Verwertungsinteressen leben und arbeiten zu wollen, utopisch ist es, sich die Erfüllung dieser Sehnsucht unter Bedingungen der Kapitalverwertung
vorzustellen und zu erhoffen. Der Kapitalismus geht tatsächlich schwanger mit einer anderen Gesellschaft, aber nicht mit dem Phantom
eines sozialen, solidarischen und gerechten Kapitals", endet das Buch und öffnet der Debatte eine solidarische Richtung.
Rolf Euler
Informationen und Meinungen sollten keine Waren sein. Und Geld ist ein Fetisch.
Dennoch und ganz praktisch: Die Online-SoZ sieht nur umsonst aus. Wir brauchen Eure Euros.
Spendet steuerlich abzugsfähig!
VsP, Postbank Köln, BLZ 370100 50,
Kontonummer 603 95 04