SoZ - Sozialistische Zeitung |
Als 1950 in Belgien ein Generalstreik den König, der mit den Nazis zusammengearbeitet hatte, zwang abzudanken,
verbreitete die radikale Linke bei uns die Parole: Belgisch lernen!
Als 1956 in Polen eine Revolte der Arbeiter zur Absetzung von Bierut führte und den
vormals als "Titoist" verfolgten Gomulka an die Macht brachte, lautete die Losung: Polnisch lernen!
Jetzt, wo sich in der DDR vor unseren auf den Fernsehschirm gerichteten Augen eine
Volksrevolution vollzieht, scheinen wir verstummt zu sein. Dabei ist doch offensichtlich der Zeitpunkt gekommen, die westdeutsche Arbeiterbewegung, an erster
Stelle die Gewerkschaften, aufzufordern, "Sächsisch zu lernen"!
Sollte es denn keine Lehre für uns sein, dass es "drüben" ausreichte
trotz der angeblich allmächtigen Stasi und mangelnder demokratischer Rechte zu Hunderttausenden die Straße zu erobern, um die
Absetzung eines Generalsekretärs und Staatsratsvorsitzenden zu erzwingen?
Hier aber gelang es einer gewaltigen Massenbewegung nicht, den
"Schandparagrafen" zu verhindern wie Franz Steinkühler zu Recht den abgeänderten §116 Arbeitsförderungsgesetz
nennt , der das Streikrecht aushöhlt. Liegt das nicht daran, dass der Kampf in der Hoffnung abgebrochen wurde, die Bundestagswahlen, die damals
bevorstanden, würden eine politische Wende bringen? Die Wiederherstellung der Zahlungspflicht durch die Bundesanstalt für Arbeit an
Ausgesperrte, die nur mittelbar von einem Arbeitskampf in einem anderen Tarifgebiet betroffen sind, sollte "parlamentarisch" erreicht werden.
Wie aber, wenn der Spontispruch wahr ist: "Wenn Wahlen etwas verändern
könnten, wären sie verboten." Wenn nur der unerschütterte Kinderglaube bei uns auf die alle vier Jahre stattfindenden Wahlen setzen
lässt, was wir eben nur auf der Straße erringen können?
Für die kommende Tarifbewegung hat die IG Metall vier Ziele gesteckt:
35-Stunden-Woche mit vollem Lohnausgleich.
Freistellung des Wochenendes von der Regelarbeitszeit.
Beträchtliche Einkommenserhöhungen, um den Arbeitenden ihren Anteil
an den in den letzten drei Jahren enorm gestiegenen Profiten wenigstens nachträglich zu verschaffen.
Keine Laufzeiten, die den Gewerkschaften allzu lange die Hände binden.
Aber noch ehe die regionalen Tarifkommissionen zusammengetreten sind, verkündet
der Präsident des Deutschen Industrie- und Handelstags, Stihl, dass, wenn es 1990 zu einem Arbeitskampf kommen sollte, die Arbeitgeber sich sofort
"durch eine allgemeine Aussperrung im gesamten Bundesgebiet zur Wehr setzen" müssten. Das aber wäre eine Angriffsaussperrung mit
dem Ziel, die Gewerkschaften entweder zu zwingen, zu Schoßhündchen der Kapitalbesitzer zu werden, oder sie so zuzurichten, dass von ihnen nur
noch eine Fassade übrigbleibt, die innen ausgebrannt ist.
Was würden dann noch alle papiernen Rechte und Freiheiten nützen, was
würde die parlamentarische Demokratie wert sein, wenn das Herzstück, das allein ihre Überlebensgarantie ist, eine kampffähige
autonome Gewerkschaftsbewegung, herausgeschnitten wird?
In der DDR wird uns gezeigt, wie wir das hier verhindern können. Darum
müssen wir "Sächsisch" lernen, um siegen zu lernen. Stärker als die Stasi können unsere
"Ordnungskräfte" doch wohl auch nicht sein! Und was die "drüben" ohne "Freiheitsgarantien" können,
müsste uns hier mit den grundgesetzlich garantierten Rechten, auf die wir so stolz sind, doch auch möglich sein.
Allerdings nur, wenn die Gewerkschaften erkennen, dass die Gefahr, der sie sich aussetzen
würden, auch eine gewaltige Chance ist: ein für allemal klarmachen, dass wir uns von denen, die von der Arbeit unserer Hände und dem
Erfindergeist unserer Köpfe leben, nicht aus den Betrieben aussperren lassen, die rechtmäßig die unsrigen sein müssten.
Jakob Moneta
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