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Homepage SoZ - Sozialistische Zeitung, November 2006, Seite 15

Jahrhunderttechnologie Transrapid?

Was dagegen spricht

1,2 Milliarden Mark wurden bisher für die Magnettechnologie ausgegeben. Dennoch steht die Magnetbahn "Transrapid" mehr als sie fährt. Jetzt sollen bis zu 10 Milliarden Mark Steuergelder für eine erste "Referenzstrecke" ausgegeben werden. Ein Subventionsfass ohne Boden.
"Der wohlfeile, schnelle, sichere und regelmäßige Transport von Personen und Gütern ist einer der mächtigsten Hebel des Nationalwohlstands und der Zivilisation." 151 Jahre später wird an den Worten Friedrichs Lists aus dem Jahr 1837 angeknüpft. "Die Situation ist heute vergleichbar mit der zu Anfang des vergangenen Jahrhunderts, als über den Bau der ersten deutschen Eisenbahnstrecke entschieden werden musste." So Hans Georg Raschbichler am 15.März 1988 auf einem Symposium in Münster, das die Magnettechnologie ins rechte Licht rücken soll. Raschbichlers Fehlgriff um ein Dritteljahrhundert — die ersten Überlegungen "über ein allgemeines deutsches Eisenbahn-System", eine Schrift F.Lists, erschienen 1833 — muss der Hitze des Konkurrenzgefechts geschuldet sein, in der sich die bundesdeutschen Betreiber der Magnetbahn wähnen.
Im Übrigen verbindet die Herren Raschbichler und List eine Gemeinsamkeit: List war, außer Nationalökonom, Eisenbahnindustrieller; Hans Georg Raschbichler ist Vertreter von "Transrapid International", eines Unternehmens, das die weltweite Vermarktung der Transrapid-Magnetbahn betreibt und hinter dem deutsche Rüstungs- und Großunternehmen wie Krauss-Maffei, MBB und Thyssen stehen. Bleibt die Frage: Handelt es sich bei der Magnettechnologie wirklich um eine Jahrhunderttechnologie im Transportsektor?
Die Bonner Regierung ist offensichtlich dieser Meinung. Am 3.12.1987 fassten Kohl und Kabinett den Beschluss: "Die Magnetbahn muss eine Anwendung in der Bundesrepublik Deutschland finden."
Im Emsland in Niedersachsen windet sich eine 31,5 Kilometer lange Versuchsstrecke für die über 400 Stundenkilometer schnelle Transrapid-Magnetschwebebahn. Mit dem Bau der Anlage wurde 1978 begonnen; 1987 wurde mit der Südschleife die — figürliche — Achterbahn vollendet.
Man kann der Magnetbahntechnik schwerlich revolutionäre Züge absprechen. Beim Transrapid erfolgen Vortrieb und Beschleunigung des Fahrzeugs durch die im Fahrweg verlegten dreiphasigen Elektrowicklungen. Der "Linearmotor" ist so lang wie die gesamte Strecke, d.h. dass entlang der Streckenführung der "Stator" des Motors als Kupferwicklung angebracht werden muss, während der "Rotor", die Bahn selbst, über diesen Stator und von diesem angetrieben läuft. Ein sich aufbauendes elektromagnetisches Wanderfeld "schleppt" gleichsam das Fahrzeug mit sich, beschleunigt es. Da das Fahrzeug mit einem Schwebegestell den Fahrweg, die Führ- und Bremsschienen, umgreift, wirkt die anziehende Magnetkraft nach oben und hebt das Fahrzeug an. "Nach 150 Jahren Eisenbahngeschichte", so die Selbstdarstellung der Betreibergesellschaft, "steht erstmals ein Fahrzeug zur Verfügung, das in einem Abstand von 10 mm über seinem Fahrweg schwebt und völlig entgleisungssicher ist."

Gigantomanie

Und immer wieder ist es die Geschwindigkeit, die als entscheidendes Argument für den Transrapid angeführt wird: mit Tempo 300—500 durch deutsche Lande geschossen zu werden, ein "Sonntagnachmittagsausflug von der Isar an die Alster" (Bayerns Wirtschaftsminister Jaumann) — das potenziert Mobilität und macht Potenzen mobil. Entsprechend werden Projekte, die an Gigantomanie grenzen und an Hitlers Breitspurbahnprojekt erinnern, ernsthaft vorgeschlagen: So soll ein Netz von Magnetbahnen die Autobahnkreuze verknüpfen. Diese würden auf zwei bis drei Ebenen ausgebaut — z.B. unten bewachte Tiefgaragen, in der Mitte die Autobahn und oben der Magnethaltepunkt. Anfahrt mit eigenem Pkw, der in die Tiefgarage rollt, hoch per Aufzug zur Magnetbahn. Weiterfahrt mit Tempo 400 zum Zielpunkt, wo ein Mietwagen den Transfer in die City ermöglicht...
Diese Logik zu Ende gedacht und alle Behauptungen der Betreiber für bare Münze genommen, müsste das Ziel lauten: schrittweises Einstellen der Bundesbahnfernverbindungen; Magnetbahnen auf den bisherigen DB- Trassen; Einstellung der Binnenluftfahrt.
Doch die verkehrspolitische Realität sieht ganz anders aus: Nach dem gültigen Bundesverkehrwegeplan, der die Verkehrsinvestitionen bis zum Jahr 2000 vorzeichnet, werden bis zur Jahrtausendwende nochmals 15000 Straßenkilometer (davon 1500 Autobahnkilometer) die Landschaft versiegeln. Im Schienenverkehr wird der superschnelle und ebenso teure ICE realisiert — eine direkte Konkurrenz zur Magnetbahn.
Dennoch ist die Bundesbahn Miteigentümerin der Transrapid-Betreibergesellschaft und soll auch die Trägergesellschaft der ersten Referenzstrecke werden. Was unternehmerisch absurd ist, hat in der Geschichte System: Die Reichsautobahngesellschaft, die den Bau der ersten Autobahnen betrieb, war eine Tochtergesellschaft der Reichsbahn.

Strukturelle Mängel

Es gibt eine Reihe struktureller Mängel, die mit dieser Transporttechnologie verbunden sind:
Die Magnetbahn stellt ein neues und teures Massenverkehrsmittel dar, das nicht mit dem bestehenden Schienenverkehrssystem kompatibel ist. Magnetbahnen in der dichtbesiedelten Bundesrepublik, die gleichzeitig eine rückläufige Bevölkerungszahl zu verzeichnen hat, bedeuten gewaltige Parallelinvestitionen in Verkehrswege. Der Entwertung der Investitionen in die Schienenstränge durch den Bau von Straßennetzen und Binnenwasserstraßen folgt die Entwertung aller dieser Verkehrswegeinvestitionen durch ein Magnetbahnsystem. Der "Wegekostendeckungsgrad", der laut Deutschem Institut für Wirtschaftsforschung" (DIW) bei den verschiedenen Verkehrsarten zwischen 50 und 80% liegt — d.h. alle Verkehrsarten werden subventioniert —, wird weiter sinken.
Bundesbahn und Bundesregierung entschließen sich für Entwicklung und Betrieb des ICE, eines Schienenhochgeschwindigkeitszugs, der mit bis zu 300 Stundenkilometern betrieben werden soll. Ironischerweise stellte der ICE am 1.Mai (!) mit 406 km/h einen neuen Geschwindigkeitsweltrekord für Schienenfahrzeuge auf, gewissermaßen ein Wink mit dem Zaunpfahl in Richtung Transrapid. Ein qualitativer Unterschied zur Magnetbahn (Reisegeschwindigkeit maximal 300 km/h) ist nicht erkennbar.
Magnetbahnen eignen sich nicht für den Gütertransport. Der aber macht bei der Bundesbahn immerhin rund die Hälfte der Verkehrsleistung aus und erfordert also in jedem Fall ein paralleles Massentransportsystem und die Vorhaltung entsprechender Schienenwege.
Tempo 300 und 400 km/h bei einer Magnetbahn zahlt sich nur dann aus, wenn möglichst 400 km und mehr realisiert werden. In einem dichtbesiedelten Land wie der Bundesrepublik gibt es jedoch einigen verkehrspolitischen Anlass, spätestens alle 100 Kilometer einen Halt einzulegen. Man nehme nur die vom ICE und Transrapid gleichermaßen umworbene Strecke Köln—Frankfurt am Main. Da die Kilometer bis zum Erreichen der Höchstgeschwindigkeit und diejenigen, die für das Abbremsen benötigt werden, bei insgesamt rund 20 km liegen, löst sich der Vorteil der hohen Geschwindigkeit in Luft auf — was im Übrigen auch für den ICE gilt.
Schließlich zielen Transrapid und ICE auf ein- und dieselbe Klientel: den Geschäftsverkehr ("Bonzenschleuder"). Nur dieses Marktsegment kommt für die entsprechenden Entfernungen und die nicht niedrigen Fahrpreise in Frage. Doch dieses Marktsegment macht gerade 12% der gesamten Verkehrsleistung aus. Unter diesen Bedingungen müsste die parallele Entwicklung von ICE-, IC- und Magnetbahnstrecken für alle beteiligten in einen ruinösen Wettbewerb münden. Die allseits entstehenden Verluste würden vergesellschaftet; die rasante Fahrt der Bundesbahn in die Pleite nochmals beschleunigt.
Transrapid — ein preiswertes Transportmittel? Die Transrapid-Manager nennen 20 Millionen für einen Doppelkilometer Magnetbahn. Das ist nicht wesentlich weniger als im Fall der überteuerten ICE-Kosten (25 Millionen je km). Mit dem Unterschied, dass die ICE-Kosten real nachprüfbar sind, während für Transrapid nur ein erster Kostenansatz aus dem Jahr 1985 zugrunde gelegt wird.

Auch mit 1 Milliarde nicht in Fahrt

Umweltfreundlichkeit? In Wirklichkeit soll der Energieverbrauch des Transrapid, nach Eigendarstellung bei Tempo 400 km/h "etwa so hoch sein wie im Fall der modernen Rad/Schiene-Technik bei Tempo 300 km/h". Er wäre somit bedeutend höher, als im Falle eines IC- oder ICE-Betriebs bei Tempo 150 bzw. 200.
Die Lärmwerte des Transrapid sollen "in etwa gleich" wie im Fall des ICE liegen. Selbst wenn nur dies stimmt, bleibt die Frage, welche Kosten für Lärmschutzmaßnahmen veranschlagt werden. Die Magnetbahnbetreiber haben solche bisher nicht in Ansatz gebracht, die Bundesbahn aber für den ICE. In Wirklichkeit ist hier ein heikler Punkt angesprochen: die Lärmentwicklung ist so groß, dass eine 1 km breite Schneide unbesiedelten Gebiets erforderlich wäre, bleibt es bei den Werten, die bisher durchsickerten: 92 dB/A bei 25 Meter Entfernung (als stark "verlärmt" gilt ein Wohngebiet ab 60 dB/A).
Als Flächenverbrauch nennen die Magentbahnbetreiber in der Regel nur die Fläche, die für die Stützpfeiler im Fall eines aufgeständerten Fahrwegs anfallen würden (rund 650 Quadratmeter je Kilometer Fahrweg). Es kann bereits in Frage gestellt werden, dass eine aufgeständerte Bahn dieser Art keine Fläche im umfassenden ökologischen Sinn verbraucht außer für besagte Stützpfeiler. Beispielsweise gibt es klimatologische Gutachten, die auf Stelzen geführten Straßen sehr wohl die Wirkung von Talsperren, ähnlich der von auf Dämmen geführten Fahrwegen, attestieren, wodurch bspw. die Zahl der Inversionswettertage in einer entsprechenden Region erhöht werden kann. Weiterhin muss eine Magnetbahn, wenn sie in der geplanten Höhe von etwa fünf Metern Höhe geführt wird, in jedem Fall entsprechende Schneisen in durchquerte Waldgebiete schlagen. Elektrische Leitungen, die schließlich allgegenwärtig sind, müssen gekreuzt werden. Unten? Oben? Mit welcher Wirkung auf die Magnetfelder, auf Menschen? Darf Ex- Kanzler Schmidt an der Jungfernfahrt des Transrapid nicht teilnehmen? Immerhin schließen die japanischen Magnetbahnbetreiber Fahrgäste mit Herzschrittmacher von diesem Fortschritt neuer Mobilität aus.
Dass solche Probleme auftauchen, ist kein Wunder, besieht man sich die tatsächlich zurückgelegte Kilometerzahl des Transrapid auf seiner Versuchsstrecke. Gerade 36000 Kilometer bei rund 1500 Fahrten im Zeitraum von vier Jahren. Neu entwickelte Pkw-Modelle werden vor der Markteinführung in der Regel einige hunderttausend Kilometer getestet, bei neuen Schienenfahrzeugmodellen müssen Millionen Kilometer Laufleistung erbracht sein, bevor sie als einsatzfähig gelten. Dabei mangelt es den Ingenieuren und Spezialisten im Emsland sicher nicht an guten Willen und Testfreudigkeit. Besagte technische Probleme bewirken jedoch häufigen unvorhergesehenen Stillstand, auch solchen ausgesprochen peinlicher Art, etwa wenn, wie am 24.2.1988, eine Delegation vom Bonner Verkehrsbüro der Grünen im Emsland eintrifft und dort nur Trockenübungen vorgeführt bekommt.
So bleibt, was der Direktor der Emsland GmbH, Hugenberg, formulierte, einziger Sinn der unchristlichen Hektik, mit der die Bonner Regierung die Magnettechnologie powert: "Der Ausbau der Referenzstrecke muss in einem Zeitraum möglich sein, der für das Geschäft auf dem Weltmarkt nicht zu spät kommt." Denn immerhin beschleunigt die japanische Konkurrenz, die die Magnettechnologie mit der Supraleitertechnik zu kombinieren sucht, ebenfalls seit 1987 die Gangart. Hier wie dort sind es jedoch überwiegend staatliche Subventionen, die die neue Hochtechnologie zur Einsatzreife bringen sollen. Wenn das Vertrauen der privaten Industrie in die neue Magnetbahntechnik an der bisher an den Tag gelegten Risikobereitschaft gemessen wird, sieht die Zukunft der Magnetbahn düster aus: Von staatlicher Seite flossen bisher 1,2 Milliarden Mark in die Magnettechnologie Transrapid; die Industrie beteiligte sich mit 100 Millionen. Zum Vergleich: Im genannten Zeitraum 1969—1987 flossen in die Rad-Schiene-Technologie-Entwicklung gerade 405 Millionen Mark staatliche Subventionen.

Winfried Wolf

Erschienen in SoZ 12/88 vom 26.5.1988

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