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Zu den vielen unhinterfragten Ideologemen des linken Zeitgeistes gehört,
dass die zentrale Aufgabe einer neuen Linken darin bestehe, Politikfähigkeit zu zeigen, aufzuzeigen,
dass man politische Alternativen nicht nur habe, sondern diese auch politisch durchsetzen könne, was,
so die Logik dieses Arguments, vor allem durch die praktische Teilnahme an einer Regierung zu demonstrieren
sei.
Nun mag dies eine durchaus ehrenwerte
Motivation sein, zumal wenn es darum geht, den von Verarmung, Verelendung und Entwürdigung betroffenen
Menschen ein wenig alltäglicher Erleichterung zu bringen. Eine solche Logik politischer Verwaltung
steht jedoch in einem gewissen Widerspruch zu jener Logik politischer Mobilisierung, die man traditionell
und nicht zu Unrecht mit linker, emanzipativer Politik verbindet. Als Logik der Politisierung und
Selbstermächtigung breiter Teile der Bevölkerung, als Mittel der Veränderung herrschender
Kräfteverhältnisse, ist linke Politik zuallererst eine Form symbolischer Politik der Ruf
weniger zu den Waffen als zum radikaldemokratischen und klassenkämpferischen Sturm auf die Bastille.
Und die Kunst linker Organisationspolitik war immer, diese beiden Logiken in praktisch wirksamer Weise zu
vermitteln.
Wenn es in den letzten Jahren einen
Aufbruch linker Hoffnungen und Politiken gegeben hat, so war dieser wesentlich verursacht durch die
Protestwelle gegen die Agenda 2010 im Jahre 2004, die zur Formierung einer neuen linken Partei, der WASG
und deren Wahlerfolg im Mai 2005 geführt hat. Das nordrhein-westfälische Wahlergebnis war ein
erfolgreiches Beispiel symbolischer Politik, denn, vergessen wir dies nie, die Niederlage der NRW-
Sozialdemokraten und der Aufstieg einer neuen linken Alternative war der zentrale Beitrag zum Sturz der
Schröder-Fischer-Regierung und zur politischen Initiative Lafontaines, die politische Linke neu
formieren zu wollen. Schlagartig, von einem Tag auf den anderen, öffnete sich jener geschichtliche
Raum weitreichender neuer Möglichkeiten, der selbst die bei vielen hartgesottenen Altlinken
verstandesmäßige Skepsis in den Schatten treten ließ.
Es galt nun, die symbolische Politik mit
realem Inhalt zu füllen. Doch was an sich schon eine politische Kunst ist, wurde hier nachhaltig
verkompliziert, weil die alte Linke, die PDS, in zwei Landesregierungen (Mecklenburg-Vorpommern und Berlin)
Teil einer "rot-roten"-Regierung war und die neue Linke, die WASG, sich gerade im erklärten
Gegensatz zu dieser praktischen Politik gebildet hatte. Forderten die einen zu Recht das mindestens
symbolische Ende solcher Mitverantwortung für neoliberale Politik, wandten die anderen nicht zu
Unrecht ein, dass es ein gefährliches Signal wäre, würde man seine bisherige Politikpraxis
einfach so aufgeben und aus der Regierung austreten.
Zur Diskussion stand also, so oder so, die
Glaubwürdigkeit des linken Aufbruchs. Und da die real existierende Linke dieses real existierende
Dilemma nicht gelöst bekam, trat sie getrennt an und verhärtete die Fronten. Das Ergebnis ist
bekannt, die (nun umbenannte) LPDS erlitt eine schwere Wahlniederlage, bei der sie fast die Hälfte
ihrer Wählerschaft verlor. Die linke Alternative der Berliner WASG (weitgehend allein gelassen von der
Bundespartei) kam zwar nicht wirklich über die linke Getto-Nische hinaus, fand ihre Wählerschaft
aber vor allem im Osten der Stadt, bei den enttäuschten LPDS-Wählern.
Für die denkbare Lösung der innerlinken Blockade fehlte den Beteiligten offensichtlich jene
politische Kreativität, die darin bestanden hätte, dass die LPDS unmittelbar nach der
(vorhersehbaren) Wahlniederlage diese nicht nur eingestanden, sondern auch ihren Austritt aus der
"rot-roten" Landesregierung erklärt hätte. Man hätte nun, nach der Wahl,
auch ohne großen Gesichtsverlust symbolisch auf eine Neuauflage der Regierungspolitik
verzichten und dies mit dem eindeutigen Wählervotum, den innerlinken Vorbehalten und der Gefahr eines
Scheiterns des Vereinigungsprojekts begründen können. Man hätte die kleine Berliner WASG
großzügig einladen können, gemeinsam neu zu beginnen, zumal allen Beteiligten klar sein
musste, dass eine solch schwere Wahlniederlage und das bevorstehende Urteil des Bundesverfassungsgerichtes
bei der Berliner Klage für einen Finanzausgleich keine Stärkung der LPDS-Politik in einer
Neuauflage von "rot-rot" bringen konnte. Hätten die Berliner WASGler dazu nein sagen
können? Und welch linker "Sektierer" hätte noch Gehör gefunden, wenn die Berliner
LPDS einen solchen symbolischen Schritt getan hätte?
Eine solche Wende blieb jedoch aus. Schon
wenige Tage nach der verlorenen Wahl winkten die LPDS-Delegierten des Sonderparteitages mit
erdrückender Mehrheit und ohne jede nennenswerte Debatte als ob nichts gewesen wäre
neue Koalitionsverhandlungen mit der SPD zum Zwecke einer Neuauflage der Berliner Regierungspolitik durch.
Nun ist sie perfekt. Und ihre erste Amtshandlung war, ganz im Sinne bisheriger Symbolpolitik, die
völlige Freigabe der Berliner Ladenschlusszeiten Neoliberalismus pur. Welche Signale werden mit
dieser Entwicklung ausgesendet? Wie kann man diese Mischung aus politischer Blindheit und Arroganz
verstehen? Und was bedeutet sie für die linke Neuformierung?
Da ist zum einen die naheliegende
Erklärung, dass die mangelnde politische Kreativität ein Produkt materieller Interessen ist.
Selbst das der LPDS wohlgesonnene Neue Deutschland berichtete Anfang November, in einem ausführlichen
Beitrag über die Bildung der Berliner Bezirksregierungen, offen darüber, wie "in den letzten
Wochen gefeilscht und gehandelt" wurde. "(E)s ging zu wie auf einem Jahrmarkt: Gibst du mir deine
Stimme für den Bürgermeister, dann unterstütze ich den von dir gewünschten
Ressortzuschnitt oder befürworte deinen Wunsch nach Posten des Bezirksvorstehers. Oder: Trägst du
meinen Bürgermeister hier mit, dann unterstütze ich deinen Bürgermeister nebenan. Alles hat
seinen Preis, alles ist verhandelbar."
Auch wenn dies schon schlimm genug ist, die Probleme gehen tiefer. Schon die Frage, warum eine
solche sicherlich nicht gerade emanzipativ-linke Politik so unwidersprochen bleibt, verweist darauf, dass
wir es bei der LPDS mit einer Partei zu tun haben, in der die breite Mitgliedschaft solche Politik entweder
unterstützt oder, dort, wo Unmut vorhanden ist, keinen realen Bezug zur Funktionärsebene der
Partei und ihren eigenen Parteitagsdelegierten hat.
Und dieses politische Führungspersonal
hat es sich nicht nehmen lassen, ihr Verständnis von linker Politik gegen alle Widerstände und
Bedenken innerhalb und außerhalb der Partei konsequent durchzusetzen. Linke Politik ist ihnen nicht
die Durchsetzung emanzipativer Veränderungen innerhalb einer bürgerlichen Klassengesellschaft
durch die Veränderung gesellschaftlicher Kräfteverhältnisse, also mittels Aufklärung
und Mobilisierung sozialer und demokratischer Bedürfnisse. Linke Politik ist ihnen kein
organisatorischer Beitrag zur radikaldemokratischen Selbstermächtigung breiter Teile der
Bevölkerung. Ihr Politikverständnis orientiert sich anscheinend einzig und allein an der
Sachzwanglogik des politischen Systems. Politischer Erfolg misst sich ihnen an (gelegentlich gut dotierten)
Posten im parlamentarischen System und an der öffentlichen Reputation solcher Tätigkeit im
politischen Verwaltungssystem der Mediendemokratie. Stück für Stück integrieren sie sich ins
Räderwerk herrschender Politikrationalität, in dem ihre emanzipativen Werte immer unverbindlicher
werden und Karrieristen und Berufspolitiker gezüchtet werden (die Generation Praktikum), die sich im
Zweifelsfalle immer den "Sachzwängen" kapitalistischer Rationalität unterordnen und so
immer unfähiger werden, selbst auch nur Reformen durchzuführen.
Dass diese Entwicklung auch in der WASG nur
handsamen Protest auszulösen vermochte, verdeutlicht die strategische Falle, in die sich die WASG hat
einbinden lassen. Und so wie der Wahlausgang vom Mai 2005 das Signal des Aufbruchs war, ist die neue
Berliner Koalition Symbol, dass der Raum historischer Möglichkeiten wieder geschlossen ist. Das ist
das Menetekel von Berlin: Ein Aufbruch zu einer wirklich neuen Linken fand nicht statt.
Die Konsequenzen sind absehbar: Die
unzufriedene und an mindestens symbolischer Opposition interessierte Wählerschaft wird enttäuscht
und entpolitisiert, das Ansehen der parlamentarischen Demokratie wird weiter leiden. Auch die innerlinken
Fronten werden sich erneut verhärten. Die deutsche Linke wird bleiben, was sie lange war: Gespalten,
ohne politisches Selbstbewusstsein, ohne überzeugende politische Alternativen und ohne taktisches
Geschick, den gelegentlich immer wieder aufbrechenden Horizont neuer emanzipativer Möglichkeiten
produktiv zu nutzen. Drum lasst uns also wieder fröhlich singen: "Ich schreibs auf jede
Wand: Neue Linke braucht das Land!"
Christoph Jünke
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