SoZ - Sozialistische Zeitung

Zur SoZ-Homepage SoZ - Sozialistische Zeitung, Dezember 2006, Seite 08

Wie weiter nach dem 21.10.?

Stimmen von Gewerkschaftern und Erwerbslosenbündnissen


Martin Behrsing, Erwerbslosenforum Bonn


Für das Erwerbslosen Forum Deutschland stellen sich nach dem Spektakel am 21.10. eine Reihe wichtiger Fragen, die für die Veränderungen unserer derzeitigen gesellschaftlichen Zustände wichtig sind. Dass 220000 Teilnehmer an den Demonstrationen teilgenommen haben, ist auch ein Verdienst der vielen Sozialprotest- und Migrantenbewegungen. Aber von einem wirkungsvollen Protest kann man kaum sprechen. Viele Erwerbslose stellen sich auch die Frage, ob denn solche Veranstaltungen überhaupt etwas bewegen können, und wenden sich enttäuscht ab, da sie sich in ihrer Situation unverstanden fühlen. Und genau hier muss unser Erachtens der Ansatzpunkt sein, um den derzeitigen Status Quo zu verändern. Veränderungen werden nicht aus der gesellschaftlichen Mitte kommen, sondern müssen von den Menschen vorangetrieben werden, die unter den derzeitigen Zuständen zu leiden haben.Wir halten viel davon, sich vom Begriff der Erwerbslosigkeit zu verabschieden und stattdessen den Begriff Prekariat zu benutzen. Dieser beschreibt umfassender unsere derzeitige Situation und um was es bei Veränderungen gehen muss. Die Studie der Friedrich-Ebert-Stiftung hat zumindest in den Punkten deutlich gemacht, dass wir uns auf eine Zwei-Drittel-Gesellschaft zu bewegen, von denen die Erwerbslosen ein Teil sind. Somit muss die Aufgabe des zukünftigen Sozialprotestes sein, diese zwei Drittel zu erreichen und zu solidarisieren. Ob es dem DGB gelingen wird, sich dem Prekariat zuzuwenden bleibt, abzuwarten, denn diese sehr heterogene gesellschaftliche Schicht hat mit traditionellen Gewerkschaftern wenig zu tun. Große Teile der sozialen Bewegungen wollen am 2. und 3.Dezember auf der Aktions- und Strategiekonferenz darüber diskutieren, wie es mit den sozialen Bewegungen weiter gehen kann. Wir erhoffen uns, dass von dieser Konferenz Impulse für die Solidarisierung und Formen des Widerstands ausgehen. Grundlage dazu ist der "Frankfurter Appell", dem es aber an konkreten Handlungsmöglichkeiten bisher fehlte.

Horst Schmitthenner, IG-Metall-Verbindungsbüro soziale Bewegungen


Für die IG Metall ist die erste Antwort auf die Frage Wie weiter?, dass sich der Fehler vom 3.April 2004 nicht wiederholen darf. Die Demonstration am 21.10. war nicht das Ende des Protestes für eine andere Politik, sondern der Anfang. Darum ist es besonders nötig, auch über die Schwächen zu reden, die deutlich wurden. So ist es den Gewerkschaften nicht im gleichen Maße und überall gleich erfolgreich möglich gewesen zu mobilisieren. Das gilt gerade auch für die Bündnispartner. Bei ihnen ist die Kooperation mit den Gewerkschaften, vor allem aber die Aktivierung ihrer Klientel nur bedingt gelungen. So euphorisch wie im Vorspann ist die Beteiligung des "Blocks sozialer Opposition" wahrlich nicht zu bewerten. Wir haben allen Grund, miteinander zu analysieren, wo Gründe für diese Schwächen liegen.
Bei den Mitgliedern und Funktionären der IG Metall reichen die Einschätzungen für die nächsten Schritte von der Erwartung bundesweiter, flächendeckender Proteste während der Arbeitszeit bis hin zu Zweifeln an der Machbarkeit und Nützlichkeit weiterer Aktionen. Mehrheitlich herrscht die Stimmung vor, dass es weitergehen muss und für Aktionen während der Arbeitszeit ein Vorlauf gebraucht wird.
Konkret geplant werden bundesweite Protestaktionen während der Arbeitszeit Anfang 2007, davor und zusätzlich Wochen betrieblicher Aktionen sowie regionale, bezirkliche Aktionskonferenzen zusammen mit Bündnispartnern noch in diesem Jahr.
Die Initiative für einen Politikwechsel wird am 10.Dezember in Frankfurt am Main (Gewerkschaftshaus) eine Veranstaltung durchführen. VertreterInnen von Gewerkschaften und sozialen Initiativen werden dort bereden, welche nächsten Schritte des Protestes wir gemeinsam gehen wollen.

Werner Sauerborn, Ver.di Stuttgart


Wir diskutieren die Mobilisierung zum 21.10. und die Frage, wie es danach weiter gehen soll, ständig unter dem Blickwinkel der Parallele zu den Großdemonstrationen am 3.April 2004. Das ist der Maßstab für alle Beteiligten. Damals wurde die Mobilisierung abgebrochen und die Linke hat DGB-Chef Sommer stark dafür kritisiert, dass er von Sommerpause gesprochen hat und die Dynamik der Mobilisierung keine Fortsetzung gefunden hat.
Diesmal gab es die feste Verabredung: Das machen wir nicht wieder so. Diesmal geht es in die Vollen. So ist auch Michael Sommer bei uns in Stuttgart aufgetreten. Selbstkritisch müssen wir allerdings sagen: Wir haben am 21.10. das Mobilisierungsniveau vom 3.4. nicht erreicht, es ist uns schwer gefallen, einen großen Mobilisierungserfolg hinzukriegen. Das erschwert uns auch die Antwort darauf, wie es jetzt weiter gehen soll. Das betrifft alle Beteiligten, nicht nur die DGB-Spitze, auch die Einzelgewerkschaften bis hinunter in die Landesverbände. Das hängt zum Teil damit zusammen, dass es zwar eine Riesenempörung über die ganzen sog. "Reform"vorhaben gibt, aber ganz schwer ein Ansatzpunkt zu finden ist, wo es wirklich eine Durchsetzungsperspektive gibt. Vom Kündigungsschutz über die Unternehmenssteuerreform, die Gesundheitsreform, die Rente mit 67 und Verschlechterungen für Hartz-IV-Bezieher haben wir am 21.10. alles auf die Tagesordnung gesetzt und damit die Bandbreite der Empörung zum Ausdruck gebracht. Aber es ist nicht klar geworden, wo die Empörung denn machtpolitisch mal auf den Punkt gebracht werden soll. Darüber diskutieren wir gerade, das zieht sich aber noch ein bißchen.
Ver.di Stuttgart und der Ver.di Landesbezirk Baden-Württemberg haben sich darauf festgelegt, dass wir uns auf zwei Schwerpunkte konzentrieren: Gesundheitsreform und Rente mit 67. Ich persönlich finde zwei Themen schon zuviel. Sie haben eine unterschiedliche Zeitschiene: Bei der Gesundheitsreform ist es im Februar schon soweit, dass sie im Bundestag abschließend verhandelt wird. Ich bin skeptisch, ob da noch was zu machen ist. Deswegen wäre es aus meiner Sicht besser, wir verzettelten uns nicht, sondern konzentrierten uns ganz darauf, die Rente mit 67 zu Fall zu bringen, die 2. und 3.Lesung dafür findet im März im Bundestag statt. Dafür reichen Unterschriftensammlungen und breit gefächerte Demonstrationen nicht mehr aus; dafür müssen wir die Frage "politischer Streik" angehen.
Diese Frage wird zumindest bei Ver.di, aber auch bei der IG Metall immer stärker diskutiert: Was ist ein politischer Streik? Wo gibt es da juristische Grenzen? Nach dem 21.Oktober steht diese Frage wieder auf der Tagesordnung. Wir versuchen ja, mit gewerkschaftlichen Mitteln an Vorhaben des Staates heranzugehen, und da ist das Deklamieren der eigenen Positionen auf öffentlichen Plätzen das eine, aber irgendwann muss man auf den Punkt kommen, und das kann nur so sein, dass man in den Betrieben eine Erzwingungswirkung zu erzielen versucht.

Edgar Schu, Aktionsbündnis Sozialproteste


Der Diskussionsprozess ist im Aktionsbündnis Sozialproteste noch nicht abgeschlossen. Ein Vorschlag erhält bisher aber Zustimmung von allen Seiten: eine Kampagne gegen Armut 2007. Wir wollen aufbauen auf der Kampagne gegen Kinderarmut der Koordinierungsstelle der gewerkschaftlichen Arbeitslosengruppen (KOS) und wir wollen die Lage der ALG-II-Beziehenden und die verschiedenen Betroffenheiten durch Hartz IV in den Blickpunkt der Öffentlichkeit rücken. Wir wollen erreichen, dass sich die Haltung durchsetzt: Armut kann nicht durch Arbeitszwang abgeschafft werden, nur durch höhere Regelsätze. Hartz ist Armut per Gesetz, es liegt an den Kürzungen, die müssen wieder aufgehoben werden.
Der von Peter Grottian ins Gespräch gebrachte Hungerstreik kann Teil dieser Kampagne sein, da kommt es aber auf das Zusammenspiel der Bündnispartner an. Genauso sieht es mit den Gewerkschaften aus. Wir wollen den Gesprächsfaden, der vor dem 21.10. vor allem durch die Initiative von Annelie Buntenbach geknüpft wurde, wieder aufnehmen und einen neuen Termin anschieben. Wir wollen darüber reden, inwieweit Betriebsversammlungen während der Arbeitszeit, Arbeitsniederlegungen u.a. für die Gewerkschaften machbar sind und von uns unterstützt werden können.
G8 und die Euromärsche interessieren uns in jedem Fall auch. Wir möchten gerne ausloten, ob die Zusammenarbeit mit den Gewerkschaften vor Ort intensiviert werden kann — z.B. zum 1.Mai, dass dies nicht allein eine gewerkschaftliche Veranstaltung bleibt, sondern eine, die auch von den sozialen Bewegungen getragen wird: Gewerkschaften und Erwerbslose gemeinsam.
Wir wollen Erwerbslose qualifizieren, dass sie Beratungsarbeit für ALG-II-Beziehende machen können; wir wollen dafür mit der BAGSHI, der KOS usw. kooperieren. Wir müssen klären, wie vor Ort mit Unterstützung von Gewerkschaften, linken Parteien u.a. eine geeignete Infrastruktur dafür geschaffen werden kann.

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