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Vor zehn Jahren fiel der Startschuss. Die Politiker von SPD und CDU gaben uns
die "Freiheit", die Krankenkasse zu wechseln. Fast die Hälfte der Versicherten meldete sich
seitdem bereits mindestens einmal bei einer neuen Krankenkasse. Ausschlaggebend bei dieser Entscheidung war
fast immer ein aktuell niedrigerer Beitragssatz. Eine Studie der AOK berichtet: "Am höchsten ist
die Wechselbereitschaft bei freiwillig versicherten Männern unter 40 Jahren, ohne mitversicherter
Ehefrau und Kindern. Hier interessierten sich aktuell 28,6% für einen Wechsel ihrer
Krankenkasse." Diese Sorte Freiheit wird offenbar von den gut Betuchten genutzt.
Die erzwungene Konkurrenz zwischen den
Kassen beschert uns anderen zwar nicht die versprochenen billigen Tarife. Doch sie hat die Bindung der
"Kunden" an ihre Kasse weitgehend aufgebrochen. Darum läuten nach 120 Jahren die
Totenglocken für die Selbstverwaltung. Wir begeistern uns kaum für die Machenschaften unserer
derzeitigen Telefonanbieter; wir begeistern uns genauso wenig für die Versorgungspläne von AOK,
Barmer und DAK. Unsere Versicherungen sind uns fremd geworden. Kunden suchen sich ihre Anbieter mühsam
aus und verfluchen dabei den unübersichtlichen Markt. Sie wollen den Dschungel nicht noch selbst
verwalten müssen.
Die schwarz-rote Regierung in Berlin nutzt
diese Schwäche und entmachtet in diesen Tagen die Krankenkassen. Die Beitragshöhe, der
Beitragseinzug, die Verwaltung und die Versorgung all das wird stückweise den Kassen entzogen
und in die Hände von Behörden übergeben. Die Koalition aus verkommenen Sozialpartnern und
offenen Unternehmerinteressen vergreift sich dabei an einer der ältesten Errungenschaften der
deutschen Arbeiterbewegung. Es waren ja gerade die Kumpel aus dem Bergbau und die Hüttenknechte, die
sich gegenseitig gegen die Folgen von Unfällen und Krankheiten absicherten. Ihre Solidarkassen drohten
zu Keimzellen einer Gegengesellschaft zu werden.
Gegen ihren wütenden Protest griff
darum Reichkanzler Bismarck nach ihren Kassen. Er erzwang vor 120 Jahren den Zutritt der Arbeitgeber und
wird in unseren Schulbüchern als "Erfinder" der Sozialversicherungen gefeiert. Wo bleibt
heute der Protest, wenn diese Kassen so völlig umgekrempelt werden? Wo stehen jetzt die
Gewerkschaftsführer der Knappen? Sie stehen nicht einmal in der zweiten Reihe, sondern sind bereits
beim Überlaufen ins feindliche Lager.
Als erste Krankenkasse will die Knappschaft
künftig Protestaktionen der anderen Kassen gegen die Gesundheitsreform nicht mehr unterstützen.
Die 1,4 Millionen Mitglieder zählende Knappschaft nennt als Grund in einem Rundschreiben die
"direkten Einflussmöglichkeiten des Ministeriums auf unser Haus und mittelbar disziplinarisch auf
die Geschäftsführung". Zwar werde die Knappschaft die übrigen Kassen im Streit um die
Pläne von Ministerin Schmidt (SPD) weiter fachlich beraten. Doch müsse sie bei allen
Veröffentlichungen künftig "ungenannt bleiben".
Tobias Michel
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