SoZ - Sozialistische Zeitung

Zur SoZ-Homepage SoZ - Sozialistische Zeitung, Dezember 2006, Seite 10

Vom Betrieb zur Revolution

Neue Broschüre über Schritte zur konkreten Vision

Wolfgang Schaumberg: Eine andere Welt ist vorstellbar? Schritte zur konkreten Vision... (Hg. TIE — internationales Bildungswerk e.V.) Juni 2006

Eine andere Welt ist möglich — diese Parole wird den Krisen der Globalisierung entgegengesetzt. Wolfgang Schaumberg unternimmt mit seiner Broschüre den Versuch, diese "mögliche" Welt ein Stück in die bestehende hinein zu holen, um anhand seiner Erfahrungen jahrelanger Arbeit in der Automobilindustrie — Schaumberg war lange Zeit Betriebsratsaktivist bei Opel Bochum — aufzuzeigen, wie sich arbeitende Menschen einer anderen Welt annähern. Der große Vorteil seines Ansatzes ist dabei die Zusammenführung von oft ganz getrennten Ebenen. Was lernen wir in der täglichen Arbeit im Betrieb? Was haben wir von daher für Forderungen und Vorstellungen für die Zukunft? Was lernen wir aus der Lektüre kritischer, antikapitalistischer Bücher oder bei theoretischen Debatten? Und wie bringen wir dies mit anderen Menschen in eine gemeinsame gesellschaftsverändernde Praxis?
Er kennt die Mühen der Ebenen, wenn es im Betrieb gegen die Standortlogik des Kapitals geht. Er weiß, wie die Betriebsratsmehrheit oft genug dem Gegner auf den Leim geht, und dass nicht wenige der Standardargumente "moderner" Spitzengewerkschafter genau das Gegenteil jener internationalen Solidarität befördert, die im Angesicht der Globalisierung dringend erforderlich wäre. Aber es geht Schaumberg um mehr als prinzipielle Alternativen in Betrieb und Gewerkschaft. Er erläutert, wie anhand der Umbrüche in der Produktion (am Beispiel der Autoindustrie) auch andere Fähigkeiten und Möglichkeiten der Beschäftigten gefordert und ermöglicht werden, die zu nutzen seien für eine andere Welt, eine andere Gesellschaft. Dabei greift er sowohl auf die Erfahrungen der Gruppenarbeit (und den dort vorhandenen wenigen Ansätzen von Demokratie im Betrieb) zurück als auch auf Erfahrungen mit Open- Source-Informatikern und ihrer Vorstellung von offener Verfügungsmacht über das, was man erarbeitet hat.
Schaumberg ordnet die Kämpfe der Automobilarbeiter — unter denen die der Opel-Beschäftigten aus Bochum herausragen — den weltweiten neueren Bewegungen zu. Und er weist nach, dass sich die Widersprüche des Kapitalismus trotz aller strukturellen Änderungen auch weiterhin massiv in den produzierenden Betrieben und den Köpfen der dort Beschäftigten abspielen. Deswegen müsse man auch dort die Ansätze einer Aufhebungsbewegung suchen. Das Fragezeichen im Titel weist dabei auf offene Debatten und Fragestellungen hin.
Er widmet sich u.a. auch den Erfahrungen der argentinischen Kollegen der Keramikfabrik Zanon, die seit Oktober 2001 den Betrieb besetzt haben und dort weiter produzieren, zitiert sie ausführlich und sagt: "Konzentrieren wir uns hier auf die Frage nach den neuen, bewusstseinsverändernden Erfahrungen und den Möglichkeiten, die sich daraus für die gemeinsame Entwicklung der Vorstellung einer anderen Produktionsweise ergeben." Und eine seiner Schlussfolgerungen lautet entsprechend: "Wir hätten die Chance, in der Politik, in der Organisation unseres Zusammenlebens überall mitreden zu können. Wir alle sind Mitglieder der Gesellschaft, leben auf lokaler, regionaler und globaler Ebene miteinander verbunden. Wir konsumieren alle, vom ersten Atemzug bis zum letzten. Wir erarbeiten die nötigen und gewünschten Güter und Dienstleistungen arbeitsteilig gemeinsam. Wir können unsere Erfahrungen, Interessen und Wünsche miteinander besprechen. Warum sollten wir mit Hilfe aller von uns erarbeiteten Techniken nicht in der Lage sein, planmäßig abzusprechen, was jeder und jede von uns benötigt und gerne bekommen möchte, und dass dann Geld eigentlich gar nicht nötig wäre? Und was und wie wir das auf lokaler Ebene herstellen und verteilen können und welche Güter und Dienstleistungen sinnvollerweise Absprachen und Herstellung auf regionaler oder internationaler Ebene erfordern? Sozusagen würden wir alle im Bewusstsein, gesellschaftlich zusammenzuleben, zu selbstbewussten ‘Politikerinnen und Politikern‘ werden können."
Größe und Grenzen seiner Arbeit finden sich in seinem Zitat eines anderen Diskutanten: "Unser Herangehen ist eines, das sich traditionell dem Vorwurf des ‘Eklektizismus‘ aussetzt: Aber angesichts des Scheiterns der traditionellen linken Großansätze und der zunehmenden Uneinheitlichkeit diverser Lebenswelten — trotz (oder wegen) weltweiter kapitalistischer Gleichmacherei — ist die Suche nach dem Richtigen in den verschiedenen Ansätzen für eine Neukonstitution antikapitalistischer Bewegung unseres Erachtens geradezu Grundbedingung."

Rolf Euler

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