SoZ - Sozialistische Zeitung

Zur SoZ-Homepage SoZ - Sozialistische Zeitung, Dezember 2006, Seite 11

Abtreibung in Polen wieder verboten

Anfang November hat das polnische Parlament in erster Lesung einen Antrag auf Änderung der Verfassung behandelt.Artikel 38 soll wie folgt neu formuliert werden: "Die Republik Polen garantiert vom Augenblick der Empfängnis an jedem Menschen den rechtlichen Schutz des Lebens." Der Antrag wurde von der erzkonservativen, katholisch-fundamentalistischen Liga der polnischen Familien eingebracht, die Teil der aktuellen Regierungskoalition ist und den Bildungsminister stellt. Er wurde darüber hinaus von den Abgeordneten der Bauernpartei Samoobrona und von der Partei für Recht und Gerechtigkeit (PiS) unterzeichnet, der die beiden Brüder Kaczynski angehören — respektive der Staats- und der Ministerpräsident.
Feministische Organisationen, Gewerkschaften und linke Parteien haben dagegen am 4.November eine landesweite Demonstration in Warschau organisiert. Sie haben die internationale Öffentlichkeit um solidarische Unterstützung gebeten.
Das Gesetz über Familienplanung, Schutz des Embryos und die Voraussetzungen für eine legale Abtreibung stammt aus dem Jahr 1993; es wurde 1997 einmal abgeändert. Es erlaubt Abtreibungen nur in drei Fällen: wenn Leben oder Gesundheit der Frau bedroht sind; wenn der Fötus einen genetischen Defekt oder eine schwere und unheilbare Krankheit aufweist; oder wenn die Schwangerschaft Folge einer Vergewaltigung oder von Inzest ist. Die allgemeine Haltung der Öffentlichkeit gegenüber der Abtreibung führt jedoch infolge ihres Verbots dazu, dass selbst legale Abbrüche nicht vorgenommen werden. Viele Frauen haben auf diese Weise wegen der Heuchelei der Ärzte und Politiker Leben und Gesundheit verloren.
Das Verbot der Abtreibung widerspricht dem Recht auf selbstbestimmte Mutterschaft, den Menschenrechten und dem europäischen Standard. Es verhindert Abtreibungen nicht, im Gegenteil es drängt Frauen in die Illegalität. Nach offziellen Angaben gibt es in Polen im Jahr 150 Abtreibungen. Unabhängige Zentren aber schätzen, dass die Zahl der illegalen Abtreibungen zwischen 80000 und 200000 liegt (etwa so viele wie in Deutschland, bei halber Bevölkerungszahl). Erste Opfer sind vor allem finanziell schlechter gestellte Frauen, die nicht die Mittel haben, eine illegale Abtreibung zu bezahlen.
Die Gesundheit der Frauen leidet massiv darunter. Es gab bereits erste Todesfälle, weil schwangeren Frauen ärztliche Behandlung verweigert wurde. Deshalb laufen derzeit eine Reihe von Prozessen gegen die Republik Polen vor dem Europäischen Menschenrechtshof.
Die Mehrzahl der Bevölkerung akzeptiert Schwangerschaftsunterbrechung allerdings nicht nur, wenn Leib und Leben der Frau oder des Fötus in Gefahr ist, sondern auch aus sozialen Gründen. Doch die Politiker setzen sich darüber hinweg, darin von einigen Ärzten unterstützt, die sich anmaßen, über Wohl und Wehe der Frauen zu entscheiden. Illegale Abtreibungen finden in Polen in privaten Praxen zum Preis von 2000—3000 Zloty (500—750 Euro) statt — häufig vom selben Arzt, der sich geweigert hat, den Eingriff im Krankenhaus vorzunehmen. Die Verhütungspille RU-486 ist nur auf dem Schwarzmarkt zu haben. Unter solchen Umständen kommt es immer häufiger vor, dass Frauen, die unter für sie untragbaren persönlichen und wirtschaftlichen Umständen gezwungen werden, das Kind auszutragen, den Säugling aussetzen.
Die UN-Menschenrechtskommission hat sich in ihrem Bericht von Oktober 2004 des Problems der bedrohlichen Lage der polnischen Frauen angenommen, die keinen Zugang zu Schwangerschaftsabbrechung haben. Auch der Menschenrechtsbericht der EU von 2004 und 2005 ist darauf eingegangen.

Kontakt: Katarzyna Bratkowska und Ewa Dabrowska-Szulc, pro-choice4@wp.pl, magostr@o2.pl



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