SoZ - Sozialistische Zeitung

Zur SoZ-Homepage SoZ - Sozialistische Zeitung, Dezember 2006, Seite 1

Westliche Doppelmoral

Gilbert Achcar über den permanenten Krieg Israels und die Probleme der Solidaritätsarbeit

Gilbert Achcar ist Libanese, Dozent der Politischen Wissenschaften in Paris und lebt in Berlin. Das folgende Interview führte Sophia Deeg anlässlich der Berliner Konferenz "Europa und der Israel-Palästina-Konflikt" vom 18.November.



Bei der Nahost-Konferenz, die kürzlich von der Linksfraktion im Bundestag organisiert wurde, gelang es den Einladenden nicht, auch nur für einen der Gäste aus der Westbank ein Einreisevisum zu erwirken. Das galt für alle Palästinenser aus der Westbank, egal welcher politischen Couleur. Dieses Verhalten der deutschen Behörden scheint symptomatisch zu sein für die deutsche Politik gegenüber Israel einerseits und den Palästinensern andererseits.

Die Politik der Doppelmoral ist im Verhalten westlicher Mächte gegenüber Israel und den Palästinensern tatsächlich nicht zu übersehen. Als zu Anfang des Jahres die Bewohner der besetzten Gebiete bei Wahlen, die allgemein als demokratisch anerkannt wurden, mehrheitlich der Hamas ihre Stimmen gaben, taten die USA und Europa alles, um die neue Regierung zu isolieren. Man strich ihr sämtliche Gelder, auf die sie angewiesen war, um die Bevölkerung zu versorgen. Man bestrafte die Palästinenser kollektiv dafür, dass sie eine nicht genehme Regierung gewählt hatten. Mit einer israelischen Regierung unter Sharon hingegen, der für schwerste Verbrechen mitverantwortlich war, konnte man leben.
Auch der neue Minister im Kabinett Olmert, Avigdor Lieberman, den Uri Avnery letzthin als Faschisten bezeichnete, stellt für westliche Regierungen kein Problem dar, obwohl er und seine Partei programmatisch und unverhohlen für ethnische Säuberungen stehen. Natürlich entgeht es den Palästinensern, allgemeiner den Arabern und Muslimen, nicht, dass hier mit zweierlei Maß gemessen wird, und das verstärkt auch in diesen Gesellschaften die Vorstellung eines unversöhnlichen "Clash of Civilizations".

Israel führt bereits seit einigen Monaten und derzeit verstärkt einen brutalen Feldzug, vor allem in Gaza, gegen die Hamas und die gesamte dortige Bevölkerung. Warum gerade jetzt?

Seit sich die israelische Armee 2000 aus dem Libanon zurückziehen musste, ohne daran irgendwelche Bedingungen knüpfen zu können, und erst recht seit der Niederlage im letzten libanesischen Feldzug ist diese Armee von Wut und Rache beseelt. Israel sucht seither, seine Stärke, die es militärisch tatsächlich nicht unter Beweis stellen konnte, äußerst gewalttätig zu demonstrieren.
Außerdem zielt die Politik Israels und der USA darauf ab, in den besetzten Gebieten einen Bürgerkrieg anzuzetteln. Das war schon so, als die Militäroffensive "Sommerregen" gegen den Gazastreifen begann, angeblich, um den israelischen Soldaten freizubekommen, den palästinensische Kämpfer am 25.Juni gefangen genommen hatten. Am 27.Juni hatten sich Hamas und Fatah auf eine Regierung der nationalen Einheit geeinigt. Am 28.Juni schlug Israel militärisch los — es ging darum, eine Einigung der Palästinenser zu vereiteln. Eine ähnliche Strategie verfolgte Israel (unterstützt von den USA und Europa), als es im Sommer den Libanon überfiel. Auch im Libanon ging es darum, eine innerlibanesische Einigung zu unterminieren, um die Kräfte, die Widerstand gegen die israelische bzw. US-Hegemonie leisten, entscheidend zu treffen und die Partner des Westens — repräsentiert durch Abbas oder Siniora — gegen sie aufzubringen.

Israel geht im Libanon und in den besetzten Gebieten so vor, als gäbe es weder ein Internationales Recht noch Genfer Konventionen, Menschenrechte, die UNO.

Das ist nicht neu. Israel hat sich noch nie viel um die Bevölkerung geschert. Ich möchte nur an Israels ersten Libanon-Feldzug erinnern, dem Zehntausende Zivilisten zum Opfer gefallen sind, darunter auch die Bewohner der palästinensischen Flüchtlingslager Sabra und Shatila. Sie waren schutzlos zurückgeblieben, nachdem die palästinensischen Kämpfer das Land verlassen hatten.
Neu ist, dass sich — seit dem 11.September 2001 — auch die USA wie Israel verhalten. Das Prinzip des permanenten Krieges ist seit Beginn seiner Existenz einer der Grundpfeiler der israelischen Identität. Israel ist eine Kriegsmaschine, die Gesellschaft ist durch und durch militarisiert. Internationales Recht hat Israel in diesem permanenten Krieg noch nie respektiert. Die USA unter Bush imitieren Israel in dieser Hinsicht. In beiden Ländern hat seit 2001, als Bush bzw. Sharon an die Macht kamen, eine parallele Radikalisierung ihrer Politik stattgefunden. Wenn jetzt bei den Kongresswahlen in den USA die Demokraten gesiegt haben, gibt das Anlass zur Hoffnung. Nicht, dass ich mir von den Demokraten etwas versprechen würde, aber zumindest drückt die Wahl eine wachsende Ablehnung des radikalen Kriegskurses in den USA aus.

Sind im Widerstand gegen den permanenten globalen Krieg der USA Organisationen des politischen Islam wie Hamas oder Hizbollah Partner für Linke?

Der "politische Islam" — das ist ein vager Begriff. Darunter sind Kräfte zu fassen wie die gegenwärtige türkische Regierung einerseits und Bin Laden andererseits, das (antiamerikanische) iranische Regime ebenso wie das (proamerikanische) saudische. Doch wenn wir von der Hizbollah und der Hamas sprechen, fundamentalistisch-islamische Organisationen, die heute wesentliche Kräfte im Widerstand gegen die Besatzung und die amerikanische Politik im Nahen Osten sind, dann gibt es da schon lange Allianzen zwischen Linken, z.B. der PFLP in Palästina oder der Kommunistischen Partei des Libanon einerseits, und diesen islamischen Kräften.
Es kommt dabei darauf an, wie man solche Allianzen auffasst und gestaltet, und zwar im Sinne des: getrennt marschieren und vereint schlagen. Die libanesische KP hat als Prinzip verlautbart, dass sie mit der Hizbollah zusammenarbeitet, doch ohne sich zu unterwerfen. Sie besteht auf den Unterschieden, ohne deshalb in eine Konfrontation zu gehen.
Beide, Hamas wie Hizbollah, sind ihrerseits Einflüssen ausgesetzt, die sie vom religiösen Fanatismus abrücken lassen. Die libanesische Gesellschaft ist nun einmal multireligiös, weshalb die Hizbollah von der ursprünglichen Vorstellung, dort eine Islamische Republik nach iranischem Muster zu errichten, abgekommen ist und sich darauf beschränkt, vor allem innerhalb der Schiiten Einfluss zu nehmen. Auch der Diskurs von Scheich Nasrallah ist im Laufe der Jahre viel pragmatischer geworden, allein schon aus taktischen Gründen angesichts eines sehr mächtigen Feindes. Aber es ist auch davon auszugehen, dass die Hizbollah, bei aller Aufgeschlossenheit, im Kern bei ihrer Ideologie bleibt.

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