SoZ - Sozialistische Zeitung

Zur SoZ-Homepage SoZ - Sozialistische Zeitung, Dezember 2006, Seite 16

Griechenland

Unruhen im Bildungswesen

Die Proteste im Bildungswesen standen in den vergangenen Monaten ständig im Mittelpunkt der Öffentlichkeit. Sie bildeten die Speerspitze der sozialen Bewegungen in Griechenland und haben die konservativ geführte Regierung in eine sehr schwierige Lage gebracht.
Ausgangspunkt war eine riesige Mobilisierung der Studierenden an den Hochschulen im Juni dieses Jahres. Obwohl die Kommunistische Partei Griechenlands (KKE) eine Teilnahme an den Protesten verweigert hatte, gelang dennoch eine breite Bewegung, weil die restlichen linken Kräfte sich zu einem gemeinsamen Bündnis zusammengeschlossen hatten. So konnten die Studierenden in Vollversammlungen an fast allen Universitäten ihre Aktionsformen diskutieren und Besetzungen beschließen. Jede Woche fanden Demonstrationen mit mehreren zehntausend Teilnehmenden statt. Die Regierung wurde zum Rückzug gezwungen; überhastet ordnete sie die zuvor beschlossene Reform der Hochschulen an und verschob die geplante Verfassungsänderung, die private Universitäten im Land zulässt, auf einen späteren Zeitpunkt.
Das Lehrpersonal an den Schulen setzte im September den Kampf fort. Auch sie traten in einen Streik, der in mehrfacher Hinsicht als ungewöhnlich gelten kann. Der Streik begann zum Beginn des neuen Schuljahrs und dauerte eineinhalb Monate, vor allem zog er sich bis in den Vorwahlkampf zu den Kommunalwahlen hinein. Das war der herrschenden konservativen Nea Demokratia (ND) ein großer Dorn im Auge.
Ungewöhnlich aber war der Lehrerstreik auch deshalb, weil der Verband der Grundschullehrer weder für Radikalismus noch für langdauernde Mobilisierungen bekannt ist. In diesem Bereich hat es seit Jahren keine bedeutenderen Streiks mehr gegeben. Doch gerade hier zog sich der Streik trotz Lohnausfall über sechs Wochen hin.
Ein dritter wichtiger Aspekt war, dass der Streik in jeder Phase von der Basis des Grundschullehrerverbands kontrolliert wurde. Die Lehrerinnen und Lehrer entschieden darüber in Lehrervollversammlungen und stimmten jede Woche neu über die Fortsetzung der Mobilisierung ab. Sie setzten sich über alle Stimmen hinweg, die ihnen einreden wollten, ihr Kampf sei nutzlos, weil die Regierung allmächtig und intolerant sei und nicht zum Rückzug blasen werde. Die Streikenden würden ökonomisch fertig gemacht. Es scheint so, als habe das jahrelange Stillhalten an der Gewerkschaftsbasis "leicht entflammbares Material" produziert und der Ausbruch des Kampfs allen aufgestauten Druck auf einmal freigesetzt.
Die Grundschullehrer beteiligten sich in großer Zahl an den Streikversammlungen und an den Demonstrationen. Sie suchten vor Ort die Kommunikation mit der Bevölkerung und schufen solche Bedingungen, dass es der Gewerkschaftsführung unmöglich war, den Streik zu beenden, selbst wenn sie es gewollt hätte. Der Energieschub an der Basis hatte Folgen sogar für die sozialliberale PASOK. Sie bezog in der Lehrergewerkschaft eine ganz andere Stellung als in den übrigen Gewerkschaften und reagierte, wie üblicherweise radikale und kämpferische Gewerkschaftsapparate reagieren.
Der Streik setzte auch eine außergewöhnliche politische Dynamik in Gang. Die politische Hegemonie der Rechtsregierung wurde in Frage gestellt. Die ökonomischen Forderungen richteten sich unmittelbar gegen die Wirtschaftspolitik der Regierung: die Streikenden forderten ein fünf- bis sechsmal höheres Einkommen als der Haushaltsplan vorsah. Damit stellte er die Frage nach einer allgemeinen Anhebung der Gehälter — ohne dass die treibenden Kräfte des Streiks dies geplant hätten. In einer Gesellschaft, die auf der Seite der Banken und Großunternehmen enorme Profite sieht, während die Mehrheit der Bevölkerung zu Löhnen arbeitet, die deutlich unterhalb der EU-offziellen Armutsgrenze liegen, die diese Ungerechtigkeit sieht, aber nicht weiss, was sie dagegen tun kann, kam der Streik gerade recht, dafür einen Weg zu weisen. Er machte deutlich, dass die abhängig Beschäftigten sehr wohl für eine allgemeine Anhebung des Lohnniveaus kämpfen können, und zwar weit über das "realistische" Maß der Lohnforderungen der Gewerkschaftsvorstände im öffentlichen und im privaten Sektor hinaus.
Das ist der Grund, warum die Versuche der Regierung, den Rest der Gesellschaft gegen die Lehrerinnen und Lehrer aufzubringen, fehl schlug. Weder die Eltern der Schülerinnen und Schüler noch die Beschäftigten in anderen Bereichen stellten sich gegen ihn — und dies obwohl andere Bereiche sich mit Lohnsteigerungen von 3,5% hatten zufrieden geben müssen, während die LehrereInnen bis zu 30% Anhebung des Grundgehalts forderten. Im Gegenteil, alle Meinungsumfragen zeigten 74% und mehr Unterstützung aus der Bevölkerung und eine Haltung, die besagte, die Lehrer kämpften auch für die Beschäftigten anderer Sektoren.
Zu den Forderungen der Lehrer gehörten nicht nur Gehaltserhöhungen, sondern auch bessere Qualifikation und die Garantie des Fortbestands der Schulen als öffentliche Einrichtungen. Sie ermutigten damit die Gymnasiallehrer, ihrerseits mehrere Tage hindurch in einen Streik zu treten, um die Grundschullehrer in ihren Forderungen zu unterstützen. Sie ermutigten auch die Schülerinnen und Schüler, im ganzen Land über 1200 Schulen zu besetzen. Es zeichnete sich die Möglichkeit ab, dass der gesamte Ausbildungssektor in den Ausstand trat. Unglücklicherweise zögerten die Studierenden, die im vorangegangenen Semester die Auseinandersetzungen angeführt hatten, zu lange, erneut in den Kampf zu treten, und als sie es taten, war ihre Unterstützung nur schwach. Die Verantwortung dafür lastet auf der Linken — sie hatte im Frühsommer eine führende Rolle im Hochschulstreik gespielt und verhielt sich jetzt eher skeptisch, oder konzentrierte sich ganz auf die Kommunalwahlen. Die Linke unterstützte deshalb den Lehrerstreik nur geringfügig und unzureichend.
Zum Glück war das Ergebnis davon nicht eine Niederlage. Er endete mit einem Unentschieden. Der Premierminister, der zunächst ein Treffen mit den Streikenden abgelehnt hatte, musste seine Haltung ändern. er gab ihren Forderungen nach Gehaltserhöhung nicht nach, machte aber andere Zugeständnisse, die sie gefordert hatten. Nach sechs Wochen Streik waren die Lehrerinnen und Lehrer aus wirtschaftlicher Not gezwungen, den Streik abzubrechen, aber sie kehrten erhobenen Hauptes in die Schulen zurück und setzten ihre Mobilisierung auf kleinerer Flamme fort. Die Verfassungsänderung betreffend die Zulassung privater Bildungseinrichtungen wurde auf das nächste Jahr verschoben.
Wäre der Streik ein Erfolg geworden, hätte die Linke ihn vorbehaltlos unterstützt, hätte es — zumal vor dem Hintergrund der laufenden Kommunalwahlen — zu einer politischen Trendwende zugunsten der Linken kommen können. Dieser Erfolg blieb leider aus.

Vaggelis Karageorgos

Der Autor schreibt für die Zeitschrift Eleutherotypia, ist Mitglied der revolutionär- marxistischen Organisation Kokkino und aktiv im Vorbereitungskomitee für das griechische Sozialforum.



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