SoZ - Sozialistische Zeitung

Zur SoZ-Homepage SoZ - Sozialistische Zeitung, Dezember 2006, Seite 18

Warum ein bedingungsloses Grundeinkommen dringend nötig ist

Eine Erwiderung auf Angela Klein, "Wundertüte mit vielfältigem Inhalt", SoZ 10/06


1. Die ArbeiterInnenklasse ist nicht einfach "da", ihre Reproduktion — physisch, moralisch, affektiv usw. — ist das wichtigste Resultat der kapitalistischen Produktionsweise. Der fordistische Klassenkompromiss ist längst aufgekündigt. Nun geht es darum, willige und billige Arbeitskräfte zu schaffen, die sich Wünsche, Hoffnungen und Sehnsüchte weitgehend abzuschminken haben. Massenarmut wird dabei durchaus in Kauf genommen.

2. Die materielle Basis für dieses Kalkül sind die neuen, postfordistischen Arbeitsformen und organisatorischen Strukturen in Wirtschaft und Staat. Stichwort: prekäre Arbeitsformen, kurzfristige Jobs, Projektorientierung, Scheinselbständigkeit, Zergliederung und Aufsplitterung der Belegschaft. Marktmechanismen als regulatives Prinzip sollen die ehemals bürokratischen Steuerungsmechanismen ersetzen. Tradierte gewerkschaftliche Kampfformen werden dadurch erschwert und unterlaufen. Die Türe zur Kapitalakkumulation durch absoluten Mehrwert soll weit aufgestoßen werden.

3. Daher greifen traditionelle Forderungen immer weniger. Arbeitszeitverkürzung würde nur jene betreffen, die noch einen Vollzeitarbeitsplatz haben (oder wollen), ein Mindeststundenlohn — eine durchaus wichtige Forderung — nur jene, die in einem Lohnverhältnis stehen. Andere Erwerbsformen bleiben außen vor.

4. Wesentlicher Hebel zur Reproduktion der ArbeiterInnenklasse ist der Sozialstaat. Druck und Schikane gegenüber Arbeitslosen ist zugleich Druck auf die Arbeitenden. Die Maßnahmen der Arbeitsmarktverwaltung sind nun keineswegs sinnlos oder disfunktional. Was in Deutschland die 1-Euro-Jobs sind in Österreich die zwangsverschriebenen Kursmaßnahmen. Klarerweise geht es dabei nicht um die Schaffung von Arbeitsplätzen, es geht um die moralische und physische Zurichtung des Proletariats.

5. Die Zeichen stehen also in Richtung Workfare, kein Sozialtransfer ohne verhüllte Zwangsarbeit. Die Forderung nach dem bedingungslosen garantierten Grundeinkommen stellt sich diesen Prozessen und Tendenzen entschieden entgegen. Es umfasst und betrifft alle, Arbeitslose wie Arbeitende, Frauen wie Männer, MigrantInnen und Nicht-MigrantInnen. Es argumentiert gegen alle Bedingungen und Auflagen, gegen jede Art von Verpflichtung.

6. Die Forderung nach dem Grundeinkommen erlaubt es, Klartext zu reden: Entkoppelung von Lohnarbeit und Einkommen, Ja oder Nein; Zwang zur Lohnarbeit, ja oder nein? Aber auch bei kleinen, bescheideneren Auseinandersetzung weist das Prinzip des Grundeinkommens die Perspektive: Bezugsstreichung bei Verweigerung eines Arbeitsamt-Kurses, ja oder nein; Recht auf Nichtannahme von Jobs durch Arbeitslose ohne Sanktionen, ja oder nein?

7. Wenn es der Forderung nach dem Grundeinkommen an Radikalität fehlt, was wäre die Alternative? Der Artikel von Angela Klein ist erstaunlich resultatlos. Was folgt eigentlich aus der Tatsache, dass auch ein Kapitalist ein Grundeinkommen fordert? Götz Werner ist kein Marxist, schon klar, Werner argumentiert nicht mit dem marxistischen Begriff der Ausbeutung, geschenkt. Und jetzt? Favorisiert Angela Klein die alt ehrwürdige Forderung nach Verstaatlichung der Produktionsmittel und die Perspektive einer Planwirtschaft? Vor zwanzig Jahren wäre die Antwort klar gewesen, Verstaatlichung unter Arbeiterkontrolle, Planwirtschaft, Machtergreifung des Proletariats. Und heute? Lohnerhöhung und Arbeitszeitverkürzung können nicht den Platz der ehemals so klar erscheinenden revolutionären Perspektive einnehmen, sondern was?

8. Klein argumentiert völlig richtig, letztlich kann ein Grundeinkommen nur durch das Proletariat selbst finanziert werden. Exakt: die Quelle der Gebrauchswerte sind Natur und Arbeit, die Quelle des abstrakten Geldwerts allein die Erwerbsarbeit. Wieso daraus eine Kritik am Grundeinkommen folgen soll, ist völlig unerfindlich. Wenn jener Sektor der Ökonomie, in der noch geregelte Arbeitsverhältnisse bestehen, zunehmend schwindet, was spricht dann gegen den Wechsel auf eine gesamtgesellschaftliche Ebene der sekundären Umverteilung via Steuern und staatlichen Transfers? Die Bourgeoisie hat durch die postfordistischen Strukturen die klassischen Kampfformen unterlaufen, warum schlagen wir da nicht klug zurück und wechseln unsererseits das Terrain?

9. Gesellschaft ist insgesamt ein produktiver Zusammenhang, alle tragen dazu bei, ob entlohnt oder nicht. Die Produktivkraft der Gesellschaft erscheint als Produktivkraft des Kapitals, können wir bei Marx lesen. Sitzen wir diesem Schein nicht länger auf. Unsere Tätigkeit ist materiell anzuerkennen, das Mittel dazu kann nur das Grundeinkommen sein.

Karl Reitter

Karl Reitter ist Redakteur der Wiener Zeitschrift Grundrisse.



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