SoZ - Sozialistische Zeitung

Zur SoZ-Homepage SoZ - Sozialistische Zeitung, Dezember 2006, Seite 19

Zwischen Gestern und Morgen

Filmische Erinnerungen von Jakob Moneta und Arno Klönne

Jakob Moneta. Jude — Gewerkschafter — Sozialist. Stationen eines Lebens im 20.Jahrhundert. Ein Film von Juri Hälker, DVD, Hamburg: VSA 2006, 5 Euro
Arno Klönne. Gegen den Strom. Geschichte politischer Opposition — Erfahrungen und Erinnerungen, DVD, Paderborn 2006, 10 Euro (zu beziehen über: www.linkesforum-paderborn.de)

Dass die Linke weniger liest denn je, darüber beschweren sich nicht nur die Bücherhändler und Zeitungsmacher. Am Medium selbst kann es kaum liegen, denn auch der Markt für linke Ton- und Filmträger, sprich: CDs und DVDs, ist noch immer bemerkenswert übersichtlich. Über die fast unvermeidlichen linken Vordenker à la Theodor W. Adorno und Ernst Bloch scheint der Markt kaum hinauszukommen. Umso verdienstvoller, wenn sich mediale Einzelkämpfer mit dem nötigen technischen Knowhow auf die Spuren eines Guido Knopp begeben und Stück für Stück Zeitzeugen der etwas anderen Art heimsuchen.
Bereits vor zehn Jahren sprach ich bspw. mit einem Filmemacher, dass es doch an der Zeit wäre, einen biografischen Film über Jakob Moneta zu drehen. Das scheiterte damals nicht nur an der nötigen Infrastruktur und einer mangelnden Hartnäckigkeit der Diskutanten, sondern auch an jener falschen Bescheidenheit, mit der Menschen wie Jakob jahrelang auf solche Ansinnen reagiert haben. Umso verdienstvoller ist nun, dass Jürgen Hinzer, Horst Gobrecht und Juri Hälker nicht locker gelassen und Moneta vor die Kamera gesetzt haben.

Der Internationalist

Moneta, den man dem SoZ-Publikum wirklich nicht mehr vorzustellen braucht, ist eine der schillerndsten Gestalten der westdeutschen Gewerkschaftsbewegung — sicherlich der bekannteste deutsche Nachkriegstrotzkist, den die meisten jedoch nicht als solchen kennen, sondern als ehemaliges SPD- und späteres PDS-Mitglied, als Chefredakteur der großen IG-Metall-Zeitschriften Metall und Der Gewerkschafter. Als Jude will sich der überzeugte Radikalsozialist zwar bekennen, solange es Antisemitismus gibt. Doch eigentlich, das hat er immer wieder deutlich gesagt, versteht er sich als Internationalist.
Schon oft und immer wieder gern hat er aus seinem bewegten Leben erzählt. Nun kann man sich wenigstens ein paar dieser erhellenden Anekdoten per DVD zu Gemüte führen. Und auch wenn das Budget der Filmemacher leider nicht mehr hergab als das Draufhalten der Kamera, sprich: ein Stück weitgehend ungefilterter Erinnerungsarbeit ohne kommentierende und dokumentierende Einordnung, so ist auch dies reichlich beeindruckend und auf angenehme Weise belehrend. Wie er von seinen politischen und gewerkschaftlichen Kämpfen im Palästina der 30er Jahre erzählt, von seiner Orientierung auf einen nichtzionistischen binationalen Staat und der gemeinsamen politischen Praxis von Arabern und Juden ist genauso aktuell wie Monetas Berichte über den französischen "Anti-Terror-Kampf" gegen die Aktivisten der algerischen Befreiungsbewegung der 50er Jahre, als es sich der französische Staat nicht nehmen ließ, Algerier in Deutschland gezielt zu ermorden.
Mit Verve erzählt er von seinen Erfahrungen als Gewerkschaftsredakteur, von den Grabenkämpfen in der IG Metall der 70er Jahre und seiner Ablehnung der in die auch ideologische Korruption führenden Mitbestimmungsorgane der Sozialpartnerschaft. Noch heute gibt er sich betont optimistisch und fest überzeugt, dass auch "die Leute" bald merken werden, dass es nicht reicht, nur seinen eigenen Arbeitsplatz auf Teufel komm raus zu verteidigen. Und dann? Dann werden wieder die Bedürfnisse der Menschen zum Kriterium des Wohlbehagens und Fortschritts und nicht mehr die Gesetze von Profit und Konkurrenz.

Der Paderborner Jung‘

Etwas verhaltener optimistisch gibt sich auch Arno Klönne auf einer DVD, die eine Veranstaltung des Linken Forums Paderborn dokumentiert, die dieses anlässlich des 75.Geburtstages Klönnes im vergangenen Frühling organisierte.
Auch hier hält die Kamera bloß drauf, doch der Rahmen ist ein anderer. Hier erzählt einer vor öffentlichem Publikum von seinen politischen Erinnerungen und Erfahrungen, die so gänzlich anders verlaufen sind als die Monetas, dort der internationalistische jüdische Weltbürger — nicht nur politisch, sondern auch sprachlich zuhause in mehreren Kontinenten. Hier der Paderborner Jung‘, dessen Jugend vom deutschen Faschismus und der unmittelbaren Nachkriegszeit geprägt wird, der im katholischen Milieu Westfalens groß wird und über die bündische Jugend Anschluss an die emanzipatorischen und v.a. antimilitaristischen Traditionen der Weimarer Zeit fand und diese in den restaurativen Zeiten des Adenauer- Regimes weiter trug. Persönliches erfahren wir eher wenig — Klönne bekennt sich offen zu jenem Traditionalismus, dem das Private nicht automatisch politisch ist. Dafür erfahren wir viel über die Politik und Kultur der Zeit vor 1968, über deren Antikommunismus und das historisch Neue der Ostermarschbewegung. Und wir erfahren, dass die westfälische Provinz, in der Klönne groß geworden ist und in die er nach den Umwegen seiner akademischen Ausbildung offensichtlich gerne wieder zurückgekehrt ist, alles andere als langweilig oder politisch unbedeutend war. Seine Ausführungen über den im Westfälischen besonders tief verwurzelten Katholizismus — dem auch er eingestandenermaßen nicht entkommen konnte — und dessen linkskatholische Ränder sind ein erfrischendes Stück Aufklärung. Mit Leben gefüllt wird die Veranstaltung zudem durch die Gitarren- und Gesangsperformance von Eckhard Radau, der Lieder von Erich Kästner, Boris Vian, Ferdinand Freiligrath und anderen zum Besten gibt — nicht selten mit direktem Bezug zu Paderborn, und, ich geb es freimütig zu, nicht gerade etwas für Liebhaber der Rock- und Popmusik wie mich.
Und weil die Zeitreise nach ‘68 reichlich abrupt endet, wird im "Bonusmaterial" auch noch kurz die heutige Situation nachgetragen. Viel zu kurz für mein Empfinden, denn gerade in den letzten zehn Jahren hat Klönnes Wirken eine neue Ebene erklommen.
Wie kein anderer hat er seitdem (in Beiträgen und Büchern) die großen Linien der deutschen Politik in ihrem Zusammenhang analysiert, jene unheilige Trias von Enttabuisierung des Militärischen nach außen, von neoliberalem Sozialdarwinismus nach innen und der mit beidem aufs engste verbundenen schleichenden Entdemokratisierung eines vermeintlich sozialen und demokratischen Rechtsstaates. Unvergessen, wie er (nicht nur, aber zumeist in Ossietzki) die entdemokratisierenden und entpolitisierenden Mechanismen der Mediendemokratie aufgezeigt und die Transformation der großen etablierten Parteien, vor allem natürlich der sozialdemokratischen, zum verfassungswidrigen Kanzlerwahlverein aufs kritische Korn genommen hat. Unvergessen und aktuell aber auch, wie er die linken Illusionen in den herrschenden Parlamentsbetrieb entlarvt hat — bspw. Anfang 2002, als er an Petra Paus Kommentaren zur "rot- roten" Senatsbildung in Berlin aufzeigte, wie sich hier eine Logik Bahn bricht, der es einzig noch darum gehe, "regierend ein paar Krumen vom Tisch der Mächtigen abzubekommen". Wie kein anderer verbindet Arno Klönne diese Analyse der großen Linien der deutschen Politik auch mit dem praktischen Engagement eines souverän über den Strömungen der deutschen Linken stehenden Propagandisten eines neuen linken Aufbruchs.
So ist Klönne auch in eine Rolle gerutscht, die er jüngst an seinem akademischen Lehrer Wolfgang Abendroth gerühmt hat, denn heute ist es Klönne, der den linken Politikanalytiker in der Tradition der Arbeiter- und Gewerkschaftsbewegung gibt; der die Entschiedenheit in der (antikapitalistisch-sozialistischen) Sache mit einem freundlichen Umgang ebenso mischt wie die Schärfe des politischen Geistes mit der Ablehnung jeder Effekthascherei; der Theorie und Praxis nicht auseinander gerissen hat und politische Wirksamkeit in Gewerkschaften, Parteien und sozialen Bewegungen mit der Mitarbeit in publizistischen Projekten und linken Kleingruppen verbindet; der beschränkte Sichtweisen ebenso kritisiert wie Scheinradikalitäten; der die Bürokratisierung linker Organisationsformen ebenso zu überwinden trachtet wie die rechthaberische Isolation im gesellschaftlichen Gegen-Ghetto.
Es wäre wert gewesen, diesen seinen Kampf gegen die unheilige Trias von Enttabuisierung des Militärischen nach außen, von neoliberalem Sozialdarwinismus nach innen und der mit beidem aufs engste verbundenen schleichenden Entdemokratisierung, auch auf der DVD stärker fortzusetzen, und in Beziehung zu setzen mit der Geschichte jener Neuen Linken, deren integraler Teil Klönne war und ist. Nicht zuletzt, weil sich hier — wie in jenem von Radau intonierten Tucholsky-Lied — das Gestern und das Morgen kräftig mischen. Eine DVD also, die nach einer Fortsetzung geradezu schreit...

Christoph Jünke

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