SoZ - Sozialistische Zeitung |
Immer wieder liest man, dass es im Internet regelrechte Abmahnwellen gibt. Betreibern verschiedenster Homepages werden
Verstöße gegen das Urheberrecht, Markenrecht, Patentrecht oder Persönlichkeitsrecht vorgeworfen. Die Abgemahnten sind dabei mit
finanziellen Forderungen konfrontiert, die große Löcher in die private Geldbörse reissen oder sogar eine hohe Verschuldung zur Folge haben
können.
Das Prinzip der Verhältnismäßigkeit ist allzu oft nicht gewahrt,
geschweige denn die Frage geklärt, inwieweit sich die Abmahnenden überhaupt im Recht befinden. Denn zu einer rechtlichen Klärung
kommt es in der Regel nicht, weil die Abgemahnten aus Furcht vor explosionsartig ansteigenden Kosten eher geneigt sind, eine Unterlassungserklärung zu
unterschreiben, mit der sie sich aber zugleich verpflichten, die Anwaltskosten der Gegenseite, die sich aus dem angesetzten Streitwert ableiten, zu
übernehmen.
Abmahnungen sind somit längst zu einem Mittel geworden, das sich gemessen
an der ursprünglichen Intention dieses Rechtsinstrumentariums in sein Gegenteil verkehrt hat. Denn die Abmahnung soll eigentlich den Zweck
erfüllen, höhere Kosten für den Beklagten zu vermeiden, die sich zwangsläufig durch einstweilige Verfügung und
Gerichtsverfahren ergeben. Ins Gegenteil verkehrt sich der Zweck der Kostenvermeidung, wenn die Abmahnung als Einschüchterung, d.h. als Abzocke
eingesetzt wird und damit nichts anderes als moderne Wegelagerei ist.
Das ZDF hat jetzt das sozialistische Online-Magazin Sopos.org wegen einer Persiflage auf ihre Anzeigenkampagne "Unsere Besten" abgemahnt.
In "Unsere Besten" durften die Zuschauer über die
"größten Deutschen" abstimmen. Vorbild war die britische Sendung "100 Greatest Britains" der BBC. Die Sendung war
bereits in die Kritik geraten, weil ausgerechnet europäische Geistesgrößen wie die Österreicher Wolfgang Amadeus Mozart und
Sigmund Freud sowie der im polnischen Torun geborene Nikolaus Kopernikus, um dessen nationale Zugehörigkeit schon im 19.Jahrhundert gestritten
wurde, für "Deutschland" vereinnahmt werden.
Man wird den Betreibern der Sendung oder dem ZDF nicht vorwerfen können, dass sie
sich noch heute einen großdeutschen Kulturraum von der Maas bis an die Memel wirklich erträumen. Dem Albtraum von einem
Großdeutschland, wie ihn die Nationalsozialisten geträumt haben, hängen heute sicher nur die Ewiggestrigen an, zu denen das ZDF nicht zu
zählen ist. Aber mehr als bloße Unbedachtheit wird es schon gewesen sein. Denn auch eine indirekte Bezugnahme auf jenen Kulturraum bewirkt die
von vielen so heiß ersehnte Bereinigung der Selbstbezichtigungen durch Schuld und Vergehen sowie ein geläutertes Selbstbewusstsein was
gemeinhin unter "Normalisierung" verstanden wird. Im Klartext: Das ZDF stellt mit der Sendung "Unsere Besten" eine positive
Kontinuität der deutschen Nation her, in der die Zeit des Nationalsozialismus nur als Betriebsunfall erscheint. Hier wird demnach eine neue
Normalität der deutschen Nation konstruiert, die die Lehren der deutschen Geschichte vergessen hat.
Sopos.org hat darum in seiner Satire auf die großflächig geschaltete
Anzeigenkampagne des ZDF unter Verwendung des ZDF-Logos statt des Konterfeis Konrad Adenauers ein Bild vom Reichsparteitag der Nazis in
Nürnberg gezeigt und mit der Unterschrift versehen: "Ohne das Zweite sieht man besser, warum es ohne Deutschland besser ist."
Das hat offensichtlich dem ZDF nicht gefallen, zumal etwa von der Google-Bildersuche die
Karikatur noch vor der Seite des ZDF gelistet wird. Die Verhältnismäßigkeit der Abmahnung ist gleich in mehrfacher Hinsicht nicht gewahrt.
Der Streitwert ist mit 100000 Euro ungebührlich hoch angesetzt. Aber nicht nur, dass das ZDF mit Kanonen auf Spatzen schießt und so etwas sich
nicht gehört. Vorgeworfen wird den Herausgebern von Sopos.org eine Marken- und Urheberrechtsverletzung, obwohl die Persiflage
unmissverständlich als Satire gekennzeichnet ist. Das ZDF genieße einen umfassenden Schutz am Titel "Unsere Besten", wenn nicht
sogar den Schutz einer bekannten geschäftlichen Bezeichnung. Die Abbildung verunglimpfe die ZDF-Werbekampagne in unzulässiger Weise, und
Sopos.org verstoße gegen das Gesetz des unlauteren Wettbewerbs, so die Tutzinger Rechtsanwaltskanzlei Bettina Krause. Außerdem stünden
aufgrund der zu den Plakaten des ZDF identischen Gestaltung urheberrechtliche Aspekte im Raum. Neben Unterlassungsansprüchen werden auch
Schadenersatzansprüche geltend gemacht.
Hier wird unter dem Deckmantel des Marken- und Urheberrechts versucht, kritische Stimmen
mundtot zu machen. Meinungsfreiheit macht nur Sinn, wenn sie der Kritik nicht nur Asyl gewährt, sondern ausdrücklich auf sie bezogen ist. Kritik
eckt an. Täte sie das nicht, wäre sie nutzlos. Gerade weil sie es tut, gehört sie zu den Grundfesten der demokratischen Verfasstheit unseres
Gemeinwesens.
Im Übrigen kann eine Marke grundsätzlich nur bei geschäftlicher Nutzung geschädigt werden. Da Sopos.org mit der inkriminierten
Satire kein Geschäft betrieben hat, kann sie auch nicht aufgrund des Markenrechts untersagt werden. Es käme faktisch einer Abschaffung des
Grundrechts auf freie Meinungsäußerung gleich. Dass nun ein solcher Vorstoß ausgerechnet von einem großen öffentlich-
rechtlichen Rundfunksender mit praktisch unbegrenzten finanziellen Mitteln aus Rundfunkgebühren kommt, macht die Angelegenheit in hohem
Maße politisch skandalös. Denn der gesetzliche Auftrag dieser Anstalt des öffentlichen Rechts besteht darin, dem Zuschauer nicht nur ein
umfassendes und ausgewogenes Angebot von Information, Bildung, Kultur und Unterhaltung zu geben, sondern die Kultur der freien
Meinungsäußerung zu pflegen und zu verteidigen. Nicht ohne Grund wurden ja auch die öffentlich-rechtlichen Anstalten mit einer
weitreichenden Unabhängigkeit gegenüber den staatlichen Institutionen ausgestattet.
Es steht also die nicht unerhebliche Frage im Raum, welches Recht in Deutschland
zukünftig höher wiegen soll: Markenrecht und Urheberrecht oder Meinungsfreiheit und Freiheit der Kunst? Meinungsfreiheit ist in der
Bundesrepublik vor dem Hintergrund der deutschen Vergangenheit bisher eines der höchsten Güter gewesen.
Eine letzte Unverhältnismäßigkeit macht das Ganze zur Realsatire.
Würde es zur gängigen Praxis werden, Wörter unseres Sprachschatzes ("Unsere Besten") oder gar einzelne Buchstaben des
Alphabets zu patentieren, wäre innerhalb kürzester Zeit der gesamte Wortschatz resp. das Alphabet in privater Hand. Niemand könnte mehr
unentgeltlich sich der deutschen Sprache in Wort und Bild bemächtigen, ohne eine Abmahnung zu riskieren. Es wäre das Ende des Bewusstseins
und der Wahrnehmung durch Sprache damit nicht nur die Voraussetzung für das Funktionieren jeder Marke zerstört, sondern auch für
einen Kulturraum, wie groß und wie deutsch auch immer er sich gerieren mag.
Obwohl die Rechtslage zugunsten Sopos.org eindeutig ist, haben die Betreiber des
Internetmagazins die Satire aus dem Netz genommen. Als Privatpersonen wären sie finanziell nicht in der Lage, einen Prozess mit einem Streitwert in
Höhe von 100000 Euro durchzustehen.
Marcus Hawel
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