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Homepage SoZ - Sozialistische Zeitung, Januar 2007, Seite 11

Nikaragua: Ortegas Wahlsieg

Kein Aufbruchsignal

Die Ergebnisse der Präsidentschafts- und Parlamentswahlen vom 5.November 2006 lassen einige Rückschlüsse zu über den Zustand Nikaraguas.
Selbst nach drei Perioden neoliberaler Regierungspolitik hat bei diesen Wahlen erneut die Mehrheit von 55% für die beiden großen rechten Parteien gestimmt: Die populistische PLC (Konstitutionalistische Liberale Partei), die nach wie vor von dem korrupten Ex-Präsidenten Arnoldo Alemán geführt wird, erreichte mit ihrem Kandidaten José Rizo 27,11%. Die "saubere" ALN (Liberale Allianz Nikaraguas) errang mit ihrem Kandidaten Eduardo Montealegre, einem Banker, der die traditionelle Oligarchie des Landes repräsentiert und die unverholene Unterstützung Washingtons besitzt, sogar 28,3%.

Strukturell rechte Mehrheit

Obwohl von den etwa 5,5 Millionen Nikaraguanern über 4 Millionen Menschen in Armut leben, die Hälfte davon sogar in extremer Armut, und die Unterschiede zwischen Arm und Reich selbst für lateinamerikanischen Verhältnisse ungeheuerlich sind, konnte diese seit der Wahlniederlage der FSLN (Sandinistische Nationale Befreiungsfront) 1990 bestehende strukturelle rechte Mehrheit nicht gebrochen werden.
Die beiden bisher vorherrschenden Mehrheitsparteien PLC und FSLN, die sich durch den Pakt zwischen Alemán und Ortega fast alle wichtigen Staatsinstitutionen und staatlich kontrollierten Unternehmen — samt der dazu gehörigen Megagehälter — untereinander aufgeteilt hatten, erhielten zusammen sogar 65% der abgegebenen Stimmen. Es ist sicherlich ein wichtiger politischer Erfolg, dass das zentrale Vorhaben dieses Paktes, nämlich ein Zwei-Parteien-System dauerhaft zu institutionalisieren, durch die deutliche parlamentarische Präsenz von ALN und MRS aufgebrochen werden konnte. Aber obwohl Alemán wegen der Veruntreuung von rund 100 Millionen Dollar zu 20 Jahren Gefängnis verurteilt ist und obwohl Ortega mit ihm seit Jahren in einem politisch-materiellen Pakt verbunden ist, haben zwei Drittel der Wähler für die Parteien dieser beiden Politiker gestimmt — nach dem Motto: Wir wissen, dass sie korrupt sind, aber sie bewegen wenigstens etwas.
Der nur zehn Tage vor den Wahlen beschlossenen totalen Illegalisierung der Abtreibung haben alle zu der Zeit im Parlament vertretenen Parteien zugestimmt, allen voran die FSLN, aber auch die PLC, die ALN und einzelne weitere Abgeordnete. Obwohl diese Abstimmung direkt mit einer Mobilisierung der reaktionärsten Kreise des katholischen Klerus zusammen hing und leicht als Wahlkampfmanöver zu erkennen war, haben über 93% für diese Parteien gestimmt. Selbst die öffentliche Wiederholung der Anklage von Zoilamerica Narvaez — der Stieftochter von Daniel Ortega —, schon als kleines Kind und dann über viele Jahre hinweg von ihm sexuell missbraucht und vergewaltigt worden zu sein, wurde weder von seiner Partei FSLN noch von der Wählerschaft als Ausschlussgrund für die Präsidentenwahl angesehen. Einige Intellektuelle begründeten ihre Unterstützung sogar mit dem Hinweis, dass Ortegas Auftreten gegen den Neoliberalismus wichtiger sei als dieses "Defizit" in seinem persönlichen Lebenswandel.
Diese drei Haupttendenzen wurden von der FSLN-Führung unter Daniel Ortega und seiner Ehefrau Rosario Murillo in den letzten Jahren massiv gefördert: Die FSLN konnte keine glaubwürdige Alternative zur neoliberalen Rechten aufbauen, weil sie in den vergangenen drei Regierungsperioden alle wichtigen Gesetze zur Durchsetzung der vom IWF geforderten Maßnahmen mit verabschiedet hat und weil die FSLN-Führung selbst Teil der damit verbundenen Korruption geworden ist. Die FSLN war sogar — in offenem Widerspruch zu ihrer bisherigen Politik und natürlich ohne irgendeine vorherige parteiinterne Diskussion zu dieser Frage — der Hauptmotor für die überfallartige totale Illegalisierung der Abtreibung in Nikaragua.
Nun wurde Daniel Ortega mit 38% der Stimmen zum Präsidenten Nikaraguas gewählt. Bei einer Wahlbeteiligung von 70% haben etwas mehr als ein Viertel der Wahlberechtigten für ihn gestimmt. Dieses Ergebnis reicht nur deswegen aus, weil Ortega und Alemán in den 90er Jahren die Verfassung änderten und den Mindeststimmenanteil für den ersten Wahlgang von ursprünglich 45% auf 35% gesenkt haben, wenn der Abstand zum nächsten Kandidaten mindestens 5% beträgt. Entsprechend der unter der sandinistischen Herrschaft 1987 verabschiedeten Verfassung, hätte Ortega sich einem zweiten Wahlgang stellen müssen, den er auf Grund der vielschichtigen, jedoch in der Bevölkerung fest verankerten mehrheitlichen Ablehnung gegenüber seiner Person sicher verloren hätte.

Bewegung zur Errettung des Sandinismus

Das Wahlbündnis MRS (Bewegung zur Errettung des Sandinismus) war unter der Parole "Nicht noch mehr von dem gleichen Elend" angetreten. Es machte deutlich, dass ein klarer politischer und personeller Bruch nötig sei, um Nikaragua aus dem Sumpf von Vetternwirtschaft, Hörigkeit gegenüber neoliberalen Auflagen und deren gleichzeitiger — allerdings rein rhetorischer — Kritik auf Wahlveranstaltungen zu befreien.
Herty Lewites hatte dieses Bündnis ins Leben gerufen, nachdem er mit seinem Versuch gescheitert war, der Präsidentschaftskandidat der FSLN zu werden. Entgegen der eigenen Statuten hatte die FSLN-Führung die eigentlich vorgeschriebene parteiinterne Vorwahl des Präsidentschaftskandidaten ausgesetzt, Herty Lewites aus der Partei ausgeschlossen und Ortega als ihren Kandidaten gekürt.
Niemand in Nikaragua zweifelte daran, dass Herty Lewites als Kandidat der FSLN eine große Chance gehabt hätte, die absolute Mehrheit der Wahlstimmen zu erreichen. Er war weit über seine Parteigrenzen hinaus anerkannt und beliebt, weil er nicht nur als vormaliger Bürgermeister der Hauptstadt Managua auf bedeutende Erfolge zurückblicken konnte, sondern weil er auch aktiv gegen die Korruption vorgegangen ist, selbst wenn Mitglieder der eigenen Partei darin verwickelt waren.
Leider verstarb er unerwartet, noch ehe die heiße Phase des Wahlkampfs begonnen hatte — in einem Land, in dem politische Positionen häufig mit Personen identifiziert werden, ein kaum auszugleichender Verlust. Obwohl sein vorher kaum bekannter Nachfolgekandidat Edmundo Jarquín durch seinen argumentativen Wahlkampf viel Sympathie aufbauen konnte; obwohl Calros Mejía Godoy, der Autor und Komponist der meisten bekannten Lieder der sandinistischen Revolution, sein Vizepräsidentschaftskandidat war; obwohl nahezu alle kritischen und aus der FSLN heraus gedrängten ehemaligen Führungspersönlichkeiten (wie z.B. Henry Rúiz, Victor Tirado, Luis Carrión, Ernesto Cardenal, Gioconda Belli, Sergio Ramírez, Victor Hugo Tinoco, Mónica Baltodano, Dora María Téllez...) sich öffentlich hinter die MRS gestellt hatten, errang sie am Ende nur 6,5% für ihren Präsidentschaftskandidaten und etwa 2% mehr für ihre Abgeordneten.
Dennoch zeigt ein Ergebnis von bspw. 15% in Managua, dass diese neue Partei vor allem dort, wo eine gewisse Medienvielfalt herrscht und wo ein gewisser Bildungsgrad vorhanden ist, in Zukunft große Chancen hat, maßgeblich in das politische Geschehen einzugreifen. So ist der Verlust von Lewites vielleicht auch eine Chance, in Nikaragua wieder weg von charismatischen Führern und hin zu politischen Konzepten zu kommen, die in demokratischen Meinungsbildungsprozessen entwickelt werden.
Die MRS ist als einzige Partei offen gegen das totale Verbot der Abtreibung und für die Aufrechterhaltung der Trennung von Staat und Kirche eingetreten. Ebenfalls als einzige Partei hat sie in ihrem Wahlkampf Themen wie Gewalt gegen Kinder und Vergewaltigung aufgegriffen, die in der nikaraguanischen Gesellschaft zwar allgemein totgeschwiegen werden, aber ein weit verbreitetes Problem darstellen. So wundert es nicht, dass unterschiedliche Gruppen der autonomen Frauenbewegung dieses Bündnis unterstützten. Auch die Vereinigung der Opfer von Negamon, einem krebserzeugenden Pestizid, das in Bananenplantagen eingesetzt wurde, stellte sich hinter die MRS. Diese Themen — wie auch die Problematik der Korruption, der illegalen Abholzung von Urwald, der Freilassung von Drogenhändlern o.ä. — wurden im Wahlkampf der FSLN nie erwähnt, weil zu viele ihrer Mitglieder aus zu hohen Positionen persönlich in derartige Skandale verwickelt sind.

Enttäuschung programmiert

Während die Wahlerfolge anderer "linker" Kandidaten in Lateinamerika, bspw. von Hugo Chávez in Venezuela oder Evo Morales in Bolivien, mit gesellschaftlichen Aufbruchssituationen verbunden sind, kann davon in Nikaragua kaum die Rede sein. Während die genannten Präsidenten in der einen oder anderen Form den Sozialismus wieder ins Gespräch bringen, tat Ortega alles, um seine frühere sozialistische Orientierung zu verleugnen und sich und seine Partei jetzt als die treuesten Gefolgsleute von Papst Johannes Paul II. und Kardinal Miguel Obando y Bravo darzustellen.
Im Gegensatz zu Hugo Chávez oder Evo Morales (oder auch Lula in Brasilien oder Bachelet in Chile) hat in Nikaragua nur eine Minderheit für Ortega gestimmt, und er stößt selbst in großen Teilen der armen Bevölkerung auf eine scharfe Ablehnung. Sicherlich wird Ortega sein Ego das eine oder andere Mal im Kreise dieser neuen Generation lateinamerikanischer Präsidenten pflegen. Fortschrittliche politische Impulse sind von ihm nicht mehr zu erwarten. Diese könnten sich aus den Reihen der FSLN nur dann entwickeln, wenn sich weitere Sektoren — über diejenigen, die sich schon heute in der MRS engagieren, hinaus — von ihrem Caudillo Ortega und dessen Machtzirkel persönlich und politisch befreien.
Da das Wahlbündnis der FSLN "Das Vereinigte Nikaragua triumphiert" mit ehemaligen Führern der Contra, mit Vertretern der Liberalen Partei Somozas, mit bekannten Repräsentanten der Konservativen und unter der Schirmherrschaft der reaktionärsten Vertreter der katholischen Kirchenhierarchie jeglicher gemeinsamen politischen Grundlage entbehrt, kann es sich hierbei nur um einen Zusammenschluss zur Verteilung von lukrativen Positionen handeln.
Angesichts der im Wahlkampf erzeugten Erwartungen an eine Präsidentschaft Ortegas einerseits und der Gier der alten und neuen Reichen andererseits sind Enttäuschungen bis tief in die sandinistische Wählerschaft hinein vorgezeichnet. Sie werden zwangsläufig zu neuen sozialen Auseinandersetzungen führen. Nach seiner Beteuerung, dass alle in- und ausländischen Investitionen auch unter seiner Regierung in Nikaragua sicher seien, präzisierte der Wahlsieger Ortega sehr schnell, dass daher zukünftig auch keine Landbesetzungen mehr geduldet würden. Nur vier Tage nach der Wahl wurde die erste Landbesetzung in Villa Libertad gewaltsam von Spezialeinheiten der Polizei beendet.
Mit seiner Absicht, auch als Präsident weiterhin Vorsitzender der FSLN zu bleiben, setzte Ortega ein weiteres deutliches Signal: Es gibt im ganzen Land und selbst in seiner eigenen Partei nur einen einzigen Menschen, dem er wirklich voll vertrauen kann — sich selbst. Dieses politische Phänomen ist nicht neu in der Geschichte. Und die Folgen sind bekannt. Nikaragua stehen weiterhin harte Zeiten bevor.

Matthias Schindler

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