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Homepage SoZ - Sozialistische Zeitung, Januar 2007, Seite 13

Palästina

Spalten, um besser zu herrschen

Die israelischen Angriffe gegen die palästinensische Bevölkerung des Gazastreifens nehmen zu. Israel ist bestrebt, einen Bürgerkrieg in Palästina auszulösen.

Vor den Toren von Gaza, Sonnabend den 11.November. Gaza, dieses gigantische Konzentrationslager; Gaza, die größte Bevölkerungsdichte in der Welt, wo die sog. Kollateralopfer unvermeidbar, also kalkuliert sind; Gaza, zu leichtes Ziel für die massakrierende israelische Artillerie; Gaza, die Märtyrerin: 200 Israelis und etwa ein Dutzend palästinensischer Aktivisten aus Ost-Jerusalem sind gekommen, um an diesem Tag ihre Scham und ihre Wut zu zeigen.
Seit Juli hat man aufgehört die Toten zu zählen, die Opfer der Bombardements, der Sperrfeuer, der Einfälle in den Gazastreifen und der gezielten Morde. Bis im Dorf Beit Hanoun zwanzig Angehörige einer Familie im Schlaf durch eine israelische Artilleriegranate getötet wurden, die — offensichtlich irrtümlich — auf ein Gebäude gerichtet war, das sich im Herzen eines Wohnviertels befand.
Lassen wir wenigstens die Heuchelei: Wenn man mit Tausenden von Geschossen und Granaten ein Wohnviertel bombardiert, wo Zehntausende Menschen leben, weiß man, dass man ein Massaker anrichten wird. Die Entschuldigungen von Verteidigungsminister Amir Peretz (von der Arbeitspartei) und die betretenen Erklärungen von Ministerpräsident Olmert (von der von Ariel Sharon gegründeten Partei Kadima) beleidigen die Opfer. Was die Europäische Union betrifft, so ist die Sprachlosigkeit ihrer Wortführer eine Ohrfeige für jeden Palästinenser.
Gestehen wir George Bush zu, dass er, als er gegen die Erklärung des UN- Sicherheitsrats, die das Massaker verurteilte, sein Veto einlegte, weniger heuchlerisch war als seine europäischen Kollegen: Man kann kein Omelette backen, ohne Eier zu zerschlagen, und im Überlebenskampf der jüdisch-christlichen Zivilisation gegen den (muslimischen) Terrorismus kann man nicht mit Samthandschuhen vorgehen... Nach dem Krieg im letzten Sommer im Libanon können wir uns heute mit Recht grundlegende Fragen über eine Politik stellen, die man nur als eine Politik der Massaker bezeichnen kann. Umso mehr als sie sich mit einer ähnlichen Politik der USA im Irak verbindet.
Ein geplanter Völkermord? Das ist gewiss das, was die blinde, aber legitime Wut damit verbindet. Aber weder die USA noch Israel denken daran, die Existenz derer auszulöschen, die sie "terroristische Völker" nennen. Selbst wenn sie die Zahl ihrer Opfer täglich verzehnfachen würden, benötigten sie mehr als ein halbes Jahrhundert, um ihr Ende zu erreichen, und dies beträfe nur die palästinensischen Bewohner des Westjordanlands und des Gazastreifens.
Ein provozierter Massenexodus? Wenngleich kein Zweifel besteht, dass der "Transfer" ein zutiefst im Unterbewusstsein der großen Mehrheit der Zionisten verankertes Fantasma ist, deutet nichts darauf hin, dass der Terrorismus des Staates Israel in der Lage wäre, einen solchen Exodus zu provozieren. Tatsache ist, dass sich das demografische Verhältnis zwischen jüdischen Israelis und Palästinensern systematisch zugunsten letzterer verschiebt.
Tatsächlich streben die israelischen Führer über diese Massaker die Zerstörung Palästinas als Nation an, was der israelische Soziologe Baruch Kimerling einen "Politizid" und sein palästinensischer Kollege Salah Abdel Jawad einen "Soziozid" nennt. Ganz wie die amerikanischen Neocons den Krieg im Irak mit dem Willen geführt haben, den irakischen Staat zu zerstören und diesen arabischen Staat in ein Ensemble ethnischer Entitäten zu verwandeln. Deshalb ist es bei dieser Strategie unerlässlich, Bürgerkriege, möglichst ethnischer Art, zu schüren.
In Palästina sind die Versuche, die christliche Minderheit gegen die Muslime aufzubringen, gescheitert, und zwar vom Beginn der israelischen Besatzung an: Die Stärke des nationalen Gefühls hat diesen zionistischen Traum zunichte gemacht, der so alt ist wie der Kolonialismus selbst. Die israelischen und amerikanischen Strategen haben somit versucht einen politischen Bürgerkrieg zu schüren, indem sie von Yasser Arafat als eine der Forderungen des Oslo-Prozesses die Auslöschung des Terrorismus verlangten. Aber rasch verwandelte sich diese Forderung in die nach der "Zerstörung der terroristischen Infrastruktur", was nur ein anderer Ausdruck dafür war, dass die Palästinensische Autonomiebehörde die Hamas-Bewegung vernichten sollte. In dieser Frage noch mehr als in anderen ist Yasser Arafat unnachgiebig gewesen, wiederholt äußernd, dass Palästina nicht Algerien ist und er keinen Bürgerkrieg zwischen "Islamisten" und "Laizisten" schüren würde.
Die Neutralisierung Yasser Arafats ab 2001 ist das Resultat dieser Weigerung, einen innerpalästinensischen Bürgerkrieg zu schüren. Die palästinensische Gesellschaft hat ihrerseits auf diese Erpressung damit geantwortet, dass sie der Hamas eine Mehrheit im Parlament verschaffte. Darauf antworteten die Israelis und die US-Amerikaner, aber auch die Europäer, mit einer kriminellen Blockade gegen das palästinensische Volk, wobei sie verlauten ließen, dass, falls Präsident Abbas die gewählte Regierung suspendierte, die Sanktionen aufgehoben werden könnten. Dahinter stand die Hoffnung, dass ein Teil der palästinensischen Gesellschaft, angeführt vom rechten Flügel der Fatah, sich gegen die legitime Regierung erhebt und so den Bürgerkrieg provoziert.
Die Atomisierung des palästinensischen Raums — Resultat der Politik der Umzingelung, wovon die Mauer nur das sichtbarste Element ist —, das durch die Blockade bewirkte Elend, Israels Diebstahl gewaltiger Summen, die der Autonomiebehörde gehören, und die Weigerung mancher Kader der Fatah, die Entscheidung der Bevölkerung zu akzeptieren, schaffen eine extrem unstabile und mit internen, zunehmend schärferen Konflikten geladene Situation. In Gaza hat es bereits mehrere Tote infolge dieser Konflikte gegeben, die ebenso Auseinandersetzungen zwischen verschiedenen Clans wie zwischen verschiedenen Fraktionen sind. Auch wenn die nationale Einheit ein bestimmender Faktor in der palästinensischen Politik und im Bewusstsein der Massen bleibt und der Hass auf die Besatzer stärker bleibt als die internen Konflikte, gibt es dennoch mittelfristig Anlass zu befürchten, dass die Situation degeneriert. Der Irak ist für uns ein warnendes Beispiel.

Michel Warschawski, Jerusalem

(Übersetzung: Hans-Günter Mull)



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