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Homepage SoZ - Sozialistische Zeitung, Januar 2007, Seite 15

Die globale Dienstleistungskette

Zum Weltbevölkerungsbericht der UN

Am 6.September wurde der Weltbevölkerungsbericht 2006 vorgestellt. Er wird jährlich vom UNFPA, dem Bevölkerungsfonds der Vereinten Nationen, erstellt.
Der Weltbevölkerungsbericht 2006 ist den Migrantinnen gewidmet. Die Zahl der Frauen, die gezwungen sind ihre Heimat zu verlassen, wächst stetig. Von 191 Millionen Migrantinnen und Migranten weltweit sind 95 Millionen Frauen. Seit dem Jahr 2000 wandern mehr Frauen als Männer in alle Regionen der Welt aus — nur nicht nach Asien und Afrika. Migrantinnen, die aus Asien stammen, wandern meist in benachbarte ostasiatische Länder oder in die Länder des Nahen Ostens aus; ihre Zahl ist gestiegen. Der Bevölkerungsbericht schätzt, dass seit Anfang dieses Jahrhunderts jährlich schätzungsweise 800000 Asiatinnen in den Nahen Osten auswandern — zumeist als Hausangestellte.
Der Trend zur Feminisierung der Migration ist auch in Lateinamerika sehr stark: Im Jahr 2001 waren fast 70% aller Einwanderer, die aus Brasilien und der Dominikanischen Republik nach Spanien kamen, Frauen. Auch in Afrika lässt sich dieser Trend beobachten. 2005 machten Frauen 47% der afrikanischen Migration aus. In Europa sind die Frauen in der Migration seit den 90er Jahren in der Überzahl. Unter ihnen sind nach EU-Schätzung 5 Millionen Irreguläre.
Familiennachzug ist immer noch der häufigste Grund für weibliche Migration, gefolgt von Arbeitssuche und Asyl.

Geld für zu Hause

Durch die Globalisierung unter verschärfte Konkurrenz gesetzt, suchen viele junge Frauen Arbeit in der Fremde, um ihre Lebensverhältnisse und die ihrer Familien zu verbessern. Dabei tragen sie zum Erhalt der Lebensqualität in den Ländern bei, in denen sie arbeiten. Die dunkle Seite der internationalen Migration ist, dass Millionen Migrantinnen als moderne Sklavinnen ohne Rechte arbeiten müssen oder zur Prostitution gezwungen werden. Die Zahl der irregulären Migrantinnen schätzt der Bevölkerungsbericht weltweit auf 30—40 Millionen.
Migranten sind für ihre Länder eine wichtige Finanzierungsquelle. Laut der Weltbank rangieren sie gleich nach den Auslandsinvestitionen. Im Jahr 2005 wurden ihre Transferzahlungen auf 232 Milliarden US-Dollar geschätzt, davon flossen 167 Milliarden US-Dollar in die Entwicklungsländer. Die Transferzahlungen der irregulären Migration werden auf jährlich 75 Milliarden US-Dollar geschätzt, ein großer Teil kommt aus fünf bis sechs Ländern. Länderspezifische Untersuchungen ergaben: 1999 überwiesen Migrantinnen und Migranten über eine Milliarde Dollar nach Sri Lanka; 62% des Geldes stammte von Frauen. Im gleichen Jahr schickten Migrantinnen und Migranten 6 Milliarden Dollar auf die Philippinen, ein Drittel kam von Frauen. Zwei Drittel des gesamten Inlandseinkommens Moldawiens stammt von Migrantinnen, die größtenteils als Hausmädchen illegal arbeiten.
Insgesamt überweisen Frauen weniger Geld als Männer, was bei der ungleichen Lohnsituation normal ist, aber trotz ihrer geringeren Einkommen ist der Anteil, den sie an ihre Familien in der Heimat überweisen, höher.

Die Dienstleistungskette und ihre Ethnisierung

Dienstmädchen oder Kindermädchen waren Anfang des 20.Jahrhunderts in bürgerlichen Haushalten verbreitet; sie kamen meistens aus den unteren sozialen Klassen desselben Landes und wurden beschäftigt bis zu ihrer Hochzeit. Mit der Globalisierung der Betreuungskette durch die Migration ist aus einer Klassenfrage eine ethnisch und national differenzierte Erscheinung geworden. Die neuen "Dienstmädchen" sind meistens studiert, älter und verheiratet. Ehemalige Ärztinnen betreuen Kranke, Kinder und ältere Pflegebedürftige. Trotz Emanzipation fallen diese Arbeiten immer noch in den Verantwortungsbereich der Frauen — weltweit. Die UNO dokumentiert damit eine Entwicklung, die in den wohlhabenden Haushalten der Welt "normal" ist. Feminisierung der Migration entsteht durch fehlende Betreuung der Kinder und der Alten in den Industrieländern. Sie ist ein Ergebnis der immerwährenden Gender-Rollen.
Die ILO zählt zur Hausarbeit: Staubwischen, Vakuumreinigen, Polieren, Boden- und Möbelreinigung, Fensterputzen; waschen, bügeln, mangeln, steifen, Wäschen legen; Geschirr abwaschen; Mahlzeiten und Getränke vorbereiten, kochen, servieren; Lebensmittel und andere Produkte des Haushaltsbedarfs einkaufen und transportieren, verrichten verschiedener damit zusammenhängender Aufgaben; Pflege von Kindern und Älteren; Erziehung der Kinder; Einweisung, Anleitung anderer Arbeitskräfte...
Früher erledigten die Ehefrauen solche Arbeiten. Durch das veränderte Verständnis der Frauen von Ehe und Hausarbeit, die Zunahme der Erwerbsbeteiligung von Frauen, das Verschwinden der Großfamilie, die Überalterung der Bevölkerung und die ungenügende staatliche Betreuung für Kinder, Kranke und Alte werden sie heute in den meisten Fällen von Migrantinnen erledigt, die nicht richtig immigrieren, das heißt sich ein neues Leben in einem anderen Land aufbauen, sondern für ihr zu Hause in fremden Haushalten arbeiten. Sie sind sich ihrer Rolle bewusst und selbstsicher, was nicht heißt, dass auch ihre Gender-Rolle sich geändert hätte. Ihre arbeitslosen und zu Hause gebliebenen Männer müssen zwar Haushalt und Kindererziehung übernehmen, meistens helfen ihnen dabei aber andere Frauen, entweder die Verwandtschaft oder bezahlte Kräfte, die sich nicht ins Ausland gewagt hat und nun dieselbe Rolle im Inland übernimmt.
So entstehen globale Betreuungsketten: Eine Frau kümmert sich zu Hause um die Kinder der Migrantin, eine zweite kümmert sich um die Kinder derjenigen, der auf die Kinder der Migrantin aufpasst, und eine dritte, die ausgewanderte Mutter selbst, kümmert sich um die Kinder von Berufstätigen in der ersten Welt. Ärmere Frauen ziehen die Kinder wohlhabender Frauen auf, während noch ärmere — oder ältere oder vom Land kommende — deren Kinder aufziehen. Es findet eine Art Arbeitsteilung unter Frauen statt derart, dass die Frauen zugeschriebene Verantwortung für Haushalt und Sorgeaufgaben z.T. an Migrantinnen abgegeben wird.
Mit diesen neuen Betreuungsketten entstehen neue Beziehungen, ein Transfer der Gefühle, ein emotionaler Mehrwert. Mütter in Pflegediensten definieren Mutterschaft nicht durch die physische Nähe zu den eigenen Kindern, sie materialisiert sich vor allem über finanzielle Unterstützung oder die Bezahlung der Ausbildung. Die Folge ist eine gegenseitige Entfremdung und die ungleiche Verteilung von Liebe und Fürsorge. So importieren die reichen Länder mit der Betreuungsarbeit auch ein wenig Mutterliebe, wie sie vorher Bodenschätze aus den Ländern der Dritten Welt importierten.
Im Endeffekt sind diese Betreuungsketten als Ausdruck der weltweit zunehmenden sozialen Ungleichheit und Ungerechtigkeit zu interpretieren. Frauen sichern nicht nur zusehends ihren eigenen Lebensunterhalt, sondern, wo Armut herrscht, auch die Existenz ihrer Familien, darüber hinaus sind sie wie oben erwähnt, eine wichtige Devisenquelle für ihre Länder. Sie werden für andere zu Schlüsselfiguren des Überlebens, dafür bezahlen sie jedoch mit ihren Menschenrechten, ihrer körperlicher und psychischen Unversehrtheit, ihrer Gesundheit, sogar mit ihrer Würde.
Die EU-Kommission listet die Probleme solcher Beschäftigungsverhältnisse auf: nicht selten Verweigerung des Lohns, unbezahlte Überstunden, Einkommen unterhalb der Mindestlohngrenze, Gewalt, sexuelle Belästigung. Diese Frauen leben in abhängigen Verhältnissen teilweise illegal, nehmen große soziale und rechtliche Unsicherheit auf sich, und haben bei Krankheit und im Alter kein Einkommen. Nicht selten werden Migrantinnen im Ausland mit falschen Versprechungen für eine Beschäftigung angeheuert und dann um ihren Lohn betrogen.

Volle Mobilität auch für Arbeitskräfte

In den 70er Jahren rechneten Feministinnen den Lohn für eine Hausfrau oder ein Hausmädchen auf 7000 Mark, heute 3500 Euro hoch. Soviel müsste eine Haushaltshilfe verdienen, die all diese Arbeiten verrichtet. Zusammen genommen ist das eine erhebliche Summe für die europäischen Volkswirtschaften. Diese Frauen verrichten unter uns in Europa eine Arbeit, für die niemand mehr bezahlen will, die aber getan werden muss.
Die Einwanderungspolitik bestraft die autonome Mobilität der Arbeitskraft von Migrantinnen mit Illegalisierung und so mit ihrer radikalen Entwertung. Jede Kompetenz, Erfahrung und Ausbildung, die sonst in Bewerbungsunterlagen aufzuführen ist, wird mit der Ankunft in Deutschland auf Null gesetzt. Dabei entstammen die wenigen Migrantinnen und Migranten, die eine Reise in das europäische Zentrum bezahlen können, in der Regel den gebildeten und zahlungskräftigen Mittelschichten.
Im informellen Sektor, indem die Konkurrenz zwischen heimischen ungelernten Arbeiterinnen, Vertrags- und Wanderarbeiterinnen und illegalisierten Migrantinnen auf Grund der Migrationspolitik insbesondere der EU noch einmal schärfer ist, blühen Billiglohn, Schleusergeschäfte, Frauenhandel und Ausbeutung von weiblichen Arbeitsmigrantinnen ohne Papiere. Sie arbeiten ohne geregelte Arbeitszeit, geregelten Lohn und Arbeitsschutz, sie sind von Sozialsystemen ausgeschlossen, haben keinen Zugang zu staatlichen Sozialleistungen und medizinischer Versorgung, ihre Kinder haben keinen geregelten Zugang zu Bildung, sie werden kriminalisiert, isoliert, ausbeutbar, und jeglicher Form von Gewalt ausgesetzt, insbesondere in ihren rassistischen und geschlechtsspezifischen Formen.
Einige dieser Faktoren trifft jede Frau, die außerhalb ihrer Solidargemeinschaft arbeiten muss. Um diesen Zustand zu beenden, kann nur eines richtig sein: Öffnung der Grenzen, Legalisierung der Irregulären, Abschaffung des informellen Sektors und Übernahme der notwendigen Arbeiten im sozialen Bereich durch öffentliche Träger, zu einem angemessenen Lohn und guten Arbeitsbedingungen.
Wer Armut nicht abbaut, leistet vermehrter Menschenrechtsverletzung Vorschub und treibt Frauen und Kinder dazu, Opfer des Menschenhandels zu werden, um Grenzen zu überwinden und Arbeit zu finden.

Canan Aydin

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