SoZ - Sozialistische Zeitung

Zur SoZ-Homepage SoZ - Sozialistische Zeitung, Januar 2007, Seite 16

Die G8 — ein frühes Produkt der Globalisierung

Warum der Weltwirtschaftsgipfel entstand

Vor rund 30 Jahren, genau vom 15. bis 17.November 1975, fand auf Schloss Rambouillet bei Paris der erste Weltwirtschaftsgipfel statt. Teilnehmer waren die Staats- und Regierungschefs von Frankreich, Großbritannien, Italien, Japan, der USA und der BRD. Die Initiative war vom französischen Staatspräsidenten Giscard d‘Estaing und dem deutschen Bundeskanzler Helmut Schmidt ausgegangen, fand jedoch die uneingeschränkte Unterstützung der USA.
Deren damaliger Außenminister Henry Kissinger hatte die Zeichen der Zeit erkannt und betrieb eine Restrukturierung des internationalen Systems, bei der Japan und Westeuropa eine größere Rolle neben den USA zugewiesen werden sollte.
Beim zweiten Gipfel in Puerto Rico im Juni 1976 stieß noch Kanada dazu, sodass es von nun an sieben Teilnehmerstaaten waren. Seit 1978 ist auch die Europäische Gemeinschaft und spätere EU (allerdings nur mit Konsultativstatus) offizieller Teilnehmer der Gipfel. Seit den 1990er Jahren heißen die Gipfel offiziell G7 (Gruppe 7), bzw. seit der formellen Einbeziehung Russlands 1997 G8.
Die "Erfindung" der Weltwirtschaftsgipfel war kein Zufall. Die Idee von Giscard d‘Estaing und Helmut Schmidt entstand als Reaktion auf eine neue historische Situation in der ersten Hälfte der 70er Jahre. Die Nachkriegsepoche war zu Ende, die BRD hatte — ebenso wie Japan — einen erstaunlichen ökonomischen Aufstieg hinter sich. Die beiden Verlierer des Zweiten Weltkriegs gehörten neben den USA zu den drei größten Volkswirtschaften der Welt. Die ökonomische Überlegenheit der USA gegenüber Westeuropa und Japan war deutlich gesunken. Zudem hatte es 1973 eine weltweite Rezession gegeben.
Die Entwicklungsländer nutzten den Kalten Krieg, um zwischen den beiden Blöcken Spielräume für sich gewinnen. Unter dem Label Neue Internationale Wirtschaftsordnung traten sie für eine weitgehende Umgestaltung der wirtschaftlichen Beziehungen zwischen Industrie- und Entwicklungsländern ein. Innenpolitisch wurden die USA von dem so genannten Watergateskandal erschüttert, der mit der Amtsenthebung von Präsident Nixon endete. Der Vietnamkrieg schließlich hatte über Jahre zu einer deutlichen Schwächung der USA geführt. Am 1.Mai 1975, ein halbes Jahr vor dem ersten Gipfel in Rambouillet, endete dieser Krieg mit der Niederlage der USA und ihrer südvietnamesischen Marionetten. Im weltpolitischen Umfeld hatte es also ziemlich starke Verschiebungen gegeben, die vor allem die Kräfteverhältnisse im westlichen Lager zu Gunsten von Staaten aus der "zweiten Reihe" verändert hatten.
Schließlich kamen zu den tektonischen Verschiebungen im westlichen Lager zwei ökonomisch besonders folgenreiche Ereignisse, die in diesen turbulenten Zeiten Frankreich und die Bundesrepublik dazu motivierten, die Weltwirtschaftsgipfel ins Leben zu rufen:
das Ende des Systems von Bretton Woods und
der erste Ölpreisschock.
1973 war die internationale wirtschaftliche Nachkriegsordnung von den USA aufgekündigt worden. Das System von Bretton Woods war am Ende. Sicher ist es problematisch, soziale und historische Prozesse auf ein Ereignis eingrenzen zu wollen, wenn man aber nach so etwas wie den "Urknall" der gegenwärtigen Welle neoliberaler Globalisierung sucht, dann kann man ihn mit dem Ende von Bretton Woods im Jahre 1973 benennen. Die Entstehungsgeschichte der G8 ist mit diesem Ereignis ursächlich verknüpft.

System von Bretton Woods

In Bretton Woods, einem beliebten Wintersportort im US-Staat New Hampshire, hatten im Sommer 1944 im Hotel Mount Washington die späteren Sieger des Zweiten Weltkriegs die Grundzüge der Weltwirtschaftsstrukturen für die Zeit nach der Zerschlagung des Faschismus konzipiert. Die führende Rolle in den mehrmonatigen Verhandlungen hatten die USA, Großbritannien war Juniorpartner. Britischer Verhandlungsführer war der damalige Finanzminister und bedeutendste Ökonom des 20.Jahrhunderts, John Maynard Keynes. Etwa weitere 40 Staaten nahmen an den Verhandlungen teil.
Der Kern der Ordnung von Bretton Woods waren:
die Wechselkurse zwischen den großen Währungen (Dollar, Pfund Stirling, später Yen, DM usw.) werden fest fixiert;
das britischen Pfund Stirling wird als globale Leitwährung durch den Dollar abgelöst und
die Stabilität des Dollars wird durch die Goldreserven der USA garantiert.
Überwacht und gesteuert wurde das System von einer neu gegründeten Institution, dem Internationalen Währungsfonds (IWF). Später kam als institutionelle Ergänzung noch die Weltbank hinzu, deren ursprüngliche Aufgabe es war, die Finanzierung des Wiederaufbaus für das kriegszerstörte Europa zu organisieren (erst später wandte sich die Weltbank den Entwicklungsländern zu).
Das Bretton-Woods-System war als ökonomische Ergänzung zur politischen Neuordnung der Welt nach dem Zweiten Weltkrieg konzipiert.
Was auf politischer Ebene die UNO war, die als zentrale Institution die internationalen Beziehungen regelt, sollte für die Weltwirtschaft der IWF sein. So wie das Leitmotiv der UNO-Gründung die Parole "Nie wieder Faschismus, nie wieder Krieg" war, so stand die Gründung des IWF unter dem unausgesprochenen Motto "Nie wieder Weltwirtschaftskrise". Denn die Väter des Bretton-Woods-Abkommen wussten — ganz im Sinne einer politischen Ökonomie — um den Zusammenhang zwischen ökonomischer Krise, Verarmung, sozialer Polarisierung in der Weltwirtschaftskrise 1928 einerseits und dem Aufstieg des Faschismus andererseits.
Das Ende des Bretton-Woods-Systems wurde vor allem von den USA betrieben. Das System hatte sich in den 60er Jahren als sehr vorteilhaft für Japan und Europa erwiesen. Durch den ökonomischen Aufstieg der Bundesrepublik und Japans hatten sich auch die ökonomischen Gewichte relativ gesehen zuungunsten der USA verschoben.
Seit Beginn der 70er Jahre war die US-Handelsbilanz stark defizitär geworden. Damit flossen immer mehr Dollar, mit denen die Importe bezahlt wurden, aus dem Land. Die USA forderten daher vor allem von den Deutschen und den Japanern immer wieder, ihre Währung aufzuwerten, was diese jedoch verweigerten. Die Bundesbank fürchtete nicht nur eine Rückgang der deutschen Exporte, sondern auch einen inflationären Schub, wenn die ohnehin schon starke D-Mark noch stärker und damit für Zufluss ausländischen Kapitals noch attraktiver werden würde. (Eine aktuelle Parallel dazu sind heute die Wirtschaftsbeziehungen China—USA. Auch hier ist ein dramatischer Handelsbilanzüberschuss des ökonomischen Aufsteigers China festzustellen, und eine chinesische Währung, die im Vergleich dazu unterbewertet ist. Daher fordern die USA eine Aufwertung des Yuan.)
Gleichzeit geriet die westliche Hegemonialmacht mit der sich abzeichnenden Niederlage im Vietnamkrieg international wie innenpolitisch immer stärker in die Krise. Die finanzielle Belastung des Krieges wurden drückender, der Dollarabfluss sollte umgekehrt werden. Von der Freigabe der Wechselkurse und der Liberalisierung des Kapitalverkehrs versprachen sich die USA eine Stärkung ihrer ökonomischen Führungsrolle und eine Aufbesserung ihrer Kriegskasse.

Tiefgreifender Umbruch

Die einseitige Aufkündigung des Bretton-Woods-Abkommens durch Washington sollte zu grundlegenden Veränderungen mit weitreichenden Konsequenzen für die Strukturen der Weltwirtschaft führen. Als erster und entscheidender Schritt wurden die festen Wechselkurse aufgegeben und durch frei floatende ersetzt, d.h. durch Kurse, die sich aus Angebot und Nachfrage auf den Devisenmärkten ergeben. Von 1948 bis 1968 betrug der Wechselkurs zwischen Dollar und D-Mark 20 Jahre lang unverändert 1:4,2. Danach wurde von den Regierungen politisch — also nicht vom Markt — eine Abwertung des Dollars auf 1,80 Mark vorgenommen. Der neue Kurs hielt bis 1973. Heute schwanken die Wechselkurse im Sekundentakt.
Gleichzeitig setzte mit der Freigabe der Wechselkurse eine Welle der Liberalisierung und Deregulierung auf den Finanzmärkten ein, die bis heute anhält. Beschränkungen für den internationalen Kapitalverkehr, Devisenkontrollen, Mengenbeschränkungen für den Geldumtausch usw. wurden aufgehoben. Dank der technologischen Umbrüche — Computerisierung, Satellitenkommunikation, Internet usw. — hat das Kapital inzwischen eine Mobilität erreicht wie nie zuvor in der Menschheitsgeschichte. In Sekundenschnelle können gigantische Summen an fast jeden Winkel der Erde transferiert werden. Es kann blitzschnell zur Stelle sein, aber es kann auch ebenso schnell wieder abgezogen werden. [...]
Mit der Einführung der freien Wechselkurse ist nicht irgendeine Variable der Weltwirtschaft verändert worden, sondern eine zentrale Stellgröße. Valerie Giscard d‘Estaing und Helmut Schmidt hatten das durchaus erkannt. Geld ist das Schmiermittel der Ökonomie, das gilt natürlich auch für die internationalen Wirtschaftsbeziehungen. Daher ist es von Belang, ob der Zahlungsverkehr zwischen den Volkswirtschaften auf stabilen und kalkulierbaren Kursen beruht, oder ob der Kurs ständig schwankt. Die Schwankungsintensität, im Fachjargon Volatilität genannt, verursacht Unsicherheiten für Außenhandel und Investitionen. Wenn am 1.Februar eine Maschine im Wert von einer Million Euro nach Argentinien verkauft wird, der Kurs des argentinischen Peso aber bei Lieferung im Hafen von Buenos Aires 14 Tage später um 10% gesunken ist, hat der Käufer ein Problem. Er muss jetzt für die eine Million Euro 10% mehr Pesos zahlen. Das Ganze kann natürlich auch umgekehrt laufen. Gegen diese Unsicherheiten kann man sich bis zu einem gewissen Grad schützen, in dem man eine Art Versicherung gegen das Wechselkursrisiko abschließt, die aber wie jede Versicherung zusätzliche Kosten verursacht.
Ähnlich ist die Situation beim Schuldendienst. Bei Kursänderungen kann er über Nacht plötzlich ansteigen — oder auch sinken. Da viele Entwicklungsländer hoch verschuldet sind, ist die Wechselkursvolatilität ein permanenter Unsicherheitsfaktor. Entwicklung braucht aber stabile und voraussehbare Rahmenbedingungen. Um die Volatilität der Wechselkurse abzupuffern, sind seit Ende der Bretton-Woods-Ära die Entwicklungsländer gezwungen, hohe Währungsreserven anzulegen, um damit den Kurs der eigene Währung im Bedarfsfall zu stabilisieren. Die so absorbierten Mittel stehen nicht mehr für Entwicklung und Armutsbekämpfung zur Verfügung.

Freie Wechselkurse

Aber es gibt natürlich auch Leute, die an der Freigabe der Wechselkurse verdienen. Sie eröffnet nämlich die Möglichkeit der Währungsspekulation. Selbst geringe Schwankungen von einem Basispunkt — so nennt man im Insiderjargon ein Hundertstel Prozent — können bei Einsatz großer Summen schon erkleckliche Profite abwerfen.
Die neue Profitquelle ist so attraktiv geworden, dass die Devisenumsätze seit den 70er Jahren explosionsartig gestiegen sind. Bis zum Börsencrash 2001 galt die Faustregel, dass Portfolio-Investitionen doppelt so viel Rendite abwerfen wie Realinvestitionen. Mit dem Ende der New Economy ist der Abstand zwar vorübergehend geschrumpft. Mit der jüngsten Erholung an den Börsen steigt er aber wieder an. Heute werden pro Börsentag etwa 1,9 Billionen US-Dollar an den Devisenmärkten umgesetzt. Weniger als 3% davon entfallen auf den internationalen Handel. Weniger als 10% der Devisenumsätze haben ihre Ursache in realwirtschaftlichen Geschäften. Das heißt, mehr als 90% der Transaktionen dienen spekulativen Geschäften.
Mit der Möglichkeit der Spekulation kommen auch neuartige Risiken in das internationale Finanzsystem. Zum einen ist die Fähigkeit und Freiheit des Kapitals, kurzfristig abgezogen zu werden, ein neues Stabilitätsrisiko, vor allem für Entwicklungsländer. In fast allen großen Finanzcrashs der letzten 15 Jahre (z.B. Mexiko-Krise, Asienkrise) hat dies eine Rolle gespielt. Zum anderen entsteht die Möglichkeit spekulativer Attacken gegen eine Währung. Mit dem Ende des Bretton-Woods-Systems ist also auch die systemische Instabilität des internationalen Finanzsystems drastisch gestiegen. Dementsprechend taucht das Wort Stabilität bereits in der Abschlusserklärung des ersten Gipfels in Rambouillet 1975 immer wieder auf: "Im Hinblick auf monetäre Probleme bekräftigen wir unsere Absicht, uns für größere Stabilität einzusetzen...
Die Freigabe der Wechselkurse leitete damals die Globalisierung der Finanzmärkte ein. Die Finanzmärkte wurden zur Lokomotive für den Prozess der Globalisierung. Auch die Produktion und der Welthandel wurden zunehmend liberalisiert und dereguliert. Im Sog der internationalen Finanzmärkte entstand die zunehmend grenzenlos operierende, transnationale Ökonomie der Global Players, ein neuer Typus von globalisiertem Kapitalismus, wie er sich vor allem seit den 90er Jahren nach dem Ende des Kalten Krieges voll entfaltete.
Wenn die gegenwärtige Globalisierungswelle oft als finanzmarktgetrieben und finanzmarktdominiert bezeichnet wird, dann ist damit gemeint, dass die Finanzmärkte im Zentrum des neuen, globalisierten Kapitalismus stehen. Begonnen hat dies 1973 mit dem Ende von Bretton Woods. Dessen Aufkündigung war ein US-amerikanisches Projekt, das unter dem Begriff Globalisierung in wachsendem Maße den Gang der Geschichte beeinflussen sollte. Die Etablierung der G7 war zum einen eine Reaktion darauf, zum anderen wurde sie nach und nach in dieses Projekt integriert.

Peter Wahl

Aus dem 1.Kapitel der AttacBasis-Texte 21: Peter Wahl, G8: PR-Show oder Weltregierung?, Hamburg (VSA-Verlag) 2006. Peter Wahl ist Mitarbeiter bei Weed und im Koordinierungskreis von Attac.



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