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Homepage SoZ - Sozialistische Zeitung, Januar 2007, Seite 20

Coming to terms with nature

Socialist Register 2007

(Hg. Leo Panitch/Colin Leys), New York (Merlin Press) 2006, 364 Seiten, 22,80 Euro (Deutscher Vertrieb: VSA-Verlag Hamburg)


Die neue Ausgabe des internationalen Jahrbuchs Socialist Register möchte "mit der Natur ins Reine kommen". Beiträge von Greg Albo, Elmar Altvater, Michael Löwy, Frieder Otto Wolf u.v.a. widmen sich den drängender werdenden ökologischen Herausforderungen und der Frage, was dies für die politischen Strategien der sozialistischen Linken bedeutet. Wir veröffentlichen hier einen stark gekürzten Auszug aus dem Vorwort der Herausgeber (Übersetzung: Christoph Jünke).



Als wir beschlossen, eine ganzes Jahrbuch ausschließlich damit zu füllen, "mit der Natur ins Reine zu kommen", war die größte Herausforderung, der wir uns gegenüber sahen, dass sich die Abwesenheit einer starken ökosozialistischen Linken in einem damit korrespondierenden Mangel an Geschlossenheit in der ökosozialistischen Theorie niederschlägt. Wir betrachten deswegen diesen Band als einen Beitrag zum besseren ökosozialistischen Verständnis des zeitgenössischen Kapitalismus, und zu jener Art von Politik, die zu einem ebenso ökonomisch nachhaltigen wie demokratischen Sozialismus führen könnte.

Wider den Produktivismus

Marx und Engels, und manche ihrer sozialistischen Zeitgenossen und Nachfahren, haben dem Schaden, den das Kapital der Umwelt zufügt, einige Beachtung geschenkt. Besonders Marx war im Verständnis des konstitutiven gegenseitigen Verhältnisses zwischen Gesellschaft und Natur seiner Zeit weit voraus. Doch bis vor ganz kurzem waren diese Fragen nicht der zentrale Fokus des sozialistischen Denkens oder Handelns. Oftmals übertrumpfte der Produktivismus andere Zugänge — nicht nur auf Seiten der sowjetischen oder chinesischen Manager.
Sozialistische Theorie und Analyse war bevorzugt damit beschäftigt, die Logik des Kapitalismus und ihre erfolgreichen Existenzweisen zu verstehen, die Verhältnisse der Klassenherrschaft, die damit einher gehen, sowie die Wege des Widerstandes und der Ersetzung desselben mit etwas besserem. Die Vorstellung, dass Umweltprobleme so schlimm sein könnten, dass sie möglicherweise die Fortsetzung dessen gefährden, was man sich als ein gerade noch zu tolerierendes menschliches Leben vorstellen kann, wurde zwar in Erwägung gezogen, aber in der Regel allenfalls als weit entfernte, angsterregende Möglichkeit. Selten wurde sie als etwas immanent mögliches behandelt, dass man mit einer gewissen Dringlichkeit zu bedenken hat. Auch nicht als eine irreversible Erbschaft ökologischer Zerstörung für künftige Generationen, die in unser Denken über die Probleme jedweder zukünftigen sozialistischen Gesellschaft integriert werden muss.
Das Tempo der Entwicklung des globalisierten Kapitalismus, das sich in der dramatischen Beschleunigung des Klimawandels verkörpert, macht es zum Imperativ für Sozialisten, sich ernsthaft mit diesen Fragen auseinanderzusetzen. Es ist richtig, dass die Wissenschaftler unterschiedlicher Meinung sind über die Rate, mit der die Kohlendioxidemissionen zur globalen Erwärmung beitragen. Manche denken, dass wir den Umschlagpunkt bereits erreicht ist, an dem der Teufelskreis der Folgen zu jener Beschleunigung des Klimawandels führt, dem selbst die drastische Verminderung der Kohleemissionen nicht mehr beizukommen vermag. Andere glauben, dass die Wachstumsrate langsamer ist, aber noch immer schneller, als dass Maßnahmen wie das Kyoto-Protokoll oder vorstellbare technologische Durchbrüche ernsthaft greifen könnten.
Doch auch die eher optimistische Sicht der Dinge bedeutet potentiell verheerende Konsequenzen für Millionen Menschen — dank steigender Meerespegel, Veränderungen in den Tiefseeströmungen, dem Verlust an Schmelzwasser aus den hohen Bergen, sowie Dürren und Überschwemmungen, die die Nahrungsmittelproduktion in der ganzen Welt tangieren. Und während der Klimawandel der am allgemeinsten wirkende Umwelteffekt kapitalistischen Wachstums ist, ist er längst nicht der einzige. Die Welt wird in Atem gehalten durch zunehmend schlimmere regionale Katastrophen, die auf Übernutzung von Wasser, Wäldern und Böden zurückzuführen sind; durch Epidemien, die auf schnell mutierende Viren und Antibiotikaresistente Bakterien speziell in Industriefarmen zurückzuführen sind; durch die Konzentration der Gifte in der Nahrungskette usw. — die Liste ist unendlich. Die Effekte all dessen werden multipliziert durch die unerbittliche Konzentration der Weltbevölkerung in urbanen Ballungsräumen, in immer stärker verarmten und gefährlichen Slums. Unser Eröffnungsessay liefert ein anschaulichen Eindruck der ganzen Palette von Haiti über China bis zur Arktis.
Die gegenwärtigen weltweiten Wachstumsraten und die durch diese verursachte ökologische Zerstörung entfalten neue Konfliktfelder über den Zugang zu Brennstoffen, Wasser und anderen Ressourcen, inklusive Kriegen, die schon jetzt entsetzliche Konsequenzen für die Menschen haben.

Wider den Katastrophismus

Nichts desto trotz ist es wichtig, einen von Angst getriebenen ökologischen Katastrophismus zu vermeiden zu versuchen, ähnlich jenem auf Krisen beruhenden ökonomischen Katastrophismus, der den unvermeidlichen Niedergang des Kapitalismus prophezeit. Verlangt ist ein komplexeres Verständnis der Rolle und Natur von Krisen und Widersprüchen. Wir müssen die von der kapitalistischen Konkurrenz und Akkumulation verursachte Dynamik und Erneuerungsfähigkeit wahrnehmen, die es dem Kapitalismus erlaubt, sich immer wieder zu behaupten.
In der Tat erhält das Kapital durch die Umweltkrise immer wieder Nahrung, vom Kyoto-Emmissionshandel über die "grüne" Abfallwirtschaft bis zum Weg, auf dem die Agrarindustrie biotechnologische Lösungen gegen existierende Lebensmittelkulturen und Landreformen in Anschlag bringt. All dies wird in den Essays dieses Bandes seziert — aber auch die Kommodifizierung (Warenförmigkeit) von immer mehr Gebieten der Natur und des sozialen Lebens: vom Wasser über die DNA bis zur Politik selbst. Das bedeutet, dass der Kapitalismus, wenn er sich behauptet, immer autoritärer werden wird, weil die Menschen dieser Form von Ungerechtigkeit und Bedrohung ihres unmittelbaren Zugangs zum Leben Widerstand leisten werden.

Wider die "Marktökologen"

Der Schutz der Gesellschaft im Ganzen wurde allzeit nur durch Druck von unten, von der Masse der Bevölkerung selbst gesichert. Der zeitgenössischen Umweltbewegung, so beeindruckend sie auch ist, mangelt es an den Kraftreserven, die Klassenbewegungen früher hatten, und die zentral waren für die Erringung so manchen Umweltfortschritts in der Vergangenheit, vor allem in Fragen öffentlicher Hygiene und Infrastruktur. Es gab immer eine Umweltschutzbewegung der Arbeiterklasse und der Sozialisten, lange vor der gegenwärtigen Umweltbewegung. Auch heute ist ein Teil der Aufgabe das, was sie in dieser Vergangenheit gewesen ist: sauberes Wasser zu sichern und entsprechende Verkehrs-, Gesundheits- und Wohnverhältnisse. Hinzu kommen die Aufgaben einer ganzen Reihe neuer Themen — Klimawandel, Fossile Brennstoffe, neue Verschmutzungen. Doch auch diese haben ihre Verteilungs- und Klassenaspekte, Aspekte, über die ein großer Teil der heutigen Umweltbewegung, vor allem die "Marktökologen" des Nordens", allzu ungeniert hinweg schreitet.
Die für die Verbesserung des Lebensstandards der Weltmehrheit und ihre Emanzipation kämpfende Linke muss auch für neue Beziehungen zwischen Menschheit und Natur kämpfen. Sie muss in diesem Prozess eine neue demokratische und partizipative Umweltpolitik entwickeln, die in scharfem Gegensatz steht zu jenen gegenwärtigen Umweltbewegten, die "Marktlösungen" präferieren. Ohne die Herausarbeitung einer ambitionierten alternativen Agenda zu behaupten, haben wir versucht, die verschiedenen sozialistischen Perspektiven darzustellen, die umkämpfte und auch sich widersprechende Positionen widerspiegeln. Und wir wollen die Notwendigkeit betonen, auch die unmittelbar praktischen Fragen anzugehen, die von der großen Fülle von Umweltproblemen überall auf der Welt gestellt werden.
Es ist an der Zeit, den Gedanken der Planung von den gescheiterten Praxen des autoritären Kommunismus ebenso zurückzufordern wie von jenen planwirtschaftlichen Zügen, die der neoliberale Kapitalismus entwickelt hat. Es ist also Zeit, wie Greg Albos kritischer Überblick über zeitgenössische Konzeptionen des Öko-Lokalismus zeigt, kräftig über die Arten lokaler, nationaler und globaler Institutionen — und ihre Vermittlungen — nachzudenken, die erforderlich sind, um demokratische Planung möglich zu machen, und mit den vielen Problemen umzugehen, die demokratische Planung immer auszeichnen wird.
Die Frage bleibt, wie man dorthin kommt. Hier sind alle Schwierigkeiten der Bildung einer effektiven und demokratischen Kultur politischer Mobilisierung, Erziehung, Organisierung und Veränderung noch zu lösen.

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