SoZ - Sozialistische Zeitung

Zur SoZ-Homepage SoZ - Sozialistische Zeitung, Januar 2007, Seite 22

Von Verlierern und Gewinnern

"Solidarische Ökonomie" in der TU Berlin

Sie nennen sich "Stiftung Bridge, Bürgerrechte in der digitalen Gesellschaft" oder "Regenbogenfabrik". Mit dabei war das "Forum Fairer Handel" ebenso wie der "Zentralverband deutscher Konsumgenossenschaften e.V.". Ihren Stand aufgebaut hatten "Urbanacker", "Lichte Weiten" oder die "Telekommunisten".
Am Wochenende trafen sich in Berlin alternative Sozial- und Wirtschaftsprojekte zu einem großen Kongress, auf dem es um gemeinschaftliche Wasser- und Energieversorgung, kollektives Wohnen, freie Software, ökologische Landwirtschaft, gemeinnützige Kultur oder freie Schulen ging. Mehr als 800 Teilnehmende waren in die Technische Universität geströmt und diskutierten in über 100 Foren und Workshops zweieinhalb Tage lang über Alternativen zu Microsoft und Siemens, zu Deutscher Bahn und Mercedes, zu Telekom und Deutscher Bank, zu Pisa-Bildung und RTL-Kultur.
"Solidarische Ökonomie" war das Treffen überschrieben. Und es versammelte nach einjähriger Vorbereitung neben interessierten Teilnehmern zahlreiche Vertreter von Projekten und sogar staatlichen Institutionen aus dem In- und Ausland. Aus Venezuela, Brasilien und Frankreich, aus England, den Niederlanden und aus der Ukraine, aus Polen und Italien waren sie angereist, um sich darüber auszutauschen, ob nicht heute schon, sozusagen im Rücken des wahnhaft wuchernden Kapitalismus, eine "andere Welt möglich" sei.
Physiker der TU-Berlin, Mitautoren eines Buches mit dem Kongresstitel "Solidarische Ökonomie", rechnen sich ebenso zu denen, die andere Wege des Wirtschaftens suchen, wie Erzieherinnen, die eine Kindertagesstätte jenseits der nun auch dort sich breit machenden Leistungsorientierung betreiben, oder Landwirte, die ihre einstige LPG aus DDR-Zeiten mit neuem, demokratischerem und ökologischem Leben erfüllen.
Anders werden soll einiges — auf technischer, ökologischer, sozialer und wirtschaftlicher Ebene. Da wo Kapitalismus Unvernunft durchsetzt und wo Profitzwang Unmenschlichkeit produziert, bewegt sich der intellektuelle Widerstand hin zu Gegenentwürfen und der reale Widerstand hin zu alternativen Wirtschafts- und Lebensprojekten.
Nicht erst seit Polkappenschmelze, Hartz IV, verbotenem Genreis im Supermarkt oder der Privatisierung der Abfallversorgung ist das so. Die Genossenschaftsbewegung, vor über 150 Jahren als Teil der Arbeiterbewegung zum Schutz vor Mietwucher, Kredithaien und überteuerten Lebensmitteln gegründet, verweist auf eine lange Geschichte kollektiver ökonomischer Strukturen parallel zum herrschenden Kapitalismus.
Eine Geschichte allerdings, die nicht erst mit dem Verkauf der gewerkschaftseigenen Wohnungsbaugenossenschaft Neue Heimat für eine Mark im Westen und der weitgehenden Auflösung der Landwirtschaftlichen Produktionsgenossenschaften im Osten ein unrühmliches Ende fand.
Aber eben kein endgültiges Ende. Denn die Hoffnung, sich mit selbst organisierten Tätigkeiten außerhalb von Fabriken und Büros, von Werkstätten und Einzelhandelsgeschäften eine gemeinschaftliche Existenz aufzubauen, eine Existenz, die weniger fremdbestimmt und würdiger organisiert sein soll — diese Hoffnung ist offensichtlich nicht tot zu kriegen. Genauso wenig wie die Hoffnung, Wohnen, Lernen, Einkaufen und Kultur unabhängig von den Bedingungen der großen Profiteure zu gestalten.
Zu dieser Hoffnung tritt seit Jahren schon vermehrt der Zwang. Der Zwang, dem die aus dem herrschenden kapitalistischen Betrieb Ausgeschiedenen unterliegen, sich anderswo zurecht finden zu müssen. Und wer nicht dauerhaft in Sozialhilfe- oder Hartz-IV-Gelände weggesperrt werden will, sieht vielleicht eine Chance auf dem Feld der "Solidarischen Ökonomie".
Das allerdings, so zeigte der Kongress, ist weder üppig bestellt noch bietet es den vielen Platz, die einen suchen und brauchen. Das gilt genauso in der Dritten Welt, die in Berlin referierend und mitdiskutierend "vertreten" war.
Der sog. informelle Sektor, der Teil der Ökonomie also, der nicht innerhalb von markt- und profitorientierten Unternehmen betrieben wird, liegt in den meisten Ländern des Südens bei über 80%. Bitterste Armut und völlige Perspektivlosigkeit nimmt den Tätigkeiten der meisten Menschen, die in diesem Sektor ihr Auskommen suchen müssen, häufig jede Würde. Internationale Firmen, die hier investieren, nutzen schamlos diese Situation und beuten ihre Beschäftigten ohne jede soziale Sicherung gnadenlos aus.
Die "Solidarische Ökonomie", manchmal auch "Soziale Ökonomie" genannt, kann bisher nur in engen Grenzen dagegen halten: Mit Projekten, die Menschen auf dem Land erschwingliche Kleinkredite vermitteln, damit sie zumindest für ihre Selbstversorgung, ihre Subsistenz erfolgreicher wirtschaften können. Oder mit Fair-Trade-Vereinbarungen, die Kooperativen höhere Abnahmepreise garantieren, als der Weltmarkt bietet. Oder mit der Weiterführung von besetzten Fabriken durch die Arbeiter, von denen auf dem Kongress die Argentinier erzählten. Oder mit staatlichen Fördermaßnahmen, die Paul Singer vorstellte, Staatssekretär für "Solidarische Ökonomie" in Brasilien, und von denen auch Isabel Valdevia berichtete, Direktorin im staatlichen Agrarinstitut Venezuelas.
Viel Optimismus, gerade in Lateinamerika. Aber auch jede Menge offener Fragen:
Muss "Solidarische Ökonomie" sich nicht deutlicher gegen staatliche Bevormundung und hierarchische Strukturen verwahren als bisher? Können die "Alternativen" wirklich mehr sein als nur Spielwiese für ohnehin Überflüssige, Ausgegrenzte oder eine Handvoll Verweigerer? Gibt es jenseits von subsistenzorientierten und marktabhängigen Projekten wirklich eigene Parallelstrukturen, die die "Solidarische Ökonomie" unabhängiger machen vom alles beherrschenden Profitzwang?
Offene Fragen, so war die Stimmung in Berlin, können ja durchaus weiter führen als verbohrte und vorschnelle Antworten.

Albrecht Kieser

Albrecht Kieser ist Mitarbeiter des Rheinischen JournalistInnenbüros in Köln


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