SoZ - Sozialistische Zeitung |
Die politischen Konfliktlinien im Libanon verlaufen anders, als die Berichterstattung vermuten lässt.
Eine Reportage von Sophia Deeg, die im November das unter den Kriegsfolgen leidende Land besucht hat.
Am 2.12.06 hieß es in Spiegel online: "Außenminister Steinmeier hat Libanons
Regierungschef Siniora den Rücken gestärkt und Finanzhilfen zugesagt." Denn:
"Zehntausende Hizbollah-Anhänger legten erneut Teile Beiruts lahm, um den Rücktritt der
Regierung zu erzwingen." Wer Demokratie erhalten wolle, so Herr Steinmeier weiter, dürfe nicht
zulassen, dass diese Regierung "von der Straße in Frage gestellt wird". Auch Syrien
müsse zeigen, dass es die Souveränität des Libanon anerkenne. Damaskus gegenüber gehe
es "nicht um Vermittlung, sondern um klare Botschaften".
Hat der deutsche Außenminister
vergessen, dass Syrien längst seine Truppen aus dem Libanon abgezogen hat? Die Souveränität
des Libanon ist inzwischen in den Augen der meisten Libanesen kaum durch direkte Einwirkungen der syrischen
Nachbardiktatur bedroht, allenfalls durch Deals Syriens mit, beispielsweise, einem deutschen
Außenminister. Bei solchen Deals sollen dem syrischen Regime, so vermuten Gesprächspartner im
Libanon, möglichst hohe Zugeständnisse abgepresst werden. Dafür droht man schon mal mit
einem manipulativen internationalen Tribunal jenseits libanesischer Rechtsstaatlichkeit und in
Verletzung der Souveränität des Landes. Ein solches Tribunal würde weniger der
Aufklärung des Mordes an Rafik Hariri als dazu dienen, Syrien oder "prosyrische Kräfte"
an den Pranger zu stellen.
Einer unserer Gesprächspartner, der
uns dies auseinandersetzt, ist Ghassan Makarem, ein libanesischer Intellektueller, Sozialist,
Mitbegründer des Solidaritätsnetzwerks Samidoun und Aktivist in der libanesischen Schwulen- und
Lesbenbewegung. Er gehört zu der von unserem Außenminister so verächtlich apostrophierten
"Straße", zu denen, die seit dem 1.Dezember des letzten Jahres friedlich demonstriert und
vor dem Amtssitz Siniorias campiert haben. Diese Opposition bedurfte der Belehrungen in Sachen Demokratie
durch unseren Außenminister nicht, ist sie es doch, die den demokratischen, multikulturellen Libanon
gegen die verbliebene Regierung aus radikalen Neoliberalen und konservativen bis rechten Ex-Warlords
verteidigt.
Zusammen mit Hizbollah und Amal, beide
überwiegend, aber längst nicht ausschließlich von Schiiten unterstützte Parteien,
distanzieren sich auch der christliche Ex-General Aoun und somit eine Mehrheit der Muslime und der Christen
von der Restregierung Sinioria. Außenminister Steinmeier hingegen sagt dieser Regierung Millionen an
Aufbauhilfe zu, obwohl sie bisher keinen Hilfsplan für die vom Krieg schwer betroffene
Bevölkerung vorgelegt hat. Ghassan Makarem von Samidoun erzählt:
"Kurz nach dem Einmarsch der
israelischen Armee in Gaza hatten einige Aktivisten für ein paar Tage ein Protest-Sit-In geplant. Dann
begann das Bombardement des Südlibanon und weder die Regierung noch die UN unternahmen etwas. Die
Regierung hat es der Hizbollah überlassen, uns gegen den Angriff zu verteidigen, und hat die Leute,
die täglich aus dem Süden nach Beirut flohen, um hier Schutz zu suchen, ihrem Schicksal
überlassen. Deshalb haben wir unser Sit-In abgebrochen und Samidoun gegründet, eine
Widerstandsbewegung und ein Solidaritätsnetzwerk aus Menschenrechts-, Frauen-, Umwelt- und
Studentenorganisationen. Wir haben befreundete NGOs, Parteien und Initiativen angerufen, um gemeinsam Hilfe
für die ausgebombten Flüchtlinge zu organisieren. In vielen Stadtteilen Beiruts haben wir
Widerstandskomitees gegründet und die Regierung aufgefordert, uns für die Unterbringung der
Flüchtlinge Schulen zur Verfügung zu stellen. Das geschah erst, nachdem wir mit Protestdemos und
Besetzungen Druck machten."
Auf die Gretchenfrage "Arbeitet ihr
mit der Hizbollah zusammen?" antwortet Ghassan genau wie andere Aktivisten, die sich zur Linken
zählen, unbefangen: "Wir arbeiten in vielen Projekten eng mit Aktivisten der Hizbollah zusammen
und tauschen Informationen aus. Es ist auch längst kein Problem mehr, dass wir Hizbollah zu
Koordinationstreffen in die Räume von Helem einladen, der schwul-lesbischen Initiative, der ich
angehöre."
Ghassans Darstellung finden wir immer
wieder bestätigt: von alten und jungen Taxifahrern, von Bewohnerinnen und Bewohnern des im Krieg
dieses Sommers verwüsteten Dahia (Südbeirut, überwiegend schiitisch, überwiegend arm),
von Fischern und Surflehrern in Jiyeh, dem Küstenort, wo ein israelisches Bombardement eine
Umweltkatastrophe auslöste, von Palästinensern in den elenden Flüchtlingslagern, von der
jeunesse dorée im Beiruter Hamra-Viertel, vom Chefredakteur einer Hizbollah-nahen Wochenzeitung, von
jungen KP-Mitgliedern, Altlinken, Intellektuellen...
Zugegeben, wir sind einseitig, unterhalten
uns mit niemandem von den rechten bis ultrarechten Gruppierungen, die zusammen mit den neoliberalen Hariri-
Anhängern die derzeitige Regierung stellen; uns reicht der aufdringliche Personenkult, den sie mittels
überdimensionierter Porträts in den wohlhabenden Vierteln der Stadt um sich selber betreiben.
Auch der arme Süden Beiruts leistet sich übrigens seinen Kult. Hier sind es Scheich Nasrallah
und gelegentlich Hugo Chávez, die uns von halbzertrümmerten Hausfassaden herab
zulächeln.
Was man der Regierung allgemein besonders
übel nimmt: Während des unbarmherzigen Feldzugs Israels gegen die Libanesen hat sie sich
dafür hergegeben, als Sprachrohr für amerikanische Drohungen zu fungieren. Sie wird wahrgenommen
als eine Regierung der Kollaboration mit jenen, die die Bürger einen ganzen Monat lang dem
israelischen Bombenterror ausgesetzt haben, indem sie den jederzeit möglichen Waffenstillstand
hinauszögern halfen. Zugleich habe sie versucht, den bewaffneten Widerstand einzuschüchtern und
einen Keil zwischen diesen und die Mehrheit der Libanesen zu treiben. Das ist nicht gelungen.
Wir gehen in das vom Bombenkrieg schwer
getroffene Dahia, den südlichen Vorort der Stadt, laufen zwischen Schutthalden, zusammengesackten
Beton- und Eisenkonstruktionen umher, erschrecken angesichts der Stofffetzen, Matratzen, zerbrochenen
Möbelstücke, die zwischen den Trümmern hervorquellen. Wir blicken in hausgroße
Bombenkrater, in die Gebäudeteile gestürzt sind und alles mitgerissen haben: ein Stofftier, ein
Schuh, ein Schulheft...
Waren hier Menschen? Man beruhigt uns,
nein, sobald man ahnte, dass dieses dicht besiedelte Viertel unter Beschuss genommen würde, habe man
es evakuiert. "Man" das sind hier keine staatlichen Stellen, das ist die Hizbollah. Sie
ist es auch, die jetzt für die Aufräumarbeiten sorgt. Das können auch westliche Politiker
und Journalisten nicht leugnen und legen es gerne als besonders perfide Methode der
"schiitischen Islamisten" aus, sich auf diese Weise die Unterstützung der Benachteiligten zu
sichern.
Hier im armen schiitischen Süden wie
im mittelständischen Beirut der Intellektuellen nehmen wir dieselbe stolze Aufbruchstimmung wahr, eine
Zuversicht und Gelassenheit, die durch das Erlebnis der Solidarität und des gemeinsamen Widerstands
sehr unterschiedlicher Menschen entstanden ist. Diese Stimmung ist es auch, die jetzt die friedlichen
Proteste gegen die "prowestliche" Regierung trägt.
"Prowestlich", das bedeutet:
für "vernünftige" Investitionen, d.h. Kompensationszahlungen an die Unternehmen, die im
Krieg Verluste erlitten haben, und gegen die "Vergeudung" von Geldern zur Unterstützung
derer, die durch den Krieg obdachlos geworden sind. "Prowestlich" heißt, im wirtschaftlichen
und strategischen Interesse der USA, Israels und Europas. Es ist nur logisch, dass eine solche Regierung
auf die Unterstützung von Chirac, Solana, Steinmeier und selbstverständlich der USA zählen
kann, nicht jedoch auf die der libanesischen Bevölkerungsmehrheit, die alle konfessionellen Spannungen
und die Orientierung an Machtcliquen hinter sich gelassen zu haben scheint. Sie wendet sich gegen eine
Regierung, die sich tagtäglich ihre Entscheidungen vom US-Botschafter vorgeben oder absegnen
lässt. Darin und nicht in einem nebulösen syrischen oder iranischen Einfluss sehen die meisten
Libanesen eine Verletzung der Souveränität des Landes.
Seit einiger Zeit erfahre ich aus den
Medien nichts mehr über die Demonstrationen gegen die Regierung in Beirut. Tatsächlich ist die
Bewegung abgeflaut, die Einigkeit bröckelt. Teilnehmer an den Dezember-Aktionen befürchten, dass
sich die Hizbollah nun doch zu Kompromissen bereit findet, besonders angesichts der Gefahr von
Gewaltausbrüchen zwischen Sunniten und Schiiten. Diese wären ganz im Sinne der libanesischen
Regierung und ihrer Freunde in den USA und Europa.
Die in der Zeit des Krieges
hintangestellten tiefen politischen Differenzen zwischen den unterschiedlichen Strömungen und Parteien
der Opposition lassen sich wohl angesichts solcherart Drucks und Manipulationsmanövern auf die Dauer
nicht ignorieren. Entscheidend sind wie so oft ökonomische Druckmittel: Die Pariser Geberkonferenz
für den Libanon fordert neoliberale Reformen. Das bedeutet u.a. Privatisierungen und die Streichung
von Subventionen für die Landwirtschaft - für die Aoun-Partei und die Hizbollah
grundsätzlich kein Problem, für die Linke jedoch inakzeptabel.
Sophia Deeg
Informationen und Meinungen sollten keine Waren sein. Und Geld ist ein Fetisch.
Dennoch und ganz praktisch: Die Online-SoZ sieht nur umsonst aus. Wir brauchen Eure Euros.
Spendet steuerlich abzugsfähig!
VsP, Postbank Köln, BLZ 370100 50,
Kontonummer 603 95 04