SoZ - Sozialistische Zeitung

Zur SoZ-Homepage SoZ - Sozialistische Zeitung, Februar 2007, Seite 03

Eine Reise in den Libanon

Breite Opposition gegen die Regierung

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Die politischen Konfliktlinien im Libanon verlaufen anders, als die Berichterstattung vermuten lässt. Eine Reportage von Sophia Deeg, die im November das unter den Kriegsfolgen leidende Land besucht hat.

Am 2.12.06 hieß es in Spiegel online: "Außenminister Steinmeier hat Libanons Regierungschef Siniora den Rücken gestärkt und Finanzhilfen zugesagt." Denn: "Zehntausende Hizbollah-Anhänger legten erneut Teile Beiruts lahm, um den Rücktritt der Regierung zu erzwingen." Wer Demokratie erhalten wolle, so Herr Steinmeier weiter, dürfe nicht zulassen, dass diese Regierung "von der Straße in Frage gestellt wird". Auch Syrien müsse zeigen, dass es die Souveränität des Libanon anerkenne. Damaskus gegenüber gehe es "nicht um Vermittlung, sondern um klare Botschaften".
Hat der deutsche Außenminister vergessen, dass Syrien längst seine Truppen aus dem Libanon abgezogen hat? Die Souveränität des Libanon ist inzwischen in den Augen der meisten Libanesen kaum durch direkte Einwirkungen der syrischen Nachbardiktatur bedroht, allenfalls durch Deals Syriens mit, beispielsweise, einem deutschen Außenminister. Bei solchen Deals sollen dem syrischen Regime, so vermuten Gesprächspartner im Libanon, möglichst hohe Zugeständnisse abgepresst werden. Dafür droht man schon mal mit einem manipulativen internationalen Tribunal — jenseits libanesischer Rechtsstaatlichkeit und in Verletzung der Souveränität des Landes. Ein solches Tribunal würde weniger der Aufklärung des Mordes an Rafik Hariri als dazu dienen, Syrien oder "prosyrische Kräfte" an den Pranger zu stellen.
Einer unserer Gesprächspartner, der uns dies auseinandersetzt, ist Ghassan Makarem, ein libanesischer Intellektueller, Sozialist, Mitbegründer des Solidaritätsnetzwerks Samidoun und Aktivist in der libanesischen Schwulen- und Lesbenbewegung. Er gehört zu der von unserem Außenminister so verächtlich apostrophierten "Straße", zu denen, die seit dem 1.Dezember des letzten Jahres friedlich demonstriert und vor dem Amtssitz Siniorias campiert haben. Diese Opposition bedurfte der Belehrungen in Sachen Demokratie durch unseren Außenminister nicht, ist sie es doch, die den demokratischen, multikulturellen Libanon gegen die verbliebene Regierung aus radikalen Neoliberalen und konservativen bis rechten Ex-Warlords verteidigt.
Zusammen mit Hizbollah und Amal, beide überwiegend, aber längst nicht ausschließlich von Schiiten unterstützte Parteien, distanzieren sich auch der christliche Ex-General Aoun und somit eine Mehrheit der Muslime und der Christen von der Restregierung Sinioria. Außenminister Steinmeier hingegen sagt dieser Regierung Millionen an Aufbauhilfe zu, obwohl sie bisher keinen Hilfsplan für die vom Krieg schwer betroffene Bevölkerung vorgelegt hat. Ghassan Makarem von Samidoun erzählt:
"Kurz nach dem Einmarsch der israelischen Armee in Gaza hatten einige Aktivisten für ein paar Tage ein Protest-Sit-In geplant. Dann begann das Bombardement des Südlibanon und weder die Regierung noch die UN unternahmen etwas. Die Regierung hat es der Hizbollah überlassen, uns gegen den Angriff zu verteidigen, und hat die Leute, die täglich aus dem Süden nach Beirut flohen, um hier Schutz zu suchen, ihrem Schicksal überlassen. Deshalb haben wir unser Sit-In abgebrochen und Samidoun gegründet, eine Widerstandsbewegung und ein Solidaritätsnetzwerk aus Menschenrechts-, Frauen-, Umwelt- und Studentenorganisationen. Wir haben befreundete NGOs, Parteien und Initiativen angerufen, um gemeinsam Hilfe für die ausgebombten Flüchtlinge zu organisieren. In vielen Stadtteilen Beiruts haben wir Widerstandskomitees gegründet und die Regierung aufgefordert, uns für die Unterbringung der Flüchtlinge Schulen zur Verfügung zu stellen. Das geschah erst, nachdem wir mit Protestdemos und Besetzungen Druck machten."
Auf die Gretchenfrage "Arbeitet ihr mit der Hizbollah zusammen?" antwortet Ghassan genau wie andere Aktivisten, die sich zur Linken zählen, unbefangen: "Wir arbeiten in vielen Projekten eng mit Aktivisten der Hizbollah zusammen und tauschen Informationen aus. Es ist auch längst kein Problem mehr, dass wir Hizbollah zu Koordinationstreffen in die Räume von Helem einladen, der schwul-lesbischen Initiative, der ich angehöre."
Ghassans Darstellung finden wir immer wieder bestätigt: von alten und jungen Taxifahrern, von Bewohnerinnen und Bewohnern des im Krieg dieses Sommers verwüsteten Dahia (Südbeirut, überwiegend schiitisch, überwiegend arm), von Fischern und Surflehrern in Jiyeh, dem Küstenort, wo ein israelisches Bombardement eine Umweltkatastrophe auslöste, von Palästinensern in den elenden Flüchtlingslagern, von der jeunesse dorée im Beiruter Hamra-Viertel, vom Chefredakteur einer Hizbollah-nahen Wochenzeitung, von jungen KP-Mitgliedern, Altlinken, Intellektuellen...
Zugegeben, wir sind einseitig, unterhalten uns mit niemandem von den rechten bis ultrarechten Gruppierungen, die zusammen mit den neoliberalen Hariri- Anhängern die derzeitige Regierung stellen; uns reicht der aufdringliche Personenkult, den sie mittels überdimensionierter Porträts in den wohlhabenden Vierteln der Stadt um sich selber betreiben. Auch der arme Süden Beiruts leistet sich übrigens seinen Kult. Hier sind es Scheich Nasrallah — und gelegentlich Hugo Chávez, die uns von halbzertrümmerten Hausfassaden herab zulächeln.
Was man der Regierung allgemein besonders übel nimmt: Während des unbarmherzigen Feldzugs Israels gegen die Libanesen hat sie sich dafür hergegeben, als Sprachrohr für amerikanische Drohungen zu fungieren. Sie wird wahrgenommen als eine Regierung der Kollaboration mit jenen, die die Bürger einen ganzen Monat lang dem israelischen Bombenterror ausgesetzt haben, indem sie den jederzeit möglichen Waffenstillstand hinauszögern halfen. Zugleich habe sie versucht, den bewaffneten Widerstand einzuschüchtern und einen Keil zwischen diesen und die Mehrheit der Libanesen zu treiben. Das ist nicht gelungen.
Wir gehen in das vom Bombenkrieg schwer getroffene Dahia, den südlichen Vorort der Stadt, laufen zwischen Schutthalden, zusammengesackten Beton- und Eisenkonstruktionen umher, erschrecken angesichts der Stofffetzen, Matratzen, zerbrochenen Möbelstücke, die zwischen den Trümmern hervorquellen. Wir blicken in hausgroße Bombenkrater, in die Gebäudeteile gestürzt sind und alles mitgerissen haben: ein Stofftier, ein Schuh, ein Schulheft...
Waren hier Menschen? Man beruhigt uns, nein, sobald man ahnte, dass dieses dicht besiedelte Viertel unter Beschuss genommen würde, habe man es evakuiert. "Man" — das sind hier keine staatlichen Stellen, das ist die Hizbollah. Sie ist es auch, die jetzt für die Aufräumarbeiten sorgt. Das können auch westliche Politiker und Journalisten nicht leugnen — und legen es gerne als besonders perfide Methode der "schiitischen Islamisten" aus, sich auf diese Weise die Unterstützung der Benachteiligten zu sichern.
Hier im armen schiitischen Süden wie im mittelständischen Beirut der Intellektuellen nehmen wir dieselbe stolze Aufbruchstimmung wahr, eine Zuversicht und Gelassenheit, die durch das Erlebnis der Solidarität und des gemeinsamen Widerstands sehr unterschiedlicher Menschen entstanden ist. Diese Stimmung ist es auch, die jetzt die friedlichen Proteste gegen die "prowestliche" Regierung trägt.
"Prowestlich", das bedeutet: für "vernünftige" Investitionen, d.h. Kompensationszahlungen an die Unternehmen, die im Krieg Verluste erlitten haben, und gegen die "Vergeudung" von Geldern zur Unterstützung derer, die durch den Krieg obdachlos geworden sind. "Prowestlich" heißt, im wirtschaftlichen und strategischen Interesse der USA, Israels und Europas. Es ist nur logisch, dass eine solche Regierung auf die Unterstützung von Chirac, Solana, Steinmeier und selbstverständlich der USA zählen kann, nicht jedoch auf die der libanesischen Bevölkerungsmehrheit, die alle konfessionellen Spannungen und die Orientierung an Machtcliquen hinter sich gelassen zu haben scheint. Sie wendet sich gegen eine Regierung, die sich tagtäglich ihre Entscheidungen vom US-Botschafter vorgeben oder absegnen lässt. Darin und nicht in einem nebulösen syrischen oder iranischen Einfluss sehen die meisten Libanesen eine Verletzung der Souveränität des Landes.
Seit einiger Zeit erfahre ich aus den Medien nichts mehr über die Demonstrationen gegen die Regierung in Beirut. Tatsächlich ist die Bewegung abgeflaut, die Einigkeit bröckelt. Teilnehmer an den Dezember-Aktionen befürchten, dass sich die Hizbollah nun doch zu Kompromissen bereit findet, besonders angesichts der Gefahr von Gewaltausbrüchen zwischen Sunniten und Schiiten. Diese wären ganz im Sinne der libanesischen Regierung und ihrer Freunde in den USA und Europa.
Die in der Zeit des Krieges hintangestellten tiefen politischen Differenzen zwischen den unterschiedlichen Strömungen und Parteien der Opposition lassen sich wohl angesichts solcherart Drucks und Manipulationsmanövern auf die Dauer nicht ignorieren. Entscheidend sind wie so oft ökonomische Druckmittel: Die Pariser Geberkonferenz für den Libanon fordert neoliberale Reformen. Das bedeutet u.a. Privatisierungen und die Streichung von Subventionen für die Landwirtschaft - für die Aoun-Partei und die Hizbollah grundsätzlich kein Problem, für die Linke jedoch inakzeptabel.

Sophia Deeg

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