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Edmund Stoiber diente sich in
der CSU zunächst als Büroleiter von Franz Josef Strauß und sodann als Generalsekretär und Innenminister
hoch. Mehrfach fiel "das blonde Fallbeil" durch üble Attacken gegen den politischen Gegner, besonders SPD und
Grüne, auf. Es ist mehr als erstaunlich, dass er die Amigo-Affären, die Strauß Nachfolger Max Streibl
1993 das Amt kosteten, unbeschadet überstehen konnte sicher hat auch er vom System Strauß und dessen
geringem Unterscheidungsvermögen zwischen öffentlich und privat profitiert, ohne jedoch der barocken Lebenslust des
großen Vorsitzenden zu frönen. Es gelang ihm aber, sich von den Amigos abzusetzen und sich das Image eines
Saubermanns aufzubauen. Den Kontrahenten Theo Waigel biss er weg, indem er ihm klarmachte, dass im katholischen Bayern eine
sündige Beziehung zur früheren Spitzenskiläuferin Irene Epple für einen noch Verheirateten ein Ding der
Unmöglichkeit sei; Waigel wurde auf den Parteivorsitz abgedrängt und blieb in Bonn.
Nach dem wahlpolitischen Scheitern des Ablegers DSU in
Sachsen und Thüringen, mit dem man eine Ausweitung der CSU nach Osten getestet hatte, versuchte Stoiber das Gewicht der
CSU im Bund wieder durch vorsichtige Kritik an Kohls Politik zu stärken.
In Bayern führte Stoiber die in erheblichem Maße
mit Strauß verbundene Politik einer "konservativen Modernisierung" unter den Bedingungen der 90er Jahre
weiter. In der Nachkriegszeit hatte Bayern nicht nur vom Zuzug wichtiger Firmen aufgrund der deutschen Teilung profitiert
z.B. kam Siemens aus Berlin, sondern auch von der Unterstützung des Bundes für den strukturschwachen Osten
des Bundeslands. Vor allem schaffte es der Bundesminister Strauß, einen Gutteil der Rüstungsindustrien (Diehl, MBB)
in Bayern anzusiedeln.
Zahlreiche staatliche Hilfen für den relativ breiten
Mittelstand sorgten für dessen Anbindung an die CSU, die seit 1957, seit sie die Konkurrentin Bayernpartei mit
kriminellen Methoden zerstört hat, mit absoluter Mehrheit regiert. In den Wahlkämpfen verkaufte die CSU "das
schöne Bayern" mit seinen Bergen und Tälern als ihr ureigenstes Werk und drosch im Übrigen auf den
politischen Gegner ein.
Die Stoibersche Variante der kapitalistischen Modernisierung bestand vor allem im Verscherbeln des (erheblichen)
Tafelsilbers des Freistaats Bayern, um mit dem Geld eine Initiative zur Schaffung und Ansiedlung neuer Industrien und
Forschungsanstalten sowie von Gewerbeansiedlungen voranzutreiben. Immer wieder wurde von "Cluster-Bildung" geredet;
staatliche Initiativen sollten massive private Investitionen auslösen, was in Teilen auch Erfolge zeitigte.
Die Verkäufe waren in diesem Sinne notwendig geworden,
weil Bayern seit 1987 zum Nettozahler avanciert war und weil der Anschluss der früheren DDR einen erheblichen Transfer
von Mitteln in Richtung Osten erforderte. Tatsächlich gelang es dieser Politik nach der Devise "Laptop und
Lederhose" neue industrielle Bereiche vor allem in der Informationstechnologie, Ernährung, Biotechnologie
sowie Luft- und Raumfahrt aufzubauen.
Seit geraumer Zeit zeigten sich jedoch auch die
Schattenseiten der Stoiberschen Politik immer deutlicher: Die aus den beiden bayrischen Großbanken gebildete
HypoVereinsbank hatte sich im Osten verspekuliert und wurde schließlich von der italienischen Unocredit gefressen; die
abgespaltenen Teile des Siemens-Konzerns dümpelten nach kurzen Höhenflügen lange vor sich hin (Infineon) oder
mussten Insolvenz anmelden (BenQ); der von der Staatsregierung vermittelte Verkauf der AEG in Nürnberg an Electrolux
führte binnen weniger Jahre trotz eines heftigen, langen und beinahe beispielhaften Arbeitskampfs der Belegschaft zur
Verlagerung der Produktion nach Polen. Die verschiedenen "Rettungsversuche" des Stahlwerks in Sulzbach-Rosenberg
endeten ebenfalls mit der Schließung.
Die Krise der mittel- und oberfränkischen Industrien
führte in den 90er Jahren zu kommunalen Wahlsiegen der CSU in dieser protestantischen, traditionell eher der SPD
zuneigenden Region, doch spätestens 2002 holte sich die SPD die Rathäuser wieder zurück auch wegen der
Stoiberschen Sparpolitik, die auf Teufel komm raus 2006 einen ausgeglichenen Haushalt vorlegen wollte. Somit ist es
kein Zufall, dass die Fürther Landrätin Gabriele Pauli innerparteilich zur Führerin der Opposition gegen
Stoiber werden konnte. Gerade in Franken und Schwaben sind die Zerwürfnisse in der Partei am heftigsten.
Die Fähigkeit der CSU, immer gleichzeitig die Rolle einer Regierung und einer Opposition zu spielen, hatte in der
Zeit von Kohl gelitten. Als aber 1998 Rot-Grün in Bonn/Berlin an die Regierung kam, funktionierten die Beißreflexe
wieder. Generalsekretär Markus Söder trommelte wie weiland Strauß und Konsorten in den 70er Jahren zur Hebung
der Moral des "mir san mir" gegen die preußische "sozialistische Gefahr". Und Stoiber wetterte gegen
die undankbaren Ossis, die das Kreuz an der falschen Stelle machten.
Diese "Geschlossenheit" brachte der CSU neuerlich
die absolute Mehrheit. Bei den Bundestagswahlen 2002 verkündete Stoiber ausgehend von seinem um 10% gesteigerten
Ergebnis in Bayern etwas vorschnell den Wahlsieg der Union. Mit der knappen Niederlage begann auch sein Abstieg, obwohl er
die Bayernwahl 2003 noch einmal haushoch gewann und die CSU-Fraktion im Landtag seither über eine Zwei-Drittel-Mehrheit
verfügt.
Als sich bei den vorgezogenen Wahlen 2005 abzeichnete, dass
alle Regierungsvarianten außer der Großen Koalition ausschieden, verkündete Stoiber, in Berlin für die
Gesundung des "Sanierungsfalls Deutschland" als Superminister antreten zu wollen. Zu diesem Zweck sollte ein auf
ihn zugeschnittenes Ministerium für Wirtschaft und Finanzen geschaffen werden. In München stritten sich Beckstein
und Huber bereits über die Nachfolge im Amt des Ministerpräsidenten.
Doch an Allerheiligen 2005 trat Stoiber unvermittelt den
Rückzug an wohl weil er merkte, in Berlin in die Kabinettsdisziplin eingebunden zu werden und die
Oppositionsrolle nicht mehr spielen zu können. Offiziell begründete er seinen Rückzug mit der
Führungskrise der SPD nach dem Rücktritt Münteferings vom Amt des Parteivorsitzenden. Es ereignete sich der
klassische Fall eines Politikers, der als Löwe sprang und als Bettvorleger landete.
Seine Flucht aus Berlin führte in Bayern zu
Kopfschütteln und Unverständnis. Die allgemeine Bitternis brachte der geschasste Justizminister Sauter auf den
Punkt: "Du hast den Bayern ihren Stolz genommen und dem Freistaat seinen Nimbus." Stoibers Getreue Michael Glos und
Peter Ramsauer dürfen die CSU seither in Berlin vertreten und müssen die aus München eintreffenden Pfeile
aushalten.
In den letzten Jahren gerierte sich Stoiber zur Freude der Kabarettisten wie ein rastlos Getriebener, dem es
nicht schnell genug gehen konnte, halbgare Programme in die Tat umzusetzen. In der Bildungspolitik, die in Bayern schon immer
durch strenge Selektion gekennzeichnet war, wurde ohne gescheite Debatte und Vorbereitung und ohne ausreichende finanzielle
Ausstattung das G8, das achtjährige Gymnasium, eingeführt. Die Umsetzung vor Ort ist nun häufig durch
Improvisation und Chaos gekennzeichnet. Die Vorbereitung erfolgte zu Anfang noch unter der früheren Kultusministerin und
Strauß-Tochter Monika Hohlmeier, die ihre Gegner im Münchner Ortsverein hatte bespitzeln lassen und
schließlich trotz Stoiberscher Protektion zurücktreten musste.
Die von Stoiber und Müntefering ausgehandelte
"Föderalismusreform", die zu einer "Entflechtung" der Kompetenzen zwischen Bund und Ländern und
zu einer deutlichen Reduzierung der zustimmungspflichtigen Gesetze führen sollte, führte eher zu noch mehr
Kompetenzwirrwarr und Kleinstaaterei. Und in der Gesundheitsreform, bei der Stoiber ja selbst mit am Verhandlungstisch
saß, wurde der jeweilige Kompromiss kaum dass Edi wieder zurück in München war , teilweise mit
lächerlichen Argumenten in Frage gestellt. So wollte Bayern (wie auch Baden-Württemberg) höchstens 100
Millionen Euro an Transferleistungen aufbringen, als gäbe es in der Sozialversicherung das Regionalprinzip, als
wären die Krankenkassen regional und nicht bundesstaatlich organisiert.
Alle diese Zickzacks zeugen von einer programmatischen Krise.
Die Granden der CSU sind sich weder darüber einig, welche Rolle in Zeiten neoliberaler Politik der Staat zukünftig
spielen kann und soll, noch wissen sie so recht, wie sie das nach der deutschen Einheit geringere Gewicht Bayerns im Bund
einbringen können. Beckstein und Huber sind kaum jünger als Stoiber und werden nur eine Übergangslösung
sein können. Die CSU-Führung wird vom Gespenst heimgesucht, dass die Zeit der absoluten Mehrheit in Bayern zu Ende
und damit die fast vollständige Kontrolle über den Staatsapparat verloren gehen könnte. Vielleicht führt
die allgemeine Unzufriedenheit sogar zu einem Volksbegehren und einer vorzeitigen Auflösung des Landtags.
Paul Kleiser
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