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Als Marxist
war man in den letzten Jahrzehnten meist froh, wenn internationale Konferenzen kein Ergebnis hatten
bei der Klimakonferenz in Nairobi (6.17.11.2006) war dies jedoch anders. Es ist für das
Weltklima fünf nach zwölf und wenn nicht sofort etwas geschieht, wird der größte Teil
der Pazifikinseln in den nächsten Jahrzehnten geflutet, weite Teile Afrikas werden versteppen
um nur einige Beispiele für die Konsequenzen des Klimawandels zu nennen. Die Grafik 1 zeigt das, was
eine Reihe von bürgerlichen Wissenschaftlern die letzten Jahrzehnte zu leugnen versuchte, nämlich
den dramatischen Anstieg der Konzentration von Treibhausgasen seit Beginn des Industriezeitalters.
Warum hat das herrschende politisch-
ökonomische System zwangsläufig zu dieser katastrophalen Situation geführt? Und warum ist
die Behauptung bürgerlicher Politiker wie Umweltschützer unwahr, gerade die aus ökologischer
Sicht katastrophale Entwicklung des früheren nichtkapitalistischen Blocks beweise, dass der Marxismus
keine Lösungsansätze für die ökologischen Probleme der Welt bietet?
Es seien vier Annäherungen an das
Thema versucht.
Als ich im Jahr 1988 von Havanna nach Managua flog mit einem Versorgungsflug der Kubaner für
Nikaragua , saß ich neben einem jungen Nikaraguaner. Er hatte in der DDR Chemie studiert und
flog jetzt zurück, um für die sandinistische Regierung zu arbeiten. Wir kamen ins Gespräch
und auf das Klimaproblem und das Ozonloch zu sprechen. Als ich das Problem der halogenierten
Kohlenwasserstoffe ansprach und meinte, es sei ein sofortiger Stopp der Produktion insbesondere der
gängigen Kühlmittel nötig, widersprach er heftig. Er argumentierte seiner Meinung
nach marxistisch auf zwei Ebenen. Erstens sei wissenschaftlich noch gar nicht zweifelsfrei bewiesen,
dass diese Stoffe für die Zerstörung der Ozonschicht verantwortlich seien er entwickelte
eine Art Verschwörungstheorie: die Industriestaaten wollten andere Länder, die inzwischen eine
eigene Produktion aufgebaut hätten, darin behindern. Zweitens zeige die Geschichte, dass die
Menschheit immer in der Lage gewesen sei, solche Folgewirkungen durch neue Erfindungen wieder in den Griff
zu bekommen.
Das erinnerte mich stark an die Haltung,
die ein Onkel von mir, ehemaliger Absolvent der NAPOLA, dann Wehrmachtsoffizier, nach dem Krieg bis zu
seiner Verrentung hochrangiger Manager bei IBM Deutschland, mir gegenüber in den 70er Jahren in Bezug
auf die Atomkraft vertrat: Durch Auslese werde sich die Menschheit an die Radioaktivität einfach
gewöhnen.
Es war eine entsetzliche Diskussion. Man
muss wissen, dass im Rahmen eines jeden Studiums in der ehemaligen DDR grundsätzlich auch das Fach
Politische Ökonomie belegt werden musste. Damit hätte man eigentlich annehmen müssen,
jemand, der sein Studium dort abschloss, hätte eine gewisse Ahnung von dialektischem Denken
mitbekommen insbesondere in Bezug auf das, was Engels in seiner Dialektik der Natur thematisiert
hat. Doch weit gefehlt. Was der junge nikaraguanische Genosse vertrat, hatte mit Dialektik nichts zu tun.
Es war der gleiche blinde Glaube an den immerwährenden Fortschritt, der auch den kapitalistischen
Wissenschaftsdiskurs prägt.
Was steckt dahinter? Zuerst einmal eine
vergröberte, vulgärmarxistische Auffassung vom objektiven historischen Fortschritt. Weil Marx von
der objektiv fortschrittlichen Funktion des Kapitalismus sprach, davon, dass er geeignet sei, die
Produktivkräfte auf ein höheres Niveau zu heben, rannten die nichtkapitalistischen Staaten blind
jedem wirklichen oder vermeintlichen Fortschritt der kapitalistischen Welt hinterher exemplarisch
ausgedrückt in Chruschtschows Satz vom "Einholen und Überholen". Vergessen haben diese
Möchtegernmarxisten dabei allerdings, dass Marx sehr wohl auch die destruktiven Kräfte dieses
kapitalistischen Systems erkannte, kurz ausgedrückt in dem Satz von Rosa Luxemburg: Sozialismus oder
Barbarei.
Zweitens aber steckt eine unausgesprochene
Einstellung zum Verhältnis von Mensch und Natur dahinter, die mit Marxismus nichts, mit Religion sehr
viel zu tun hat. Es ist nichts anderes als der Satz aus 1.Mose 1,28: "Seid fruchtbar und mehret euch
und füllet die Erde und machet sie euch untertan..." Es ist die Hybris des Menschen, der meint,
allein die Tatsache, dass er in der Lage ist, die Naturgesetze zu erforschen und zu begreifen, versetze ihn
auch in die Position, sich sozusagen außerhalb und über die Natur zu stellen.
Das Dritte, was dahintersteckt, ist die
Unfähigkeit zu erkennen, dass man Menschen im Bildungsprozess nicht zu eindimensionalen Spezialisten
degradieren darf im konkreten Fall zu Chemikern, die jegliche Wechselwirkung dessen, was sie tun,
mit der Umwelt erst abstreiten und dann einen anderen Spezialisten damit beauftragen, den Schaden zu
reparieren. Im Falle des Klimawandels heißt das zum Beispiel: Die Antwort ist eine Optimierung des
Deichbaus.
In Deutschland haben wir an den Universitäten in den letzten Jahrzehnten eine interessante
Entwicklung zu verzeichnen. Die früher führenden Fakultäten, nämlich die
Geisteswissenschaften, werden immer mehr an den Rand gedrängt. Der Mechanismus ist simpel und wurde
nicht in Deutschland erfunden. Die einzelnen Fakultäten werben sog. Drittmittel ein, in der Regel von
der Industrie, für die sie Forschung betreiben, und bekommen dann die gleiche Summe vom Staat hinzu.
Das führt erstens dazu, dass die Bereiche, die am anwendungsbezogensten sind, das meiste Geld haben,
andererseits dazu, dass Bereiche wie die Philosophie, auch die Psychologie oder Soziologie, die keine
unmittelbare Nutzanwendung bieten, ausbluten. Letztere versuchen verzweifelt sich auf dem Markt zu
behaupten, indem sie ihre Studiengänge möglichst anwendungsbezogen ausrichten: Umfragen,
Marktforschung, Statistik usw.
Die EU hat für die von ihr
favorisierte Art der Ausbildung den sog. Bologna-Prozess. Offiziell dient er dazu, die
Ausbildungsgänge in der EU vergleichbar zu machen. In Wirklichkeit dient er dazu, ein Bildungssystem
zu entwickeln, das abgestuft jedem nur noch das Basiswissen für den jeweiligen Job vermittelt
der Rest wird im jeweiligen Betrieb anwendungsbezogen vermittelt. Das Ganze nennt sich dann
"lebenslanges Lernen".
Was hat das mit Umwelt und Klima zu tun?
Sehr viel. Um dialektisch und damit ökologisch denken zu können, braucht man nicht in erster
Linie Spezialwissen, auch wenn das nützlich und unverzichtbar ist, sondern zuvörderst
Allgemeinwissen, geschichtliches und naturwissenschaftliches. Eine der hervorstechenden Eigenschaften der
marxistischen Theorie ist, dass sie eine umfassende Theorie ist und dass sie den Generalisten im positiven
Sinne braucht. Die kapitalistische Produktionsweise findet ihn nur störend wer zu sehr
über Zusammenhänge nachdenkt, hat zu viele Skrupel.
Das ist einer der Hauptgründe, warum
die marxistische Herangehensweise dafür prädestiniert ist, ökologische Probleme zu
bearbeiten: Sie arbeitet grundsätzlich mit den Wechselwirkungen und sie setzt den Menschen in die
Relation zur Natur innerhalb derselben, nicht außerhalb. Engels schrieb: "Wir werden bei jedem
Schritt, den wir tun, daran erinnert, dass wir nicht die Natur beherrschen, so wie ein Eroberer ein
besetztes Land, wie jemand, der außerhalb ihrer steht, sondern dass wir uns vollkommen innerhalb ihrer
befinden und dass all unsere Herrschaft darin besteht, dass wir im Gegensatz zu anderen Lebewesen
in der Lage sind, die Gesetze der Natur zu erkennen und richtig anzuwenden."
Vor kurzem stand in einem großen deutschen Nachrichtenmagazin eine rührende Geschichte
über eine Berufsgruppe in Haiti, einem der ärmsten Staaten der Welt. Es sind die Köhler, die
ihr Geld damit verdienen, in den Bergen Holzkohle zu produzieren, um sie auf dem Markt zu verkaufen, denn
Strom oder Gas kann sich die Masse der Bevölkerung nicht leisten. Der Verfasser des Artikels
problematisierte diese Art der Energiegewinnung, denn Haiti ist bereits weitgehend abgeholzt, die
Bodenerosion wird immer schlimmer, und die Auswirkungen auf das Klima wurden natürlich auch
erwähnt.
Damit wären wir wieder bei der
Weltklimakonferenz. Einer der wesentlichen Gründe, warum die Länder des Südens zum Teil eine
Einigung blockieren, ist dass sie die folgende Tabelle kennen.
Verursacher der Erdklima-Erwärmung (Anteile am weltweiten energiebedingten CO2-Ausstoß in %)
26 Nordamerika
16 Asien und Ozeanien (ohne China)
15 Europäische OECD-Länder
12 Europäische Nicht-OECD-Länder
11 China
9 Frühere Sowjetunion
4 Mittlerer Osten
4 Südamerika
3 Afrika
Sie haben das Problem nicht hervorgerufen und da, wo sie mitverantwortlich sind, z.B. bei der
Abholzung, sind es in Wirklichkeit die Länder und Konzerne des Nordens, die für eine sinnlose
Flut von Hochglanzmagazinen ganze Regionen entwalden, wie in Mindanao, auf Borneo, im Amazonasgebiet oder
jetzt wieder in Uruguay, wo ein skandinavischer Konzern die größte Papierfabrik der Welt baut.
Sie haben diese Probleme nicht gemacht, aber: Sie werden die sein, die am ärgsten betroffen werden.
Ihre Länder werden zur Wüste, wie in Afrika, werden geflutet, wie die Inseln im Pazifik, oder von
El Niño betroffen, wie in Lateinamerika. Der Anstieg des Meeresspiegels biete ein eindeutiges Beispiel
(siehe Grafik 2).
Deswegen ist auch die Ankündigung der
Industrieländer, ihren Ausstoß von Treibhausgasen verringern zu wollen, schlichter Betrug. Es
wird nämlich stillschweigend vorausgesetzt, dass die Menschen des Südens weiter auf dem Level des
Energieverbrauchs sitzen bleiben, den sie derzeit haben mit anderen Worten, es darf sich an der
internationalen Verteilung des Reichtums nichts ändern. Bösartig formuliert könnte man
sagen: Die Wissenschaft hat jetzt einen Grund gefunden, warum der Süden gar keinen höheren
Lebensstandard haben darf.
Damit wären wir beim einzigen
Ergebnis, das die Konferenz von Nairobi tatsächlich hervorgebracht hat. Es wurde ein Fonds von ein
paar hundert Millionen Euro beschlossen, der den von der Klimakatastrophe am meisten betroffenen
Ländern helfen soll, die Auswirkungen der globalen Erwärmung zu mildern. Das heißt man hat
bereits aufgegeben. Es geht nur noch darum, die Folgen etwas zu mildern, und das heißt auch, dass man
die Menschen des Südens aufgegeben hat. Wer wird die Klimaflüchtlinge aus dem Pazifik, aus
Afrika, aus Südamerika aufnehmen? Die Niederlande werden mit EU-Milliarden ihre Deiche erhöhen.
Europa hat seine Mauer gegen die Flüchtlinge bereits gebaut.
Im November präsentierte die Polizei im Fernsehen in der Hauptnachrichtensendung im Hamburger Hafen
den bislang größten Fang an gefälschten Markenprodukten Textilien und Schuhe im Wert
von über 400 Millionen Euro, ganze Container voll. Stolz wurde gezeigt, wie der Inhalt geschreddert
und auf einer Mülldeponie abgeladen wurde.
Man muss sich das vorstellen: Da sind
Fabriken, in denen diese Güter produziert wurden, es wurde Strom, Brennstoff, Material eingesetzt,
Menschen haben hart gearbeitet, die Waren wurden per Schiff von Asien um den halben Globus gefahren
nur um mit erneutem Energieeinsatz zum Müll geworfen zu werden.
Das Ereignis wurde im Fernsehen als
großer Erfolg gefeiert, als Schlag gegen die internationale Mafia usw. Dass hier ein Verbrechen gegen
die Umwelt begangen wurde, und zwar gleich doppelt, interessierte niemanden, es wurde nicht erwähnt.
Aber das ist nur ein kleines Beispiel. Jeden Tag werden auf dem Globus Massen von Gütern vernichtet,
weil sie nicht mehr "modern" sind, weil Preise hochgehalten werden "müssen",
während gleichzeitig anderswo Menschen keinen Zugang zu ihnen bekommen.
Ein großer Teil der Produktion von
Treibhausgasen geht schlicht auf diese Art von Verschwendung zurück, die nichts mit Heizung oder
Beleuchtung zu tun hat, sondern mit einer Art von Produktion, in der alles Mögliche eingeplant wird
nur eines nicht, die eigentlich an die erste Stelle gehörende Frage, welche Auswirkung sie auf
unsere Umwelt hat. Im soeben zitierten Beispiel könnte man es ganz simpel auf die Formel bringen: Der
Marken- und Patentschutz ist umweltschädlich. Darüber hinaus illustriert dieser Vorgang etwas,
was wir denen entgegenhalten, die sagen, wir müssten wieder zurück zu Öllämpchen und
Pferdefuhrwerk: Immer noch bringt der Globus mehr hervor als notwendig ist, jedem Menschen auf der Erde ein
würdiges und sicheres Leben zu bieten. Wir haben, auch das zeigen die Schuhe auf der Deponie in
Hamburg, kein Produktionsproblem, wir haben ein Verteilungsproblem.
Im Gegensatz zum Marxismus für simple Gemüter, der in den stalinistischen Regimen praktiziert
wurde, gingen Marx und seine Nachfolger davon aus, dass der Mensch eben nicht über oder außerhalb
der Natur steht. Wie der schon zitierte Friedrich Engels sagte, ist der Mensch Teil der Natur und ohne sie
nicht denkbar, deshalb ohne sie auch nicht überlebensfähig. Alle Versuche, die Natur durch
Artefakte zu ersetzen, enden in immer größeren Desastern.
Im konkreten Fall der Klimakatastrophe
lautet die entscheidende Frage deshalb nicht, wie man die Treibhausgase reduziert, sondern, wie man eine
Produktions- und Lebensweise findet, die
Verschwendung vermeidet,
erst über die Folgen redet und
dann Maßnahmen trifft,
die nationale und internationale
Ungleichheit aufhebt und damit überhaupt die Voraussetzung für eine solidarische und kollektive
Problembearbeitung schafft,
dafür die Menschen umfassend
bildet und nicht lediglich zum Zweck, eine umgrenzte Funktion im Produktionsprozess zu übernehmen.
Eine solche Lebensweise bedeutet aber vor
allem, dass eine allgemeine "Entschleunigung" eintreten muss. Wollen wir in Zukunft mit der Natur
leben, deren Teil wir sind, dann müssen wir uns die Zeit nehmen, bei allem was wir tun erst
nachzudenken, zu diskutieren, zu untersuchen, demokratisch zu entscheiden und dann erst zu handeln.
Das ist ein Verfahren, das dem herrschenden
System diametral zuwiderläuft. Es ist nicht die Liebe des Menschen zur Geschwindigkeit, die diese Welt
immer schneller macht, sondern der Zwang zum immer schnelleren Umschlag des Kapitals. Dieser Zwang ist dem
System inhärent. Das ist einer der Gründe, warum der Kapitalismus für eine integrative
Lösung des Klimaproblems nicht geeignet ist. Kapitalismus ist etwas für dumme, kurzfristig
denkende Menschen.
Ökosozialisten sind anders. Sie nehmen
sich Zeit.
Keine Zeit haben wir allerdings, was die
Klimaentwicklung betrifft. Dringend nötig ist der Aufbau einer internationalen Massenbewegung gegen
die Klimapolitik der Industrieländer. Das wird in den nächsten Jahren eine der zentralen Aufgaben
für alle von uns sein.
Thadeus Pato
Informationen und Meinungen sollten keine Waren sein. Und Geld ist ein Fetisch.
Dennoch und ganz praktisch: Die Online-SoZ sieht nur umsonst aus. Wir brauchen Eure Euros.
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