SoZ - Sozialistische Zeitung

Zur SoZ-Homepage SoZ - Sozialistische Zeitung, Februar 2007, Seite 18

Emma Ihrer zum 150. Geburtstag

Vorkämpferin für Frauengewerkschaften

Am 3.Januar 2007 wäre die Kämpferin für Sozialismus und Frauenrechte, Emma Ihrer, 150 Jahre alt geworden. Im Gegensatz zu führenden Männern der Arbeiterbewegung ist sie beinahe in Vergessenheit geraten.
Im schlesischen Glatz 1857 als Tochter eines Schuhmachers geboren, lernte sie den Beruf der Putzmacherin, ging nach Berlin und schloss sich mit 24 Jahren der sozialdemokratischen Partei an. Mit ihrem Bekenntnis zum Sozialismus engagierte sie sich für die Interessen der Arbeiterinnen, vor allem für deren gewerkschaftliche Organisierung.
Der Frauenhilfsverein für Handarbeiterinnen, zu dessen Mitbegründerinnen sie 1881 zählte und dessen Vorstand sie angehörte, könnte heute als Vorläufer einer Frauengewerkschaft bezeichnet werden. Der Verein setzte sich für die Verbesserung der Arbeitsbedingungen der Arbeiterinnen ein, forderte den Ausbau der gewerblichen Fabrikinspektion unter Beteiligung der Arbeiterinnen, Schutz vor Kinderausbeutung, saubere Werkstätten mit Waschvorrichtungen und Mädchen-Fortbildungsschulen.
Aufgrund dieser Forderungen wurde er als politisch gefährlich eingestuft und verboten. Emma Ihrer und ihre Mitstreiterinnen wurden zu Gefängnisstrafen verurteilt, weil der "Verein nicht bloß Frauenspersonen als Mitglieder aufgenommen hatte, sondern er nur aus Frauenspersonen bestand". Und Frauenspersonen war vor 1908 nach dem Preußischen Vereinsgesetz jede politische Betätigung verboten. Nach einer reichsgerichtlichen Entscheidung von 1878 konnte jegliche politische Betätigung und der Besuch öffentlicher Veranstaltungen durch Frauen untersagt werden.
Frauen und Mädchenvereine mussten sich fantasievoll tarnen. Emma Ihrer und ihre Gefährtinnen setzten nun auf eine 1884 gegründete Kranken- und Sterbekasse für Mädchen und Frauen, die bald 120 Verwaltungsstellen mit 20000 Mitgliedern hatte. Emma Ihrer kämpfte weiter. Sie gründete 1985 gemeinsam mit Marie Hofmann, Pauline Staegemann und Gertrude Guillaume-Schack den Berliner Verein zur Wahrung der Interessen der Arbeiterinnen. Der Verein forderte einen Maximalarbeitstag, die Beseitigung der Nachfeierabend-, Nacht- und Sonntagsarbeit, die Festsetzung eines Minimallohntarifs und "menschenwürdige Behandlung der Arbeiterinnen durch die Arbeitgeber".
Diese "allmählich durchzuführenden Ziele" sollten durch partielle Streiks erreicht werden, denn freiwillig — so wussten sie — würde den Näherinnen nichts zugestanden werden. Besonderes Aufsehen erregten die vom Verein laufend veröffentlichten Statistiken über die niedrigen Löhne in der Konfektion, Weißnäherei und im Putzfach, sowie das Material über die langen Arbeitszeiten und die unwürdigen Behandlungen der Arbeiterinnen. Deshalb wurde der Verein, dem mehrere tausend Frauen angehörten, bereits ein Jahr später von der Polizei wegen "Aufreizung zum Klassenhass" verboten. Emma Ihrer und ihre Mitstreiterinnen wurden vor Gericht gestellt, verurteilt und ins Gefängnis gesteckt.
1889 nahm Emma Ihrer als Delegierte am Gründungskongress der II. Internationale in Paris teil und hielt dort eine viel beachtete Rede. Gemeinsam mit Clara Zetkin erreichte sie dort, dass "die Heranziehung der Arbeiterinnen zur Gewerkschaftsorganisation ... den Delegierten zur Pflicht gemacht" wurde. Außerdem wurde von diesem Kongress als weltumspannende Aktion der Arbeiterschaft beschlossen, den 1.Mai 1890 zum Feiertag zu erklären.
Emma Ihrer und ihre Mitstreiterinnen kämpften weiter für die Rechte der Frau, gründeten jedoch keinen neuen Verein und gingen auch nicht in die Männergewerkschaften, beides wäre schnell verboten worden, sondern sie gründeten eine Frauen-Agitationskommission und erreichten durch diese lose Gruppe, dass ihre Versammlungen nicht mehr verboten werden konnten. 1890 gründete Emma Ihrer die erste proletarische Frauenzeitschrift Die Arbeiterin und gab diese heraus, bis die Zeitschrift ab 1892 in Die Gleichheit überging, deren Redaktion Clara Zetkin übernahm.
Im November 1890 wurde Emma Ihrer auf der Ersten Konferenz der Gewerkschaften Deutschlands als einzige Frau in die Generalkommission gewählt. Sie trat nun auf sozialdemokratischen Parteitagen und auf internationalen Kongressen vor allem für das Recht der Frauen auf Erwerbsarbeit ein und arbeitete pausenlos daran, Frauen von der Notwendigkeit der Mitarbeit in den Gewerkschaften zu überzeugen.
Dieser Agitationsarbeit dienten zahlreiche Schriften, wie zum Beispiel Die Arbeiterinnen im Klassenkampf. 1893 war sie Mitbegründerin des Vereins zur Förderung der Frauenbildung; auch er wurde durch die Polizei verboten. Erst der Verein für Frauen und Mädchen der Arbeiterklasse konnte sich durchsetzen. Als im Jahr 1900 die Berliner Wäscherinnen und Plätterinnen streikten, war es Emma Ihrer, die als erste Frau erfolgreich vor einem Gewerbegericht auftrat: Geregelte Arbeitszeit und mehr Lohn wurden durch das solidarische Verhalten von 2500 Frauen erkämpft.
1903 wurde sie Vorsitzende der Gewerkschaft des Zentralverbands der in der Blumenfabrikation beschäftigten Arbeiterinnen Deutschlands und 1904 des gewerkschaftlichen Frauenkomitees. Sie half bei der Gründung des Zentralverbands der Hausangestellten Deutschlands, der 1909 seine Arbeit aufnahm.
Emma Ihrer starb am 8.Januar 1911 in Berlin und wurde auf dem Berliner Zentralfriedhof Friedrichsfelde beigesetzt. Ihr Grabstein trägt die Inschrift "Zu Wirken für andere war ihres Lebens ergiebigster Quell!"

Gisela Notz

Informationen und Meinungen sollten keine Waren sein. Und Geld ist ein Fetisch. Dennoch und ganz praktisch: Die Online-SoZ sieht nur umsonst aus. Wir brauchen Eure Euros.
Spendet steuerlich abzugsfähig!
VsP, Postbank Köln, BLZ 370100 50,
Kontonummer 603 95 04


zum Anfang