SoZ - Sozialistische Zeitung

Zur SoZ-Homepage SoZ - Sozialistische Zeitung, Februar 2007, Seite 22

Lichter der Vorstadt

Finnland 2006, Buch, Regie, Schnitt, Produktion: Aki Kaurismäki. Mit Janne Hyytiäinen, Maria Heiskanen, Maria Järvenhelmi u.a. (bereits angelaufen)

"Hier werde ich nicht sterben." Dieser Satz von Koistinen, dem Helden in Kaurismäkis neuem Film Lichter der Vorstadt, könnte als das Motto dieses Films dienen. Denn er bringt den merkwürdigen Optimismus zum Ausdruck, der diesen Film durchzieht. Optimismus ist hier so zu verstehen, dass einem Menschen permanent nur Unglück widerfährt, er aber trotzdem nicht aufgibt. In der letzten Szene scheint dann die Möglichkeit des Glücks kurz auf.
Kaurismäki bezeichnet seinen neuen Film als letzten Teil einer "Trilogie der Verlierer". Sie begann mit Wolken ziehen vorüber im Jahre 1996 und wurde 2002 mit Der Mann ohne Vergangenheit fortgesetzt. Die drei Filme sind jeweils in sich abgeschlossen und man kann jeden sehen, ohne die anderen zu kennen. Gemeinsam ist ihnen, dass sie Menschen in scheinbar aussichtsloser Lage zeigen, "Verlierer" eben. In Wolken ziehen vorüber verlieren die Kellnerin Ilona und der Straßenbahnfahrer Lauri beide etwa gleichzeitig ihren Job und sind scheinbar völlig am Ende. Es gelingt ihnen aber, sich mit einem Restaurant eine neue Existenz aufzubauen. In Der Mann ohne Vergangenheit verliert der Protagonist nach einem Überfall sein Gedächtnis und "stirbt" sogar. In Wirklichkeit ist dieser Verlust aber eine Befreiung und die Chance für den Aufbruch in ein neues Leben. Beide Filme haben ein sehr unkitschiges aber dafür umso schöneres "Happy End".
Koistinen, der Held des neuen Films, ist weniger vom Glück begünstigt. Die Aussicht auf Glück beschränkt sich auf eine kurze Geste am Ende des Films. Er lächelt nur einmal, ausgerechnet im Gefängnis. Auch den Protagonisten der beiden anderen Filme ergeht es schlecht, aber das Ende der beiden Filme ist wesentlich versöhnlicher. In Lichter der Vorstadt sind die positiven Anteile auf ein Mindestmaß reduziert, Kaurismäki lässt seinem Helden nur noch ein Minimum an Hoffnung.
Der deutsche Titel lehnt sich an Charlie Chaplins Lichter der Großstadt (City Lights) an. Der Originaltitel lautete allerdings "Lichter in der Dämmerung" (Lights in the Dusk, finnisch Laitakaupungin valot). Mit Chaplins Film verbindet ihn die Figur des gesellschaftlichen Verlierers, Koistinen ist eine zeitgemäße Form des Tramps aber ohne die Slapstick- und Clown-Elemente. Der Tramp in Chaplins City Lights findet am Ende auch sein Glück, als die von ihrer Blindheit geheilte Frau in dem Tramp ihren Wohltäter erkennt. Die Ähnlichkeiten zwischen dem Tramp und Koistinen sind aber nicht allzu groß. Koistinen ist kein Wohltäter, der blinden Frauen und lebensmüden Millionären hilft, er kann noch nicht einmal sich selber helfen. So scheint der Originaltitel den Film doch besser zu beschreiben. Seine Lage ist so hoffnungslos, dass sie eigentlich als Dunkelheit beschrieben werden müsste. Da er aber nicht aufgibt und es zwei Menschen (und einen Hund) gibt, die zu ihm halten, gibt es immer noch Lichter, die die Dunkelheit wenigstens in Dämmerung verwandeln.
Auch Koistinen ist ein Mann ohne Vergangenheit, in viel höherem Maße sogar als der Held des zweiten Teils der Trilogie, denn man erfährt schlicht nichts über sie. Es bleibt völlig unklar, ob sie besser oder noch schlechter war, wobei letzteres eigentlich gar nicht möglich ist. Er ist Wachmann in einer privaten Sicherheitsfirma, wo er von seinen Kollegen systematisch gemobbt wird. Wie er sich deren Abneigung zugezogen hat, bleibt unklar. Es scheint aber nicht seine Schuld zu sein, wirkt er doch in dieser Firma eher deplatziert, der einzige sympathische Mensch unter lauter Unsympathen.
Bevor die Möglichkeit des wahren Glücks am Ende des Films ganz kurz aufscheint, tritt mitten im Film scheinbar das große Glück in Gestalt einer schönen blonden Frau in Koistinens Leben. Doch hier trügt der Schein. Denn die Frau stürzt ihn in ein noch größeres Unglück als es der beschissene Job bei der Privatsecurity ist. Seine wahren Freunde erkennt er erst ganz zum Schluss. Ein kleiner schwarzer Junge, ein misshandelter Hund — der einzige, dem Koistinen eine Wohltat zu erweisen versucht — und vor allem Aila, die am Stadtrand eine Würstchenbude betreibt. Sie ist ihrem Kunden Koistinen auf ebenso zurückhaltende wie ausdauernde Weise zugetan. Er weiß das aber nicht zu schätzen und wendet sich ihr erst in der letzten Szene des Filmes zu, als er seinen Tiefpunkt erreicht hat.
Stattdessen erliegt er dem Werben der schönen blonden Mirja. Mit ihr führt Kaurismäki die für ihn sehr untypische Figur der femme fatale ein. Denn Mirja nutzt Koistinen nur aus, jedoch nicht aus eigener Initiative sondern im Auftrag ihres Chefs, des örtlichen Gangsterbosses, von dem sie wiederum abhängig ist, was in einer Szene, wo sie bei ihm staubsaugt, besonders deutlich wird. Sie gehört auch zu den Verlierern. Koistinens Racheversuch richtet sich dann auch gerechterweise gegen den Obergangster und nicht gegen Mirja.
Erwähnt werden muss noch, dass Lichter der Vorstadt der Film Kaurismäkis mit den schönsten Bildern ist und das will bei einem Regisseur, der so sehr auf Bilder und so wenig auf Worte vertraut, schon etwas heißen. Kaurismäki ist auch in diesem Film wieder auf Seiten seines Helden, der durch seinen Durchhaltewillen ein wahrer wenn auch völlig unheroischer Held ist. Der traurig-schöne Tango fehlt ebenfalls nicht. Und so ist Kaurismäki wieder ein wunderschön-trauriger Film gelungen, den man sich eigentlich mehrmals angucken muss.

Andreas Bodden

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