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Josef Joffe
weiß, wie man Schlagzeilen macht. Wladimir Putins Rede bei der Münchener Sicherheitskonferenz
erinnerte den Herausgeber der Zeit an den Kalten Krieg. Schon hatten er und viele jüngere Kollegen ihr
Thema. Doch es gab auch eine andere Sicht der Kritik Putins an der unilateralen Politik Washingtons:
"Das war nicht Kalter Krieg, das war klare Kante", bemerkte trocken der Grüne Winni
Nachtwei. Beide haben Recht. Nachtwei, weil er den Charakter der Rede Putins traf, Joffe, weil er das Klima
einer Debatte vorwegnahm, die alsbald begann.
Die USA planen, Teile des
Raketenabwehrsystems, das Washington vor atomaren Langstreckenraketen schützen soll, in Europa
aufzustellen. Sie sagen, es richte sich gegen die Bedrohung aus dem Iran. Tschechien will einen Radar
beherbergen, Polen zehn Abfangraketen. Beide erhoffen sich größere Bedeutung für die USA und
mehr Unterstützung.
Für George W. Bush ist die
Raketenabwehr eine Herzensangelegenheit der ersten Stunde. Wie sein großes Vorbild im Kalten Krieg,
Ronald Reagan, ist Bush überzeugt, dass solche Waffen für die Sicherheit der USA unabdingbar und
technisch machbar sind. SDI, Star Wars reloaded. Ein weltweites Raketenabwehrsystem, das angreifende
Raketen in jeder Phase des Fluges bekämpfen kann, steht bei George W. Bush für den amerikanischen
Traum von der Unverwundbarkeit der USA.
In diesem Traum ist es irrelevant, ob der
Iran oder Nordkorea tatsächlich bald Raketen bauen können, die die USA erreichen. Es ist auch
unerheblich, ob das Abwehrsystem wirklich funktioniert. Es muss gebaut werden, damit der Traum weitergeht.
Wichtig ist nur, dass die Schurken dieser Welt glauben, dass das System möglicherweise doch
funktioniert. Dann lassen sie sich abschrecken.
Die inneren Widersprüche sind
offensichtlich. Sind es nicht gerade die Schurkenstaaten, denen Washington die Rationalität abspricht?
Ist es nicht gerade der Iran, dessen Raketen- und Nuklearpotenzial Vizepräsident Cheney
regelmäßig mit der Bombardierung droht? Doch Träume müssen nicht logisch sein.
Schwierig wird es dagegen, wenn Politiker mit träumerischer Logik reale militärische Potenziale
begründen.
China und Russland haben zur Kenntnis
genommen, dass ein Teil ihrer atomaren Langstreckenwaffen im Wirkungsbereich der US-Raketenabwehr liegen
könnte. Beide sehen, dass dieses Vorhaben Auswirkungen auf ihre militärischen Optionen und auf
die Stabilität haben könnte. Russlands Präsident Putin stieß sich in München an
George W. Bushs Traum von der Unverwundbarkeit Amerikas, weil dieser Traum Teil des russischen Alptraums
einer globalen unilateralen Vorherrschaft Washingtons ist. Putin bezweifelt, dass Washingtons Macht
ausreicht, um eine globale Dominanz der USA durchzusetzen. Er befürchtet, dass schon der Versuch im
Scheitern mehr Instabilität mit sich bringt. Sein Verteidigungsminister Iwanow meldete deshalb Kritik
an den Plänen an und ließ erkennen, dass Moskau sich zu wehren wisse.
Dass auch russische Generäle die Logik
des Kalten Krieges internalisiert haben, bewies dagegen der Chef der Strategischen Raketentruppen Moskaus
wenig später. Er drohte, Russland könne den INF-Vertrag kündigen. Der verbietet Russen und
Amerikanern Mittelstreckenraketen mit 5005500 km Reichweite. Mit solchen Raketen könne Russland
die Basen der USA in Polen und Tschechien bekämpfen, drohte der General. Ein brillanter Schachzug, um
Washington zu erschrecken! Die Kündigung des Vertrags ist schon lange Wunsch vieler Hardliner in der
Regierung Bush. Zudem: Man stelle sich vor, Russland und die USA entdecken konventionelle und atomare
Mittelstreckenraketen wieder. Dann begänne eine große neue Diskussion über verkürzte
Vorwarn- und Entscheidungszeiten, über Präemption und präventive Schläge und nicht
zuletzt über An- und Abkopplung das Lieblingsthema der Atlantiker im Kalten Krieg.
Halten wir noch einmal fest: George W. Bush
will mit Milliardenaufwand eine Raketenabwehr gegen iranische Langstreckenraketen aufbauen, von denen er
nicht weiß, ob und wann es sie geben wird. Zugleich droht er dem Iran, dessen Raketen- und Atomtechnik
mit einem Militärschlag zu vernichten. Nur eine von beiden Optionen kann glaubwürdig sein.
Auftritt Tony Blair: Der britische Knappe bittet den König, einen Teil des neuen Raketenschildes auch
auf seiner Scholle aufzustellen. Es scheint, als fürchte er um seine Rolle bei Hofe. Unaufhaltsam
droht das Ende der Aufklärung: Nicht die Erkenntnis zählt, sondern das Bekenntnis.
Otfried Nassauer ist freier Journalist und
leitet das Berliner Informationszentrum für Transatlantische Sicherheit (BITS)
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