SoZ - Sozialistische Zeitung

Zur SoZ-Homepage SoZ - Sozialistische Zeitung, März 2007, Seite 05

Die deutschen Soldaten aus Afghanistan abziehen

Der Einsatz der Bundeswehr ist grundgesetzwidrig, meint Inge Höger

Der Fall Kurnaz erhärtet erneut, was auch schon im Zusammenhang mit Waffenlieferungen während des Irakkriegs deutlich wurde: Deutschland leistet mitnichten "Wiederaufbauhilfe" in den Ländern, die von der US-Armee bombardiert wurden. Deutschland ist aktiv in den sog. "Krieg gegen den Terror" eingebunden, teilt also auch die Verantwortung für einen unerklärten Krieg, der zugleich ein Angriffskrieg ist. Wie Kurnaz behandelt wurde, das erklärt sich daraus. INGE HÖGER ist Mitglied des Bundestags und sitzt für die Fraktion Die Linke im Verteidigungsausschuss. Das Gespräch führte Angela Klein.

Inzwischen scheint festzustehen, dass die Entscheidung, Kurnaz grundlos weiter in Guantánamo gefangen zu halten, ausschließlich in Berlin gefallen ist — zwischen Kanzleramt und Bundesinnenminister?

Alle Fakten sprechen dafür, dass es so war.

Nun steht die Aussage des Präsidenten des Verfassungsschutzes vor dem BND- Untersuchungsausschuss, der Bremer Verfassungsschutz habe im Februar 2002 Erkenntnisse über eine angebliche Gefährlichkeit von Kurnaz gehabt, im Widerspruch zu den Aussagen seiner Beamten, die Kurnaz im September 2002 in Guantánamo verhört hatten.

Zu dem Zeitpunkt gab es keinerlei gerichtsverwertbare Beschuldigen gegen Murat Kurnaz. Die Bundesstaatsanwaltschaft hatte ihr Ermittlungsverfahren bereits eingestellt. Die Erkenntnisse des Bremer Verfassungsschutzes beruhten allesamt auf Gerüchten. Nach den Verhören im September sind Beamte des BND und des BfV übereinstimmend zu dem Ergebnis gekommen, dass Kurnaz keinerlei Kontakte zu terroristischen Organisationen hatte. Allen Beteiligten war klar, das er unschuldig ist und nur zur falschen Zeit am falschen Ort war. Trotzdem hat die Bundesregierung das Angebot der USA, ihn nach Deutschland auszuliefern, abgelehnt.

Wie erklärst du dir das?

Ich erkläre mir das so: Die KSK-Soldaten haben zugesehen oder auch weggesehen, als Murat Kurnaz in Kandahar, also in Afghanistan, von den Amerikanern gefangen gehalten und gefoltert wurde. Sie wussten, dass da ein deutschsprachiger Mitbürger im Lager war und auch, dass er nach Guantánamo verschleppt werden sollte. Sie haben nichts dagegen unternommen, obwohl zu dem Zeitpunkt im Januar 2002 schon klar war, was in Guantánamo passierte, dass dort Gefangene völkerrechtswidrig festgehalten und gefoltert werden.
Ich denke, Steinmeier und Schily wollten ihn nicht zurückhaben, damit ihnen nachträglich keine Vorwürfe gemacht werden, dass sie untätig gewesen sind. Sie wollten die Aktion der KSK-Soldaten decken. Eine öffentliche Diskussion der deutschen Rolle im so genannten Krieg gegen Terror war politisch unerwünscht.

Was aber hat die KSK-Soldaten bewegt, einfach zuzusehen und nicht einzuschreiten, wenn jemand grundlos gefoltert wird?
Die KSK-Soldaten haben sich von Anfang an mit allem, was sie in Afghanistan gemacht haben, eingeordnet in das, was die US-Amerikaner vorgegeben haben. Sie waren da, um die Amerikaner in ihrem "Krieg gegen den Terror" zu unterstützen und haben auf ihre Bitten auch das Gefangenenlager bewacht. Sie sind für Spezialeinsätze ausgebildet. Allerdings haben sie nicht eigenständig gehandelt, sondern haben sich in allem, was sie getan haben, mit Vorgesetzten in Potsdam rückgekoppelt.

Wem unterstehen sie eigentlich?

Dem Einsatzführungskommando in Potsdam — letztlich dem Verteidigungsminister.

Wie ist denn ihr Handlungsspielraum in Afghanistan? Gibt es konkrete Weisungen an sie, was sie zu tun und zu lassen haben? Wie lautet ihr Auftrag genau?

Das Kommando Spezialkräfte ist im Rahmen von Enduring Freedom, im Rahmen des von den Amerikanern erklärten "Krieges gegen den Terror", im Einsatz. Sie unterstehen dabei dem US- amerikanischen Zentralkommando. Was sie genau zu tun und zu lassen haben, ist dem Parlament unbekannt. Sie sind ausgebildet für Einsätze hinter feindlichen Linien. Diese heimlichen Kommandoeinsätze ermöglichen selten ein humanes Umgehen mit vermeintlichen Gegnern oder Zivilisten. Zu dem Zeitpunkt, zu dem Murat Kurnaz in Kandahar festgehalten wurde, gab es keine konkreten Weisungen, wie mit Gefangenen umzugehen sei. Das ist außergewöhnlich. Normalerweise bekommen Soldaten immer ein kleines Handbuch mit Einsatzregeln für den jeweiligen Auftrag mit ins Gepäck, in dem auch Hinweise auf das Völkerrecht stehen. Da in der ersten Zeit in Afghanistan für das KSK keine ausformulierten Einsatzregeln existierten, gab es somit auch keine Anweisung, die Gegner in Afghanistan als Kriegsgefangene zu behandeln. Die entsprechenden völkerrechtlichen Vorschriften galten zwar trotzdem. Normalerweise verlässt sich die Einsatzleitung jedoch nicht darauf, dass die einzelnen Soldaten auch in der Lage sind, völkerrechtliche Fragen selbstständig zu klären.

Ist das gewollt? Sucht man da einen Spielraum außerhalb der Legalität, oder ist das eine Nachlässigkeit, die dann korrigiert wurde?

Das ist korrigiert worden — allerdings erst ein halbes Jahr später. Faktisch wurde jedoch die fragwürdige US-amerikanische Interpretation, Gefangene nicht als Kriegsgefangene zu behandeln, übernommen. Zudem wurden deutsche Soldaten aufgefordert, nicht selbst Gefangene zu machen, sondern "nur" deren Ergreifung zu unterstützen. Selbst diese Einschränkung kam erst, nachdem es eine öffentliche Diskussion gegeben hat über die Zustände in Guantánamo und die Verletzung des Völkerrechts durch die US-Regierung.
Nach dem 11.September wurde der sog. "Kampf gegen den Terror" ja ziemlich hochgepuscht, angeblich war der Verteidigungsfall so dringend, dass man ohne Rücksicht auf Verluste handeln musste. Man kann vielleicht niemandem direktes Wollen unterstellen — aber insgesamt ist eine Situation heraufbeschworen worden, bei der man eben auch unschuldige Opfer hingenommen hat.

Mit welchem Auftrag agiert die KSK jetzt? Was haben die Soldaten da real zu tun?

Was sie genau tun, entzieht sich im Grunde auch der Kenntnis des Parlaments. Die Soldaten sind in geheimen Missionen unterwegs, obwohl wir in Deutschland eigentlich eine Parlamentsarmee haben und die Parlamentarier immer über alles unterrichtet werden sollen. Es ist höchste Zeit, dass das Parlament genauer informiert wird. Im Nachhinein hat sich nämlich gezeigt, dass sie hinter den feindlichen Linien zum Einsatz kommen und an Kriegseinsätzen teilnehmen. Die KSK-Soldaten haben z.B. 2006 ein angebliches Al-Qaeda-Gästehaus überfallen und sich 2002 an der "Operation Anaconda" beteilitgt. Das sind Kriegseinsätze. Sie sollen angebliche Feinde aufspüren, festsetzen und den USA übergeben.
Die Verschwommenheit ihres Auftrags hat auch mit der Art des Krieges zu tun, der da geführt wird: Die USA führen diesen Krieg ja ohne Kriegserklärung, sehr allgemein und wolkig als "Krieg gegen den Terror", ohne den Feind zu identifizieren. Das tun sie in Afghanistan, aber auch im Irak und demnächst wahrscheinlich im Iran. Die deutschen KSK-Soldaten sind zur Unterstützung dieses Krieges da und scheinbar auch ein Baustein im Aufbau eines Besatzungsregimes.

Ihr wollt eine Initiative starten, dass dieser KSK-Einsatz aufhört. Wie begründet ihr das und was ist euer Anliegen?

Die Affäre zeigt, dass diese Spezialeinheit nicht kontrolliert werden kann. Wir fordern deshalb die Auflösung der KSK, wir wollen keine Beteiligung deutscher Soldaten an Kriegseinsätzen. Insgesamt verstößt der Einsatz der Bundeswehr in Afghanistan gegen das Grundgesetz, Deutschland wird nicht am Hindukusch verteidigt. Die Teilnahme deutscher Soldaten in Afghanistan aber ist eine Beteiligung an einem Angriffskrieg.
Wir wollen als erstes, dass die KSK- Soldaten unverzüglich nach Hause geschickt und dass diese Truppe aufgelöst wird — denn man kann sie nicht kontrollieren. Aus demselben Grund fordern wir natürlich insgesamt den Abzug der deutschen Soldaten aus Afghanistan. Es würde an der Kriegsbeteiligung Deutschlands nichts ändern, wenn nur die KSK-Soldaten zurückkommen, dafür aber Tornados und weitere bzw. andere Soldaten hingeschickt werden.

Wie reagiert die Bundesregierung auf den Vorstoß der USA, alle in Afghanistan stationierten ausländischen Truppen einem gemeinsamen NATO-Kommando zu unterstellen und die Aufteilung in unterschiedliche Einsatzgebiete aufzuheben? Dann würden deutsche Soldaten direkt in Kampfhandlungen verwickelt...

Es gab schon immer ein einheitliches Nato-Kommando, nur dass man sich bisher auf unterschiedliche Einsatzgebiete geeinigt hatte. Deutschland war und ist nur auf dem Papier im Friedenseinsatz. Die KSK- Soldaten waren aber schon immer an Kampfhandlungen beteiligt und wenn nun Aufklärungsflugzeuge wie die Tornados dahin geschickt werden, sind dies eindeutig Kriegseinsätze — das hat Fraktionschef Peter Struck auch zugegeben. Die Bundesregierung behauptet, die Tornados seien angefordert worden. In Wirklichkeit weiß man nie, wie weit die deutsche Regierung darauf hin gewirkt hat, dass sie angefordert wurden. Jedenfalls will sich Deutschland in Südafghanistan endgültig an Kampfhandlungen beteiligen.

Wäre die Bundesregierung auch bereit, Soldaten zu schicken?

Der Tornadoeinsatz beinhaltet sechs bis acht oder auch mehr Flugzeuge und 500 Soldaten. Es werden also auch deutsche Soldaten im Süden Afghanistan eingesetzt werden. Die Bundesrepublik will im Konzert der Weltmächte wieder mitspielen und deshalb solche Einsätze den USA nicht allein überlassen. Die Bundeswehr wird längst zu einer weltweit einsetzbaren Interventionsarmee umgebaut und soll auch zum Einsatz kommen.

Wie schätzt du die Lage der Menschen in Afghanistan ein?

Wir können heute mit Fug und Recht feststellen, dass der gesamte Einsatz in Afghanistan gescheitert ist. Allein im Jahr 2006 kamen mehr als 4400 Afghanen ums Leben. Der Drogenanbau hat drastisch zugenommen. Über 70% der Menschen im Land leiden unter chronischem Nahrungsmangel, viele haben keinen Zugang zu Trinkwasser. Den Menschen geht es schlechter als unter den Taliban. Und das will schon was heißen.



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