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Das VW-Projekt 5000 x 5000 wurde viel gelobt und viel kritisiert nun
hat das Soziologische Forschungsinstitut an der Universität Göttingen (Sofi) eine Abschlussbilanz
der Begleitforschung vorgelegt.
Ausgangspunkt für das VW-Projekt war die These, mit einer Senkung der Personalkosten könne
die Fertigung "in Deutschland" gesichert werden. VW behauptete, "5000 Arbeitsplätze vom
Ausland nach Deutschland zurück" zu holen. Peter Hartz und Klaus Volkert, damals jeweils
Personalchef und Betriebsratsvorsitzender, trieben dieses Konzept voran und sprachen vom "Modell
Volkswagen". Dabei beanspruchten sie, das Konzept berücksichtige "die Interessen der
Arbeitnehmer". Deshalb sollte der Betriebsrat Teil der Geschäftsführung werden;
tatsächlich konnten gewerkschaftliche Vertrauensleute erst drei Jahre später und nach dem Abgang
von Hartz und Volkert gewählt werden. Sie hatten wirklich die Vorstellung, sie könnten den
antagonistischen Widerspruch zwischen den Interessen der Beschäftigten und denen des Unternehmens
administrativ aufheben.
Der nationalistische Anstrich wird daran
deutlich, dass das zu produzierende Modell gar nicht "vom Ausland nach Deutschland zurück"
geholt werden konnte. Ursprünglich war eine Form von "Teamarbeit" konzipiert, die mit
gewerkschaftlichen Vorstellungen wenig zu tun hat. Tatsächlich wurde die Leistungserbringung zum
Maßstab für die Arbeitsorganisation nach dem Motto: Macht was ihr wollt, Hauptsache das Ergebnis
stimmt. Die Arbeitsvertragsbeziehungen sollten dadurch grundlegend geändert werden. Gegen das
ursprüngliche Konzept gab es viel Widerspruch, wodurch einige Giftzähne gezogen wurden. Über
einen längeren Verhandlungsprozess wurde ein Ergebnis erzielt, das folgende wesentliche Bestandteile
enthielt:
Die durchschnittliche Arbeitszeit
beträgt 35 Stunden pro Woche. Die regelmäßige Arbeitszeit darf 42 Stunden in der Woche nicht
überschreiten. Weitere Vereinbarungen zur Arbeitszeit betrafen 30 Spätschichten an Samstagen
sowie ein Flexikonto von 200 (inzwischen 400) Stunden.
Die Beschäftigten sind für
Qualität und Stückzahl verantwortlich. Bei Nichterreichen vorgegebener Ziele sind sie unmittelbar
zu Mehrarbeit verpflichtet (Programmentgelt).
Alle außer der
Geschäftsleitung, den Managern und Vorgesetzten erhalten ein monatliches Grundentgelt von
ursprünglich 4500 DM (plus einem Bonus von 6000 DM pro Jahr einschließlich
Nachtschichtzuschlägen). Seit dem 1.6.2006 wurde das Grundentgelt um 3% auf 2571 Euro erhöht.
Zusätzlich zur Arbeitszeit sind
wöchentlich 3 Stunden (inzwischen 2,5 Stunden) Qualifizierungszeit zu leisten, die zu 50%
vergütet werden.
Ein Schlüsselbegriff in den Hartz-
Konzepten ist "Zumutbarkeit". Die schlichte Logik lautet: Bevor jemand arbeitslos wird, ist es
zumutbar, dass diese Person schneller und billiger arbeitet. Bezogen auf Arbeitsmarkt und
Arbeitslosenversicherung heißt dies, bevor jemand gar kein Geld bekommt, ist eben weniger zumutbar.
Also: Bevor der Touran billig in Portugal gebaut wird, bauen wir ihn noch billiger in Wolfsburg. VW hat nur
Vorteile, die Beschäftigten haben nur Nachteile. Aber der größte Nachteil der
Beschäftigten in Wolfsburg (das Auto gar nicht zu bauen) wurde eingetauscht gegen den
"geringen" Vorteil des Unternehmens ("nur" 8% Umsatzrendite).
Die Forscher, die das Projekt begleiteten, konnten aus dem vollen Schöpfen, wie Michael Schumann in
seiner Einleitung darlegt: "Wir hatten in diesem Werk glänzende Untersuchungsbedingungen
breiteste Unterstützung, volle Offenheit, hohe Diskussionsbereitschaft". Er hebt die
"objektive Abschlussbilanz jenseits parteilicher Einschätzungen" hervor. Angesichts der
Finanzierung und der Ergebnisse sind Zweifel an der Objektivität erlaubt.
Interessant ist die Tatsache, dass keine
Kontroverse dokumentiert wird. Es kommen nur Befürworter des Projektes zu Wort. Scheinbar unvermittelt
wird festgestellt, Kritik am Projekt mache sich vor allem an den dafür geleisteten materiellen
Zugeständnissen fest, es könne "eine Abstiegsspirale in den Lohn- und Leistungsbedingungen
für die deutschen Standorte einleiten also jene Entwicklung starten, die sich dann in den
kommenden Jahren in der Tat, aber ganz unabhängig vom Projekt Auto 5000 und ohne dessen Deal von
Zugeständnissen und Zugewinnen, breitflächig durchgesetzt hat." An dieser Aussage verwundert
die Annahme, Auto 5000 habe mit der eingeleiteten Abstiegsspirale rein gar nichts zu tun, ebenso die
Leichtigkeit, mit der darüber hinweg gegangen wird, dass nicht mehr als 3500 Personen für Auto
5000 eingestellt wurden und dass es sich ausweislich der Personalentwicklung in Wolfsburg nicht um
zusätzliche Beschäftigung handelt was jedoch ein Essential des "Deals" war.
Michael Schumann schreibt: "...von
Auto 5000 (kann) gelernt werden, wie der zentralen Herausforderung des deutschen Automobilbaues, seine
Innovationsführerschaft zu behaupten und auszubauen, begegnet werden kann". Berthold Huber
formuliert: "Auto 5000 kann ein Modell sein, wenn es als Gesamtprojekt verstanden wird", und:
"Die Zukunft unserer Republik hängt entscheidend davon ab, ob es gelingt, industrielle
Automobilproduktion ... zu sichern."
Hervorgehoben wird die "innovative
Arbeitsorganisation", als würde es nicht darum gehen, was wir wie, wofür und für wen
produzieren! Dazu schreibt Ulrich Jürgens vom Wissenschaftszentrum Berlin: "HPWP (high-
performance work practices) ist eine Bezeichnung, die direkter als die vom Sofi bevorzugte Terminologie der
innovativen Arbeitsorganisation auf die Performanzfrage abzielt. Der Kern des Argumentes ist, dass
bestimmte Managementpraktiken in ihrem Zusammenwirken (als HPWP-System) durch die Mobilisierung
größerer Motivations- und Innovationspotenziale bei den Beschäftigten auch zu
überlegenen wirtschaftlichen Resultaten führen."
Fragwürdig ist auch die Konstruktion
des "modernen Arbeitnehmertypus" durch das Sofi. Er wird als intelligenter, mitdenkender,
kooperativer, leistungsengagierter, motivierter und innovativer Typus dem "traditionellen
Lohnarbeiter" gegenüber gestellt, der das alles demnach nicht ist. Für diesen "modernen
Arbeitnehmer" gibt es den Widerspruch zwischen Kapital und Arbeit nicht.
Als Zugeständnis der Arbeitnehmerseite
wird die Arbeitszeitverlängerung einschließlich der Einführung des Samstags als
Regelarbeitstag und einer unbezahlten Anwesenheitspflicht für "Qualifizierung" beschrieben.
Weil es sich zunächst um neue Beschäftigte handelte, "verlagerte dies die Betroffenheit auf
andere und sicherte politisch-gesellschaftlichen Rückenwind." Das ist tarifpolitischer
Chauvinismus! Die Ausweitung von Arbeitszeit und Flexibilität nicht unter gesellschaftlichen Aspekten
zu beleuchten ist für einen Soziologen dieser Reputation eine grobe Nachlässigkeit.
Der ideologischen Verklärung des Projekts stehen Fakten und Fragen entgegen.
Gegenüber der Belegschaft wurde
betont, Auto 5000 richte sich nicht gegen den Haustarif, auch künftig würde es
Direkteinstellungen bei VW geben. Nun erleben die Beschäftigten, wie ihre bisherige Tätigkeit von
Kollegen in billigen, teils prekären Arbeitsverhältnissen ausgeführt wird. Allen stellt sich
die Frage: Woran wird der Wert der Arbeit gemessen? Und was ist daran gerecht, wenn für gleiche Arbeit
unterschiedlich entlohnt wird?
Wie wurde der Anspruch umgesetzt, 3500
Arbeitslose zusätzlich zu beschäftigen? Der neue Personalchef Horst Neumann formuliert:
"Bereits in der Startphase von Auto 5000 hatte Volkswagen zu viel Personal an Bord." Die relative
Stabilität der Arbeitsplätze bei Auto 5000 wurde erkauft durch Outsourcing bei VW und
Zulieferern. Das wird in der Vortragssammlung positiv gewendet und als aktive Beschäftigungspolitik
bezeichnet: "Für das Urteil über die ... aktive Beteiligung an der Prozessoptimierung als
Regelaufgabe dürfte dabei die vom Management betriebene Politik der Beschäftigungssicherung durch
Übernahme zusätzlicher Fertigung und Insourcing extern vergebener Dienstleistungen eine
entscheidende Bedingung sein. Dies gilt als überzeugender Beleg, dass man bei den eigenen
Rationalisierungsaktivitäten, auch wenn sie zu Arbeitseinsparungen führen, nicht am eigenen Ast
sägt."
Zu fragen ist, ob hier 3500 Arbeitslose
eine "echte Lebenschance" bekommen haben. Bezogen auf die Produktionsbeschäftigten waren 18%
nicht arbeitslos, 12% bis zu einem Monat, 15% bis zu drei Monaten und 21% bis zu sechs Monaten arbeitslos.
Lediglich 16% waren über zwölf Monate arbeitslos. Nur 5% hatten keinen Facharbeiterabschluss, 52%
hatten eine abgeschlossene Ausbildung als Metall- oder Elektrofacharbeiter. Bei der Personalauswahl ist
bemerkenswert, dass wenige Frauen (7%) und keine Schwerbehinderten eingestellt wurden. Dieses findet in der
Bilanz keine Würdigung.
Dankenswerterweise benennt Ulrich Jürgens eine gewisse Intransparenz in der Bilanz: "Auto 5000
hat, so die Sofi-Projektbilanz, auch im Hinblick auf Wirtschaftlichkeit seine Ansprüche realisiert.
Der Bericht verweist hier auf eine werksinterne Studie, die die wirtschaftlichen Vorteile aufgrund der
Strukturinnovationen im Bereich Arbeits- und Betriebsorganisation mit konkreten Zahlen belegt. Eigene
Studien zu Auswirkungen des Auto-5000-Arrangements auf Produktivitäts- und
Wirtschaftlichkeitsgrößen konnte das Sofi nicht durchführen. Der Verweis auf die
werksinterne Studie kann letztlich aber nicht befriedigen."
Die mit dem Projekt "Auto 5000"
verbundene Ideologie die Löhne sind zu hoch, die Arbeitzeiten zu kurz, Innovation und Co-
Management erklärt die Krise der Automobilindustrie so wenig, wie sie Beiträge zur
Lösung leistet. Viel mehr handelt es sich bei diesem Projekt um ein Instrument zur Verschärfung
der Konkurrenz zwischen den Beschäftigten in den Automobilfabriken, mit negativen Auswirkungen auf die
sozialen Standards auch bei den Zulieferern. Durch vorgebliche Erfolge und kleine Verbesserungen
zusätzliche Beschäftigung, Qualifizierungsanspruch, Teamarbeit, Mitbestimmung und egalitäre
Entlohnung werden die Machtverhältnisse verschleiert.
Im Betrieb hat sich nicht wirklich etwas im
Interesse der Beschäftigten verändert. Die Widersprüche brechen langsam durch und
kennzeichnen zunehmend den Alltag bei "Auto 5000". Diese Widersprüche stoßen allerdings
auf eine teilweise entwaffnete Belegschaft und Gewerkschaft. Denn nach der Ideologie von Auto 5000 ziehen
alle gemeinsam an einem Strang, nämlich dem der Arbeitsplatz- und Standortsicherung. Das jedoch ist in
einem global agierenden Konzern eine völlige Illusion.
1984 stellte Michael Schumann gemeinsam mit
Horst Kern in einem Standardwerk der Industriesoziologie Thesen auf, die "modernen" Politikern
und Unternehmern als Munition für die Einschränkung sozialer Standards dienten sie wurde gegen
eine vorgebliche Selbstverwirklichung im Arbeitsprozess eingetauscht. Mit dieser Theorie gelang es den
"Modernisierern" eine Praxis zu legitimieren, die die gesamte Persönlichkeit des Menschen
mit Haut und Haaren, mit allen Sinnen und seiner ganzen Kraft dem Arbeitsprozess unterwirft. Bei Auto 5000
wurde die erweiterte und intensivierte Nutzung der Arbeitskraft realisiert durch Aufgabenintegration,
Übernahme von Verantwortung, längere Arbeitszeit, weniger Lohn, Abpressung von Mehrarbeit und
sozial-technisch vermittelte Kontrolle. Schumann und Kern hatten 1970 eine erste Studie zum Verhältnis
von Technik und Industriearbeit veröffentlicht; mit der Sofi-Studie knüpfen sie an diese Arbeit
an: Wieder ist keine Rede von ökonomischen Interessen, von Kapitalverwertung und
Unternehmensstrategien. Kritisch gelesen werden in dem Band jedoch die neuen Methoden und Widersprüche
der kapitalistischen Produktivkraftentwicklung sichtbar und für den Klassenkampf handhabbar.
Stephan Krull
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