SoZ - Sozialistische Zeitung

Zur SoZ-Homepage SoZ - Sozialistische Zeitung, März 2007, Seite 09

Das Modell VW: Auto 5000

Schön geredet und gesund gebetet

Das VW-Projekt 5000 x 5000 wurde viel gelobt und viel kritisiert — nun hat das Soziologische Forschungsinstitut an der Universität Göttingen (Sofi) eine Abschlussbilanz der Begleitforschung vorgelegt.

Ausgangspunkt für das VW-Projekt war die These, mit einer Senkung der Personalkosten könne die Fertigung "in Deutschland" gesichert werden. VW behauptete, "5000 Arbeitsplätze vom Ausland nach Deutschland zurück" zu holen. Peter Hartz und Klaus Volkert, damals jeweils Personalchef und Betriebsratsvorsitzender, trieben dieses Konzept voran und sprachen vom "Modell Volkswagen". Dabei beanspruchten sie, das Konzept berücksichtige "die Interessen der Arbeitnehmer". Deshalb sollte der Betriebsrat Teil der Geschäftsführung werden; tatsächlich konnten gewerkschaftliche Vertrauensleute erst drei Jahre später und nach dem Abgang von Hartz und Volkert gewählt werden. Sie hatten wirklich die Vorstellung, sie könnten den antagonistischen Widerspruch zwischen den Interessen der Beschäftigten und denen des Unternehmens administrativ aufheben.
Der nationalistische Anstrich wird daran deutlich, dass das zu produzierende Modell gar nicht "vom Ausland nach Deutschland zurück" geholt werden konnte. Ursprünglich war eine Form von "Teamarbeit" konzipiert, die mit gewerkschaftlichen Vorstellungen wenig zu tun hat. Tatsächlich wurde die Leistungserbringung zum Maßstab für die Arbeitsorganisation nach dem Motto: Macht was ihr wollt, Hauptsache das Ergebnis stimmt. Die Arbeitsvertragsbeziehungen sollten dadurch grundlegend geändert werden. Gegen das ursprüngliche Konzept gab es viel Widerspruch, wodurch einige Giftzähne gezogen wurden. Über einen längeren Verhandlungsprozess wurde ein Ergebnis erzielt, das folgende wesentliche Bestandteile enthielt:
Die durchschnittliche Arbeitszeit beträgt 35 Stunden pro Woche. Die regelmäßige Arbeitszeit darf 42 Stunden in der Woche nicht überschreiten. Weitere Vereinbarungen zur Arbeitszeit betrafen 30 Spätschichten an Samstagen sowie ein Flexikonto von 200 (inzwischen 400) Stunden.
Die Beschäftigten sind für Qualität und Stückzahl verantwortlich. Bei Nichterreichen vorgegebener Ziele sind sie unmittelbar zu Mehrarbeit verpflichtet (Programmentgelt).
Alle außer der Geschäftsleitung, den Managern und Vorgesetzten erhalten ein monatliches Grundentgelt von ursprünglich 4500 DM (plus einem Bonus von 6000 DM pro Jahr einschließlich Nachtschichtzuschlägen). Seit dem 1.6.2006 wurde das Grundentgelt um 3% auf 2571 Euro erhöht.
Zusätzlich zur Arbeitszeit sind wöchentlich 3 Stunden (inzwischen 2,5 Stunden) Qualifizierungszeit zu leisten, die zu 50% vergütet werden.
Ein Schlüsselbegriff in den Hartz- Konzepten ist "Zumutbarkeit". Die schlichte Logik lautet: Bevor jemand arbeitslos wird, ist es zumutbar, dass diese Person schneller und billiger arbeitet. Bezogen auf Arbeitsmarkt und Arbeitslosenversicherung heißt dies, bevor jemand gar kein Geld bekommt, ist eben weniger zumutbar. Also: Bevor der Touran billig in Portugal gebaut wird, bauen wir ihn noch billiger in Wolfsburg. VW hat nur Vorteile, die Beschäftigten haben nur Nachteile. Aber der größte Nachteil der Beschäftigten in Wolfsburg (das Auto gar nicht zu bauen) wurde eingetauscht gegen den "geringen" Vorteil des Unternehmens ("nur" 8% Umsatzrendite).

Die Sofi-Bilanz

Die Forscher, die das Projekt begleiteten, konnten aus dem vollen Schöpfen, wie Michael Schumann in seiner Einleitung darlegt: "Wir hatten in diesem Werk glänzende Untersuchungsbedingungen — breiteste Unterstützung, volle Offenheit, hohe Diskussionsbereitschaft". Er hebt die "objektive Abschlussbilanz jenseits parteilicher Einschätzungen" hervor. Angesichts der Finanzierung und der Ergebnisse sind Zweifel an der Objektivität erlaubt.
Interessant ist die Tatsache, dass keine Kontroverse dokumentiert wird. Es kommen nur Befürworter des Projektes zu Wort. Scheinbar unvermittelt wird festgestellt, Kritik am Projekt mache sich vor allem an den dafür geleisteten materiellen Zugeständnissen fest, es könne "eine Abstiegsspirale in den Lohn- und Leistungsbedingungen für die deutschen Standorte einleiten — also jene Entwicklung starten, die sich dann in den kommenden Jahren in der Tat, aber ganz unabhängig vom Projekt Auto 5000 und ohne dessen Deal von Zugeständnissen und Zugewinnen, breitflächig durchgesetzt hat." An dieser Aussage verwundert die Annahme, Auto 5000 habe mit der eingeleiteten Abstiegsspirale rein gar nichts zu tun, ebenso die Leichtigkeit, mit der darüber hinweg gegangen wird, dass nicht mehr als 3500 Personen für Auto 5000 eingestellt wurden und dass es sich ausweislich der Personalentwicklung in Wolfsburg nicht um zusätzliche Beschäftigung handelt — was jedoch ein Essential des "Deals" war.
Michael Schumann schreibt: "...von Auto 5000 (kann) gelernt werden, wie der zentralen Herausforderung des deutschen Automobilbaues, seine Innovationsführerschaft zu behaupten und auszubauen, begegnet werden kann". Berthold Huber formuliert: "Auto 5000 kann ein Modell sein, wenn es als Gesamtprojekt verstanden wird", und: "Die Zukunft unserer Republik hängt entscheidend davon ab, ob es gelingt, industrielle Automobilproduktion ... zu sichern."
Hervorgehoben wird die "innovative Arbeitsorganisation", als würde es nicht darum gehen, was wir wie, wofür und für wen produzieren! Dazu schreibt Ulrich Jürgens vom Wissenschaftszentrum Berlin: "HPWP (high- performance work practices) ist eine Bezeichnung, die direkter als die vom Sofi bevorzugte Terminologie der innovativen Arbeitsorganisation auf die Performanzfrage abzielt. Der Kern des Argumentes ist, dass bestimmte Managementpraktiken in ihrem Zusammenwirken (als HPWP-System) durch die Mobilisierung größerer Motivations- und Innovationspotenziale bei den Beschäftigten auch zu überlegenen wirtschaftlichen Resultaten führen."
Fragwürdig ist auch die Konstruktion des "modernen Arbeitnehmertypus" durch das Sofi. Er wird als intelligenter, mitdenkender, kooperativer, leistungsengagierter, motivierter und innovativer Typus dem "traditionellen Lohnarbeiter" gegenüber gestellt, der das alles demnach nicht ist. Für diesen "modernen Arbeitnehmer" gibt es den Widerspruch zwischen Kapital und Arbeit nicht.
Als Zugeständnis der Arbeitnehmerseite wird die Arbeitszeitverlängerung einschließlich der Einführung des Samstags als Regelarbeitstag und einer unbezahlten Anwesenheitspflicht für "Qualifizierung" beschrieben. Weil es sich zunächst um neue Beschäftigte handelte, "verlagerte dies die Betroffenheit auf andere und sicherte politisch-gesellschaftlichen Rückenwind." Das ist tarifpolitischer Chauvinismus! Die Ausweitung von Arbeitszeit und Flexibilität nicht unter gesellschaftlichen Aspekten zu beleuchten ist für einen Soziologen dieser Reputation eine grobe Nachlässigkeit.

Die Kritik

Der ideologischen Verklärung des Projekts stehen Fakten und Fragen entgegen.
Gegenüber der Belegschaft wurde betont, Auto 5000 richte sich nicht gegen den Haustarif, auch künftig würde es Direkteinstellungen bei VW geben. Nun erleben die Beschäftigten, wie ihre bisherige Tätigkeit von Kollegen in billigen, teils prekären Arbeitsverhältnissen ausgeführt wird. Allen stellt sich die Frage: Woran wird der Wert der Arbeit gemessen? Und was ist daran gerecht, wenn für gleiche Arbeit unterschiedlich entlohnt wird?
Wie wurde der Anspruch umgesetzt, 3500 Arbeitslose zusätzlich zu beschäftigen? Der neue Personalchef Horst Neumann formuliert: "Bereits in der Startphase von Auto 5000 hatte Volkswagen zu viel Personal an Bord." Die relative Stabilität der Arbeitsplätze bei Auto 5000 wurde erkauft durch Outsourcing bei VW und Zulieferern. Das wird in der Vortragssammlung positiv gewendet und als aktive Beschäftigungspolitik bezeichnet: "Für das Urteil über die ... aktive Beteiligung an der Prozessoptimierung als Regelaufgabe dürfte dabei die vom Management betriebene Politik der Beschäftigungssicherung durch Übernahme zusätzlicher Fertigung und Insourcing extern vergebener Dienstleistungen eine entscheidende Bedingung sein. Dies gilt als überzeugender Beleg, dass man bei den eigenen Rationalisierungsaktivitäten, auch wenn sie zu Arbeitseinsparungen führen, nicht am eigenen Ast sägt."
Zu fragen ist, ob hier 3500 Arbeitslose eine "echte Lebenschance" bekommen haben. Bezogen auf die Produktionsbeschäftigten waren 18% nicht arbeitslos, 12% bis zu einem Monat, 15% bis zu drei Monaten und 21% bis zu sechs Monaten arbeitslos. Lediglich 16% waren über zwölf Monate arbeitslos. Nur 5% hatten keinen Facharbeiterabschluss, 52% hatten eine abgeschlossene Ausbildung als Metall- oder Elektrofacharbeiter. Bei der Personalauswahl ist bemerkenswert, dass wenige Frauen (7%) und keine Schwerbehinderten eingestellt wurden. Dieses findet in der Bilanz keine Würdigung.

Ideologie der Modernisierer

Dankenswerterweise benennt Ulrich Jürgens eine gewisse Intransparenz in der Bilanz: "Auto 5000 hat, so die Sofi-Projektbilanz, auch im Hinblick auf Wirtschaftlichkeit seine Ansprüche realisiert. Der Bericht verweist hier auf eine werksinterne Studie, die die wirtschaftlichen Vorteile aufgrund der Strukturinnovationen im Bereich Arbeits- und Betriebsorganisation mit konkreten Zahlen belegt. Eigene Studien zu Auswirkungen des Auto-5000-Arrangements auf Produktivitäts- und Wirtschaftlichkeitsgrößen konnte das Sofi nicht durchführen. Der Verweis auf die werksinterne Studie kann letztlich aber nicht befriedigen."
Die mit dem Projekt "Auto 5000" verbundene Ideologie — die Löhne sind zu hoch, die Arbeitzeiten zu kurz, Innovation und Co- Management — erklärt die Krise der Automobilindustrie so wenig, wie sie Beiträge zur Lösung leistet. Viel mehr handelt es sich bei diesem Projekt um ein Instrument zur Verschärfung der Konkurrenz zwischen den Beschäftigten in den Automobilfabriken, mit negativen Auswirkungen auf die sozialen Standards auch bei den Zulieferern. Durch vorgebliche Erfolge und kleine Verbesserungen — zusätzliche Beschäftigung, Qualifizierungsanspruch, Teamarbeit, Mitbestimmung und egalitäre Entlohnung — werden die Machtverhältnisse verschleiert.
Im Betrieb hat sich nicht wirklich etwas im Interesse der Beschäftigten verändert. Die Widersprüche brechen langsam durch und kennzeichnen zunehmend den Alltag bei "Auto 5000". Diese Widersprüche stoßen allerdings auf eine teilweise entwaffnete Belegschaft und Gewerkschaft. Denn nach der Ideologie von Auto 5000 ziehen alle gemeinsam an einem Strang, nämlich dem der Arbeitsplatz- und Standortsicherung. Das jedoch ist in einem global agierenden Konzern eine völlige Illusion.
1984 stellte Michael Schumann gemeinsam mit Horst Kern in einem Standardwerk der Industriesoziologie Thesen auf, die "modernen" Politikern und Unternehmern als Munition für die Einschränkung sozialer Standards dienten sie wurde gegen eine vorgebliche Selbstverwirklichung im Arbeitsprozess eingetauscht. Mit dieser Theorie gelang es den "Modernisierern" eine Praxis zu legitimieren, die die gesamte Persönlichkeit des Menschen mit Haut und Haaren, mit allen Sinnen und seiner ganzen Kraft dem Arbeitsprozess unterwirft. Bei Auto 5000 wurde die erweiterte und intensivierte Nutzung der Arbeitskraft realisiert durch Aufgabenintegration, Übernahme von Verantwortung, längere Arbeitszeit, weniger Lohn, Abpressung von Mehrarbeit und sozial-technisch vermittelte Kontrolle. Schumann und Kern hatten 1970 eine erste Studie zum Verhältnis von Technik und Industriearbeit veröffentlicht; mit der Sofi-Studie knüpfen sie an diese Arbeit an: Wieder ist keine Rede von ökonomischen Interessen, von Kapitalverwertung und Unternehmensstrategien. Kritisch gelesen werden in dem Band jedoch die neuen Methoden und Widersprüche der kapitalistischen Produktivkraftentwicklung sichtbar und für den Klassenkampf handhabbar.

Stephan Krull

Michael Schumann/Martin Kuhlmann/Frauke Sanders, Auto 5000: ein neues Produktionskonzept. Die deutsche Antwort auf den Toyota-Weg?, Hamburg: VSA, 2006 (Vorträge der Abschlusskonferenz vom 22./23. Juni 2006). Die Begleitforschung wurde finanziert von VW, VW-Stiftung, Hans-Böckler-Stiftung und IG Metall.




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