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Das Streikrecht ist in Deutschland Richterrecht. Das Richterrecht lässt
Streiks nur zu, wenn sie auf Tarifverträge ausgerichtet sind und sich auf tariflich regelbare Ziele
beschränken. Ein politischer Streik hat nicht das Ziel, einen Tarifvertrag durchzusetzen, sondern will
z.B. auf die Verabschiedung eines bestimmten Gesetzes Einfluss nehmen.
Auch ein Demonstrationsstreik ist nicht auf
einen Tarifvertrag gerichtet, sondern darauf, für eine Meinung, etwa zu einem bestimmten Gesetz,
gemeinsam zu demonstrieren. Ein Generalstreik ist ein allgemeiner Streik über alle Branchen hinweg und
ein Demonstrationsstreik und ein politischer Streik.
Die deutsche Rechtsprechung erklärt
den Generalstreik, den politischen Streik und den Demonstrationsstreik für rechtswidrig. Auch ein
zweistündiger Streik, mit dem Beschäftige gegen die Einführung der Rente mit 67
demonstrieren, ist rechtswidrig. Die Folgen dieser Einschränkungen des Streikrechts sind
schwerwiegend: Ist ein Streik rechtswidrig, kann die zu diesem Streik aufrufende Gewerkschaft für die
Schäden haftbar gemacht werden.
Der zunehmende politische Druck auf die
Gewerkschaften zwingt diese jedoch, zu politischen Streiks aufzurufen, obwohl sie rechtswidrig sind.
Wie in der Rentenfrage werden seit Jahren
wesentliche Verschlechterungen der sozialen Standards durch Änderungen gesetzlicher Regelungen
herbeigeführt. Die Gewerkschaften sind nicht in der Lage, durch Tarifvertrag auszugleichen, was den
Beschäftigten durch Gesetz an immer neuen Lasten aufgebürdet wird.
Die Einführung der Rente mit 67 ist
Lebensarbeitszeitverlängerung per Gesetz und macht die von den Gewerkschaften erkämpfte
wöchentliche Arbeitszeitverkürzung per Tarif wieder zunichte. Was die Gewerkschaften in
Tarifverträgen erkämpft haben, wird ihnen durch das Gesetz wieder genommen.
Dagegen müssen sich die Gewerkschaften
wehren, wenn sie den Rückgang ihrer Mitgliederzahl aufhalten und nicht in der Bedeutungslosigkeit
versinken wollen. Wenn sich die Gewerkschaften aber wehren und dabei auf ihr ureigenstes Mittel, den
Streik, zurückgreifen, um politischen Protest und Widerstand zu organisieren, dann handeln sie
rechtswidrig.
Die Gewerkschaft kann sich aus diesem
Dilemma nur befreien, in dem sie unter Verstoß gegen die geltende Rechtsprechung das Verbot des
politischen Streiks und das Verbot des Demonstrationsstreiks aufbricht. Die massenhaften Aktionen
während der Arbeitszeit gegen die Einführung der Rente mit 67 sind Schritte in diese Richtung. So
lassen sich auch die Bedingungen verbessern, dass das BAG seine Rechtsprechung ändert. Wir wollen
streiken wie in Frankreich.
Das Verbot des politischen Streiks und des
Demonstrationsstreiks ist nicht mit europäischem Recht vereinbar. Die Europäische Sozialcharta
(ESC) wurde 1965 für die Bundesrepublik Deutschland verbindlich. Nach dem in dieser Charta
vereinbarten Verfahren kam ein Sachverständigenausschuss zu den "Schlussfolgerungen", das
deutsche Streikrecht verstoße in zwei Punkten gegen die ESC: Unvereinbar mit der ESC sei das
gewerkschaftliche Streikmonopol und die Beschränkung auf tariflich regelbare Ziele.
Das Ministerkomitee des Europarats empfahl
der Bundesregierung, den Schlussfolgerungen des Sachverständigenausschusses in geeigneter Weise
Rechnung zu tragen und über die durchgeführten Maßnahmen zu berichten.
Die Rechtsprechung hat bisher eine klare
Stellungnahme vermieden, ob die Streikgarantie der ESC die Wirkung innerstaatlichen Rechts hat,
gleichzeitig hat sie jedoch deutlich gemacht, dass die ESC überall dort zu berücksichtigen ist,
wo die Richter bei der Auslegung innerstaatlichen Rechts Spielräume haben. Die ESC ist eine von der
BRD eingegangene Verpflichtung, an die die Rechtsprechung ebenso gebunden ist wie der Gesetzgeber, der die
in der ESC eingegangenen Verpflichtungen in innerstaatliches Recht umsetzen muss.
Die Bundestagsfraktion "Die
Linke" hat am 27.10.2006 einen Antrag "Für das Recht auf Generalstreik" in den
Bundestag eingebracht. Obwohl die Umsetzung der Verpflichtungen aus der ESC bis heute aussteht, will keine
der anderen Parteien im Bundestag diesem Antrag zustimmen.
Benedikt Hopmann
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