SoZ - Sozialistische Zeitung

Zur SoZ-Homepage SoZ - Sozialistische Zeitung, März 2007, Seite 10

Deutsches Streikrecht widerspricht europäischem Recht

Wir wollen streiken wie in Frankreich

Das Streikrecht ist in Deutschland Richterrecht. Das Richterrecht lässt Streiks nur zu, wenn sie auf Tarifverträge ausgerichtet sind und sich auf tariflich regelbare Ziele beschränken. Ein politischer Streik hat nicht das Ziel, einen Tarifvertrag durchzusetzen, sondern will z.B. auf die Verabschiedung eines bestimmten Gesetzes Einfluss nehmen.
Auch ein Demonstrationsstreik ist nicht auf einen Tarifvertrag gerichtet, sondern darauf, für eine Meinung, etwa zu einem bestimmten Gesetz, gemeinsam zu demonstrieren. Ein Generalstreik ist ein allgemeiner Streik über alle Branchen hinweg und ein Demonstrationsstreik und ein politischer Streik.
Die deutsche Rechtsprechung erklärt den Generalstreik, den politischen Streik und den Demonstrationsstreik für rechtswidrig. Auch ein zweistündiger Streik, mit dem Beschäftige gegen die Einführung der Rente mit 67 demonstrieren, ist rechtswidrig. Die Folgen dieser Einschränkungen des Streikrechts sind schwerwiegend: Ist ein Streik rechtswidrig, kann die zu diesem Streik aufrufende Gewerkschaft für die Schäden haftbar gemacht werden.
Der zunehmende politische Druck auf die Gewerkschaften zwingt diese jedoch, zu politischen Streiks aufzurufen, obwohl sie rechtswidrig sind.
Wie in der Rentenfrage werden seit Jahren wesentliche Verschlechterungen der sozialen Standards durch Änderungen gesetzlicher Regelungen herbeigeführt. Die Gewerkschaften sind nicht in der Lage, durch Tarifvertrag auszugleichen, was den Beschäftigten durch Gesetz an immer neuen Lasten aufgebürdet wird.
Die Einführung der Rente mit 67 ist Lebensarbeitszeitverlängerung per Gesetz und macht die von den Gewerkschaften erkämpfte wöchentliche Arbeitszeitverkürzung per Tarif wieder zunichte. Was die Gewerkschaften in Tarifverträgen erkämpft haben, wird ihnen durch das Gesetz wieder genommen.
Dagegen müssen sich die Gewerkschaften wehren, wenn sie den Rückgang ihrer Mitgliederzahl aufhalten und nicht in der Bedeutungslosigkeit versinken wollen. Wenn sich die Gewerkschaften aber wehren und dabei auf ihr ureigenstes Mittel, den Streik, zurückgreifen, um politischen Protest und Widerstand zu organisieren, dann handeln sie rechtswidrig.
Die Gewerkschaft kann sich aus diesem Dilemma nur befreien, in dem sie unter Verstoß gegen die geltende Rechtsprechung das Verbot des politischen Streiks und das Verbot des Demonstrationsstreiks aufbricht. Die massenhaften Aktionen während der Arbeitszeit gegen die Einführung der Rente mit 67 sind Schritte in diese Richtung. So lassen sich auch die Bedingungen verbessern, dass das BAG seine Rechtsprechung ändert. Wir wollen streiken wie in Frankreich.

Verstoß gegen europäische Sozialcharta

Das Verbot des politischen Streiks und des Demonstrationsstreiks ist nicht mit europäischem Recht vereinbar. Die Europäische Sozialcharta (ESC) wurde 1965 für die Bundesrepublik Deutschland verbindlich. Nach dem in dieser Charta vereinbarten Verfahren kam ein Sachverständigenausschuss zu den "Schlussfolgerungen", das deutsche Streikrecht verstoße in zwei Punkten gegen die ESC: Unvereinbar mit der ESC sei das gewerkschaftliche Streikmonopol und die Beschränkung auf tariflich regelbare Ziele.
Das Ministerkomitee des Europarats empfahl der Bundesregierung, den Schlussfolgerungen des Sachverständigenausschusses in geeigneter Weise Rechnung zu tragen und über die durchgeführten Maßnahmen zu berichten.
Die Rechtsprechung hat bisher eine klare Stellungnahme vermieden, ob die Streikgarantie der ESC die Wirkung innerstaatlichen Rechts hat, gleichzeitig hat sie jedoch deutlich gemacht, dass die ESC überall dort zu berücksichtigen ist, wo die Richter bei der Auslegung innerstaatlichen Rechts Spielräume haben. Die ESC ist eine von der BRD eingegangene Verpflichtung, an die die Rechtsprechung ebenso gebunden ist wie der Gesetzgeber, der die in der ESC eingegangenen Verpflichtungen in innerstaatliches Recht umsetzen muss.
Die Bundestagsfraktion "Die Linke" hat am 27.10.2006 einen Antrag "Für das Recht auf Generalstreik" in den Bundestag eingebracht. Obwohl die Umsetzung der Verpflichtungen aus der ESC bis heute aussteht, will keine der anderen Parteien im Bundestag diesem Antrag zustimmen.

Benedikt Hopmann

Der Autor ist Rechtsanwalt in Berlin.



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