SoZ - Sozialistische Zeitung

Zur SoZ-Homepage SoZ - Sozialistische Zeitung, März 2007, Seite 16

Der 33-Tage-Krieg im Libanon

Vorurteile und Vereinfachungen

Gilbert Achcar/Michael Warschawski: 33-Tage-Krieg, Hamburg: Edition Nautilus, 2007, 96 Seiten, 9,90 Euro.

Gilbert Achcar, Dozent der Universität Paris VIII für internationale Politik, und Michael Warschawski, israelischer Autor und Aktivist, legen ein halbes Jahr nach dem Ende des letzten Libanon- Krieges eine Hintergrundanalyse vor, die zeitgleich auch auf Französisch und Englisch erscheint.Anders als das gängige Gerede von den zwei Lagern, in die der Libanon gespalten sei — dem der "prowestlichen" (und daher unterstützenswerten) Regierung und dem der "prosyrischen" (und somit von finsteren Absichten inspirierten) Opposition, im Wesentlichen mit der Hizbollah gleichzusetzen — machen die Kapitel über den Libanon sichtbar, welche gesellschaftlichen und politischen Kräfte innerhalb und welche Interessen außerhalb des Libanon bei der Aggression der israelischen Armee jeweils welche Rolle gespielt haben und wie sie weiterhin wirken.
Michael Warschawski ordnet den "israelischen Krieg gegen den Libanon" in den "Kontext des umfassenden Konflikts" ein, "der Israel und die arabische Welt entzweit" und seinerseits nur zu begreifen ist, wenn man die zentrale Rolle berücksichtigt, die dieser Konflikt "in Washingtons ‘unbegrenztem globalen Krieg‘ spielt". Diese Einordnung ist Welten entfernt von der irrwitzigen Propaganda um zwei entführte israelische Soldaten, die durch jenen Feldzug gegen ein ganzes Land angeblich befreit werden sollten.
Wer über die weithin diabolisierte Hizbollah authentische Informationen und glaubwürdige Einschätzungen sucht, um in den hitzigen Debatten über den Nahen Osten Klarheit zu gewinnen, dem wird das Buch über den 33-Tage-Krieg weiterhelfen, zumal die Autoren keine Illusionen über die konservative Ideologie der islamistischen Bewegung hegen. Doch sie beschreiben die soziale Basis dieser Bewegung und wie sie sich — bekennend wie faktisch — in die multikulturelle und multikonfessionelle libanesische Gesellschaft einfügt.
Dazu gehört u.a., dass sie sich von der Zielvorstellung eines Gottesstaats im Libanon nach dem Muster des Iran abgewandt hat. Achcar leugnet nicht, dass die Hizbollah in ihren Anfangsjahren in radikaler Konkurrenz zur ebenfalls am Widerstand gegen die israelischen Besatzer beteiligten KP des Libanon stand, eine Konkurrenz, die sich bis zur blutigen Gegnerschaft auswachsen konnte.
Damit ist eine der Befürchtungen angesprochen, die gerade unter Linken mit Hinweis auf den Iran immer wieder geäußert werden. Wie, wenn die Islamisten an die Macht kämen — würden sie nicht, wie im Iran, ihre Konkurrenten bzw. Gegner gnadenlos verfolgen? Die Frage ist berechtigt, doch sollte sie nicht nur rhetorisch gestellt, sondern, wie bei Achcar/Warschawski tatsächlich untersucht werden.
Welcher Art ist die Macht der Hizbollah im Libanon? Wie kann es sein, dass sie, besonders seit dem letzten Krieg, Vertrauen und sogar Anerkennung bei einer Mehrheit der Libanesen, auch bei Christen, Sunniten, bei überzeugten Laizisten, bei Kommunisten und anderen Linken genießt, ohne dass diese dafür von ihren Überzeugungen ablassen würden?
Aus dem Feldzug, den Israel mit seiner haushoch überlegenen Armee als totalen Krieg gegen die gesamte Bevölkerung führte, ist die Hizbollah nicht geschlagen, sondern gestärkt hervorgegangen. Seither genießt sie nicht nur im Libanon, sondern in der gesamten arabischen Welt und darüber hinaus hohes Ansehen, während die Klientel-Regimes der USA und Europas in der Region (Saudi-Arabien, Ägypten und Jordanien) vor der erstarkten nationalen Befreiungsbewegung in einem arabischen Land zittern.
Michael Warschawski leuchtet die israelischen Motive für den Sommerfeldzug und seine Folgen aus und stellt ihn in den Zusammenhang mit der ebenfalls im Sommer entfesselten israelischen Aggression gegen die eingesperrte Bevölkerung des Gazastreifens. Er geht insbesondere auf die Deformationen im öffentlichen Bewusstsein der israelischen Bevölkerung und der regierenden Eliten ein, die "durch die eigene Propaganda" verblendet seien.
Die "Unfähigkeit, den anderen zu verstehen" bezeichnet Warschawski als "typisch für jede Kolonialbeziehung ... Der Araber ist primitiv und ängstlich, der Moslem grausam und antisemitisch. Wir sind zivilisiert, modern, effizient und manchmal großzügig." Warschawski geißelt die Unfähigkeit und Verantwortungslosigkeit einer politischen Führung, die derart an ihrer eigenen Propaganda, an der Dominanz des militärischen Denkens und der bedingungslosen Unterstützung durch die USA und Europa berauscht, dass sie ihre Macht und Überlegenheit maßlos überschätzt. Darin sieht er eine der Ursachen für den Verfall der israelischen Institutionen und indirekt auch für das militärische Scheitern Israels.
Selbst im Herzen des Imperiums, das jenen unbegrenzten globalen Krieg führt, machen die Autoren Zweifel aus. Die Kritiker in den USA und Israel haben angesichts des Erfolgs des libanesischen Widerstands Auftrieb bekommen. Vor allem aber nagt die für die USA und ihre Alliierten sich immer auswegloser darstellende Situation im Irak am triumphalen Selbstbewusstsein der Bush-Krieger und ihrer Gefolgsleute. Um diese Erosionserscheinungen zu nutzen, bedarf es einer entschlossenen und klarsichtigen Friedensbewegung, "gerüstet" mit Büchern wie dem über den 33-Tage-Krieg.

Sophia Deeg

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