SoZ - Sozialistische Zeitung

Zur SoZ-Homepage SoZ - Sozialistische Zeitung, März 2007, Seite 17

Selbstische Solidarität

Aufklärungen im Diskursdickicht der Israel-Solidarität

Bernhard Schmid: Der Krieg und die Kritiker. Die Realität im Nahen Osten als Projektionsfläche, Münster: Unrast, 2006, 80 Seiten 8 Euro

Moshe Zuckermann: Israel — Deutschland — Israel. Reflexionen eines Heimatlosen, Wien: Passagen, 2006, 219 Seiten 26 Euro

Israels 30-Tage-Krieg gegen den Libanon hat im vergangenen Spätsommer einmal mehr verdeutlicht, dass es politische Selbstverständnisfragen gibt, bei denen Deutschland keine Parteien kennt, sondern, auch auf der Linken, nur die eigene Nation und ihre Befindlichkeit.Deutsche Solidarität mit Israel — kann es, fragt man sich spontan, ein Muss geben, das weniger hinterfragbar wäre? Und ist der in solcher Frage aufscheinende Zweifel bereits ein Zeichen von Antisemitismus? Beide Fragen stellt sich der deutsch-israelische Grenzgänger Moshe Zuckermann in seinem jüngsten Buch Israel — Deutschland — Israel. Und er antwortet mit provozierenden Gegenfragen und -thesen: Kann man denn so ohne weiteres "die" Juden mit dem Staat Israel oder der israelischen Staatsideologie des Zionismus identifizieren? Ist es nicht an der Zeit, zu differenzieren und zu fragen, ob es noch gilt, dass der Staat Israel die sichere Zufluchtstätte weltweit verfolgter Juden sei? Die Antwort darauf, so Zuckermann, "muss strikt ‘Nein‘ lauten".
Doch die Probleme beginnen damit erst, auch für den sich der radikalen israelischen Linken zurechnenden und nichtsdestotrotz überzeugten Israeli. "Es ist arg genug, sich einer Israelkritik gegenübergestellt zu sehen, wenn sie von latentem (oder auch manifestem) Antisemitismus herrührt; die Instrumentalisierung des tragischen Konflikts im Nahen Osten zur ideologischen Verfestigung des antijüdischen Ressentiments stellt ein großes Problem für sich dar. Nicht minder abstoßend nimmt sich freilich eine blinde, das Leid der Palästinenser in den besetzten Gebieten resolut übersehende Solidarität mit Israel aus, die — besonders, wenn sie in Deutschland auftritt — stets das Gefühl aufkommen lässt, dass sie sich neuralgischem Suhlen in eigenen Befindlichkeiten, weniger genuiner Sorge um Israel verdankt."
Treffend arbeitet Zuckermann in einem kleinen Kapitel seines weit darüber hinausgehenden Buches heraus, dass und inwiefern Antisemiten und Philosemiten ihren Projektionsdurst an derselben Quelle stillen, ohne den historischen und gesellschaftlichen Problemen gerecht zu werden, um die es real geht. So verkommt Solidarität, wo Menschen "ihr Problem mit den Juden an ‘den Juden‘ austragen", zur "selbstischen Solidarität", zur "Eigenbefindlichkeit, die sich des ‘Anderen‘ bediente, um sich selbst zu setzen".
Was dies im Falle der bundesdeutschen Politik bedeutet, hat Bernhard Schmid in einem kleinen, aber feinen Essay dokumentiert. Der Krieg und die Kritiker ist nicht die erste und wird wohl auch nicht die letzte Schrift des Autors zum Thema bleiben. Jedenfalls darf man dies gleichermaßen hoffen wie erwarten, denn die ihr zugrunde liegenden Probleme werden ebenso anhalten wie die Tatsache, dass sich "der größte Teil der im weiteren Sinne links Politisierten nicht mehr (traut), überhaupt noch (aktiv) Position zu beziehen" (Schmid).
Am Beispiel der linken deutschen Diskussionen um den israelischen Libanonkrieg zeigt Schmid auf, wie manche politischen Strömungen (nicht nur, aber vor allem der Linken) die Realität im Nahen Osten als Projektionsfläche ihrer eigenen Schuldabwehr benutzen. Sind die Einwohner und Entscheidungsträger Israels für den Antisemiten "in erster Linie Juden, denen er von vornherein alles Üble und Niederträchtige zutraut", sind sie für den Konservativen "die Bewohner eines relativ wohlhabenden und zivilisierten Landes‚ inmitten einer Dritten Welt die er als mehr oder minder barbarische Umgebung wahrnimmt". Nimmt der europäische und deutsche Philosemit sie "als Opfer einer jahrhundertelangen Geschichte der Verfolgung, Diskriminierungen und Pogrome wahr", sieht der Antikolonialist und Antiimperialist in der Staatsgründung Israels einzig die Wiederholung des imperialistischen Kolonialismus.
Mit Verve kritisiert Schmid die vielfältigen Argumentationsmuster der entsprechenden Meinungsführer und wendet sich gegen jede Art der Instrumentalisierung der Geschichte. Die vor allem in den 70er Jahren weit verbreiteten Vergleiche heutiger politischer Verbrechen mit dem historischen Holocaust seien in der Sache falsch und haben "objektiv zur Wirkung, in Deutschland die historische Realität des Holocaust zu relativieren, ja ihre Aufrechnung gegen aktuelle Verbrechen des ‘Staats der Opfer‘ möglich zu machen".
Im Zentrum seiner Zielscheibe stehen jedoch jene "Antideutschen", die Anfang der 90er Jahre auf der politischen Linken begannen und mittlerweile "zu den vielleicht affirmativsten Vertretern des liberal-konservativen Mainstreams im Gesamtwesten geworden" sind. Treffend arbeitet Schmid deren historische Ursprünge im gescheiterten Aufbruch der "Radikalen Linken" der Jahre 1988—1990 heraus ("Wir haben dabei geholfen, ein Monster zu gebären", schreibt er selbstkritisch) und zieht einen Bogen zu den linken Kämpfen der 70er und 80er Jahre.
Angesichts der Tatsache, dass diese Zusammenhänge kaum diskutiert und zumeist bereits der kollektiven Verdrängung anheim gefallen sind, hätte man sich hier gerne mehr gewünscht. Auch was die Realität im Nahen Osten selbst angeht, gibt sich Schmid auf den letzten Seiten eher verhalten, betont jedoch das doppelte Selbstbestimmungsrecht von Israelis wie Palästinensern und erinnert an Marxens Wort, dass ein Volk nicht selbst frei sein kann, solange es ein anderes unterdrückt.
Vergleichbar Bernhard Schmid, der die politische Geschichte der (west-)deutschen Linken aufklärt, um ihre gegenwärtigen Blockaden zu lösen, thematisiert Moshe Zuckermann die Blockaden des deutsch-israelischen Verhältnisses und klärt dabei über die gesellschaftliche und sozialpsychologische Verfasstheit beider Länder auf.
Seine Reflexionen eines Heimatlosen sind ein Stück politischer Aufklärung im besten Sinne des Wortes. An zentralen Momenten seiner individuellen Lebensgeschichte verdeutlicht er auf bemerkenswert einfühlsame Weise kollektive Geschichte, schreibt, wenn er über sein jüdisches Leben in Deutschland berichtet, auch über das Leben anderer Juden in Deutschland, und schreibt, wenn er von seinem Leben in Israel berichtet, über das Leben und die Blockaden der israelischen Gesellschaft. Israel — Deutschland — Israel ist ein erhellendes und anregendes Buch über die mangelnde "Normalität" in beiden Staaten, über Macht und Ohnmacht des Zionismus, über die Instrumentalisierung von Geschichte und den Missbrauch des Antisemitismusbegriffs ebenso wie über die verdrängte Schuld von Deutschen und Israelis. Zuckermann weiß, wer Opfer und wer Täter ist. Und er weiß, welche Methoden Opfer entwickeln, um Tätern als gleiche zu begegnen. Ein gelegentlich ambivalentes Buch über dauerhaft ambivalente Verhältnisse, getragen von der Sehnsucht nach einer Welt ohne Leid, in der man unbeschadet anders, also man selbst sein darf.

Christoph Jünke

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