SoZ - Sozialistische Zeitung

Zur SoZ-Homepage SoZ - Sozialistische Zeitung, April 2007, Seite 04

Afghanistan

Mission zum Scheitern verurteilt

von TARIQ ALI

Es ist das Jahr 6 der NATO-Besetzung Afghanistans, eine gemeinsame Mission der USA und der EU. Am 27.Februar gab es einen Selbstmordanschlag der Taliban auf die "sichere" US-Basis in Bagram, während eines Besuchs von Dick Cheney. Einige sprachen von einem Mordanschlag. Zwei US-Soldaten und ein Söldner starben. Das allein hätte genügen müssen, Cheney das Ausmaß des Afghanistan-Debakels vor Augen zu führen.
2006 verlor die NATO 46 Soldaten in Kampfhandlungen mit islamistischen Widerstandskämpfern. Die Aufständischen kontrollieren jetzt mindestens 20 Bezirke in den Provinzen Kandahar, Helmand, Uruzgan, wo NATO-Truppen US-Soldaten ersetzt haben. Es ist kein Geheimnis, dass viele Regierungsbeamte in diesen Gebieten insgeheim die Guerilla unterstützen.
Zu Beginn des Krieges erklärten Herr und Frau Bush auf allen Fernsehkanälen, sie wollten die afghanische Frau befreien. Versuchen Sie mal das heute zu wiederholen, die Frauen würden Ihnen ins Gesicht spucken.
Wer ist verantwortlich für das Desaster? Warum ist das Land immer noch unterworfen? Was hat Washington für strategische Ziele in der Region? Was ist die Funktion der NATO? Und wie lange kann man ein Land gegen den Willen seiner Bevölkerung besetzt halten?
Wenige Tränen wurden in Afghanistan und anderswo vergossen, als die Taliban stürzten. Die durch westliche Demagogie geschürten Hoffnungen hielten nicht lange an. Bald wurde klar, dass die frisch verpflanzte Elite den Löwenanteil der ausländischen Hilfe absahnen und ihre eigenen kriminellen Netzwerke schaffen würde.
Die Menschen aber litten.
Eine Lehmhütte für eine obdachlose Flüchtlingsfamilie kostet kaum 5000 Dollar. Wie viele davon wurden errichtet? Kaum eine. Jeden Winter hören wir von Hunderten obdachloser Afghanen, die sich zu Tode frieren.
Stattdessen haben westliche PR-Firmen mit viel Geld schnell eine Wahl organisiert — sie galt vor allem der westlichen öffentlichen Meinung. Ihre Ergebnisse haben der NATO kaum mehr Unterstützung gebracht.
Würde Afghanistan sicherer durch eine Art Marshall-Plan? Vielleicht hätten der Aufbau freier Schulen und Spitäler, Sozialwohnungen und der Wiederaufbau der sozialen Infrastruktur, die nach dem Rückzug der sowjetischen Truppen 1989 zerstört wurde, das Land stabilisiert.
Es hätte auch staatlicher Hilfe für die Landwirtschaft und die Baumwollindustrie bedurft, um die Abhängigkeit von Mohnanbau zu reduzieren — 90% des weltweiten Opiumanbaus kommt aus Afghanistan. Die UNO schätzt, dass Heroin 52% des Bruttoinlandsprodukts ausmacht. All das hätte einen starken Staat und eine andere Weltordnung erfordert.
Die wirtschaftlichen Verhältnisse haben sich seither kaum verbessert. Die Militärangriffe der NATO treffen dafür immer häufiger unschuldige Zivilisten, was zu wütenden antiamerikanischen Protesten in Kabul führte. Was zu Anfang als eine Art notwendige Polizeiaktion gegen Al Qaeda erschien, wird nun von einer wachsenden Mehrheit in der gesamten Region als regelrechte imperialistische Besatzung begriffen.
Die Taliban haben Zulauf und bilden neue Bündnisse — nicht weil ihr religiöses Sektierertum populär geworden wäre, sondern weil nationale Befreiung nur unter ihrem Schirm möglich scheint. Wie Briten und Russen in den beiden vergangen Jahrhunderten leidvoll erfahren mussten, gefiel es Afghanen noch nie, besetzt zu sein.
Die NATO kann diesen Krieg unmöglich gewinnen. Mehr Truppen bedeuten mehr Tote. Großangriffe werden das Nachbarland Pakistan destabilisieren. Und die paschtunische Mehrheit in Afghanistan hat immer schon enge Beziehungen zu ihren Landsleuten in Pakistan unterhalten.
Es ist gänzlich unmöglich, entlang einer 2500 Kilometer langen Grenze, die durch Gebirge führt und nicht markiert ist, einen texanischen Zaun oder eine israelische Mauer zu ziehen.
Washingtons strategische Ziele scheinen sich in Luft aufzulösen, sofern sie nicht dazu dienen, die europäischen Alliierten zu disziplinieren, weil die sie im Irak verraten haben. Die Al-Qaeda-Führer sind zwar noch auf freiem Fuß, aber deren Festnahme verdankt sich effektiver Polizeiarbeit, nicht Krieg und Besetzung.
Was wäre, wenn die NATO sich zurückzieht? Iran, Pakistan und die zentralasiatischen Länder müssten eine entscheidende Rolle für die Garantie einer föderalen Verfassung spielen, die ethnische und religiöse Unterschiede respektiert. Die Besetzung durch die NATO hat die Aufgabe nicht einfacher gemacht.
Die Lektion ist, wie schon im Irak, denkbar elementar. Es ist viel besser, wenn ein Regimewechsel von unten stattfindet, auch wenn das bedeutet, dass man so lange warten muss wie in Südafrika, Indonesien oder Chile. Besetzungen unterminieren die Möglichkeiten für organische Veränderungen und schaffen viel mehr Unordnung als vorher.
Die Bemerkung des italienischen Außenministers Massimo D‘Alema, der Krieg sei gerecht, weil er vom UN-Sicherheitsrat abgesegnet ist, steht auf schwachen Füßen. Der Sicherheitsrat ist weder gewählt noch ist er der Vollversammlung rechenschaftspflichtig. Er ist den fünf Staaten hörig, die den Zweiten Weltkrieg gewonnen haben. Seine Entscheidungen widerspiegeln keineswegs die Ansichten der meisten Kontinente.
Die einzige Frage, die sich stellt, ist ob europäische Soldaten in den Tod und zum Töten geschickt werden sollen, um die Hegemonie des amerikanischen Empire zu bewahren.



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