SoZ - Sozialistische Zeitung

Zur SoZ-Homepage SoZ - Sozialistische Zeitung, April 2007, Seite 04

Grabesstimmung

von THIES GLEISS

Die Geburt einer neuen Partei steht in Deutschland bevor. Ob sie neu ist, wird so strittig sein, wie die Frage, wie links sie ist. Tatsache ist allerdings, dass in ihr die alte PDS in vielen Dingen fortlebt, die nicht gerade zu den prickelndsten Erscheinungen der Arbeiterbewegung in Deutschland gehören. Vom preußischen Beamtensozialismus, der durch die Flure des Karl-Liebknecht- Amts in der Kleinen Alexanderstraße weht, über Kleiderempfehlungen an die Fraktionsangehörigen und Mitarbeiter im Bundestag, die akribische Werbeagenturbeschäftigung zur Schaffung eines "corporate design" bis zur Sorge um ein einheitliches Bühnenbild auf dem gemeinsamen Parteitag mit der WASG ist ein Spießertum präsent, das je nach Temperament zu Tränen rührt oder nur noch als Parodie auszuhalten ist. Es trifft sich in seiner prachtvollen Tristesse mit einer in der WASG verbreiteten Kultur westdeutscher Gewerkschaftsfunktionäre, die es für kämpferisch halten, zu einer Parteisitzung mit drei Sakkos und vier Krawatten aufzulaufen, um für jedes öffentliche und klandestine Medium bestens vorbereitet zu sein.
Welch ein Bedürfnis sich darin ausdrückt, hat der Klabautermann dieser Gemütslage, Gregor Gysi, bestens auf den Punkt gebracht: "Wenn nun jemand seit 1989/1990 in der PDS war und immer schon deshalb ausgegrenzt wurde — ganz egal, was er gemacht oder gesagt hat —, dann entsteht in dem natürlich der Wunsch, mal akzeptiert zu werden. Wenn man das erklärt, können die Leute gleich miteinander umgehen." Warum soll bei jemandem, der diskriminiert wird, der Wunsch entstehen, von den Diskriminierenden anerkannt zu werden? Statt Gegenwehr und Gegenmacht soll Buhlen um Anerkennung weiterführen? Man nennt das auch: Aus Angst vor dem Tod Selbstmord begehen.
Es wird wahrscheinlich an dieser aus vielen Poren drängenden Stimmung liegen, dass bei so vielen Veranstaltungen, die in diesen Tagen im Rahmen des sog. "Parteibildungsprozesses" stattfinden, ein morbider Dunst über den Versammlungsräumen liegt. Wohl selten, wir vermuten nie, wurde versucht, eine neue Partei mit einer solchen Grabesstimmung zu schaffen.
Da passt es, dass der Klabautermann sich auch über das Grab als solchem Gedanken macht. Was wünscht ein Sozialist auf seinen Grabstein zu stehen? Von Karl Marx wird gesagt, er wünschte sich sein Lieblingsmotto "De omnibus dubitandum est" (An allem ist zu zweifeln). Die britische KP schenkte ihm schließlich ein "Proletarier aller Länder, vereinigt euch" — nicht so schön, wie das Gewollte, aber auch noch gut. Der alte Meister Brecht war bis zuletzt der große Lehrer: "Ich benötige keinen Grabstein, aber wenn ihr einen für mich benötigt, wünschte ich, es stünde darauf: Er hat Vorschläge gemacht. Wir haben sie angenommen. Durch eine solche Inschrift wären wir alle geehrt." Und was möchte der so sehnsüchtig nach Anerkennung durch die Großen schielende Gregor Gysi? Es sollte auf dem Grab der PDS nur stehen: "Wir waren doch ganz nett." Wundert sich da noch jemand, dass es mit den Wünschen für das Leben vor dem Tod auch nicht viel besser aussieht. Es tröstet uns nur, dass wir zeitgleich mit den Gysi-Sehnsüchten auch ein Pamphlet einer kleinen Fraktion aus der Jugendorganisation "Solid" lesen konnten, die sich "Solid- Revolution" nennt und uns als revolutionäre Haltung das Wort "antispeziesistisch" gelehrt hat, an deren Ende kann "nicht weniger als der vegane Sozialismus sein, in dem alle Lebewesen nach ihren Bedürfnissen gleichberechtigt leben können". Diese Jugend strahlt ein Leben aus, das für die gesamte neue linke Partei nicht das Schlechteste wäre: "Weniger als Alles dürfen wir nicht fordern!"
Wohl an! Doch auch dabei behalten wir uns vor: an allem ist zu zweifeln.

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