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Die gewerkschaftlichen Mobilisierungen gegen die Rente mit 67 waren ein
voller Erfolg, auch wenn die Verabschiedung des Gesetzes nicht verhindert worden ist. So oder so
ähnlich klingt die offizielle Bilanz in Funktionärsversammlungen und Gewerkschaftsmedien.
IG-Metall-Chef Jürgen Peters meinte
gar, infolge der Aktionen Risse in der Phalanx der Befürworter feststellen zu können, weil einige
SPD-Abgeordnete etwas von "Verlängerung der Altersteilzeit nach 2009" und einer
"Revisionsklausel" gemurmelt haben sollen.
Zweifellos: Es ist ein positives Novum in
der jüngeren Geschichte der Gewerkschaften, dass in den Betrieben zu politischen Aktionen während
der Arbeitszeit aufgerufen wird. Und ein deutlicher Fortschritt gegenüber der bisherigen Linie, die
sich mit dem Satz "Unsere schärfste Waffe eine Unterschriftensammlung!" auf den
Begriff bringen lässt.
Rund 200000 Beschäftigte haben sich an
den Protestaktionen beteiligt, vor allem aus dem Organisationsbereich der IG Metall. Das ist nicht wenig,
gemessen an der Tatsache, dass die Aktionen die ersten politischen Streiks waren, zu denen die
Gewerkschaften seit Menschengedenken aufgerufen hatten. Gemessen an den Mitgliederzahlen war die
Beteiligung jedoch eher bescheiden: Nicht einmal 10% der IG Metaller waren vor den Werkstoren oder auf der
Strasse, von den Mitgliedern der anderen DGB-Gewerkschaften ganz zu schweigen.
Warum haben sich nicht mehr
Beschäftigte und Gewerkschaftsmitglieder an den Aktionen beteiligt? An fehlender Zustimmung zu den
Position der Gewerkschaft kann es nicht gelegen haben. Über 80% der Bevölkerung lehnen laut
Umfragen die Lebensarbeitszeitverlängerung ab. Die politische Hegemonie war und ist in dieser Frage
unübersehbar. Das hat aber offensichtlich nicht ausgereicht, um eine kämpferische Massenbewegung
zu initiieren, die in der Lage gewesen wäre, die Regierung in die Knie zu zwingen.
In den Diskussionen mit Kollegen im Betrieb
oder am Infostand auf der Straße zeigt sich schnell, was die wunden Punkte sind:
Da ist erstens das weit verbreitete
Gefühl von Ohnmacht, der tief sitzende Zweifel, "ob die da oben nicht sowieso machen was sie
wollen", egal ob man protestiert oder nicht. Das kann nur überwunden werden, wenn Proteste und
Aktionen dies praktisch widerlegen, also Erfolgserlebnisse vermitteln. Und die waren doch seit langer Zeit
ziemlich rar.
Zweitens gibt es große Zweifel
daran, "wie ernst die Führungen der Gewerkschaften das wirklich meinen", anders gesagt: an
deren Glaubwürdigkeit.
Der dritte wunde Punkt ergibt sich aus
den beiden ersten: Das skeptische Argument vieler Kollegen, das sei alles "sowieso viel zu
spät", zeigt dass sie einen durchaus guten Instinkt für die Beeinflussbarkeit politischer
Prozesse haben. Beim heutigen Stand der Kräfteverhältnissen und dem niedrigen
Radikalisierungsgrad sozialer Auseinandersetzungen ahnt jeder, wie illusionär es ist, ein
Gesetzesvorhaben am Vorabend seiner Verabschiedung kippen zu wollen. Dass die Großdemonstrationen am
21.Oktober 2006 eben nicht Auftakt für eine sich steigernden Mobilisierungsphase waren, sondern zum
wiederholten mal aufs Dampf ablassen nichts folgte, hatten die Kollegen ebenso registriert wie die
Öffentlichkeit.
Schon im Herbst 2006 wurde die Forderung nach Verlängerung der Altersteilzeit immer lauter, vor
allem bei den Spitzen-Metallern mit SPD-Parteibuch vom Vorstand über die Bezirksleiter bis zu
den Betriebsratsvorsitzenden der Großbetriebe in der Automobilindustrie. Für sich genommen ist
das ja keine falsche Forderung. Inzwischen steht die Frage der Altersteilzeit allerdings schon im
Vordergrund, der Kampf gegen die Rente mit 67 in der zweiten Reihe. Das ist fatal. Erstens, weil die
Fokussierung auf "Rente mit 67" eine betriebs-und branchenübergreifend wirken und die
Kollegen zusammenführen kann. Zweitens, weil Altersteilzeitregelungen in vielen Betrieben und Branchen
eben kein gangbarer Weg sind. Sie bieten keine Lösung gegen die Rentensenkungen, die mit der Rente mit
67 ins Haus stehen, weder für den Montagearbeiter bei Daimler noch für die Verkäuferin bei
Aldi.
Und drittens droht die Diskussion über
eine dringend nötige weitere Wochenarbeitszeitverkürzung unter die Räder zu kommen, wenn
nach der Lohntarifrunde 2007 in der IG Metall das Projekt "Tarifliche Regelung von
Ausstiegsmodellen" unter den Bedingungen der Rente mit 67 in Angriff genommen wird: Lang- und
Lebensarbeitszeitkonten statt wochennaher Arbeitszeitverkürzung wurden dafür in den letzten
Jahren von ihren Verfechtern schon kräftig in Stellung gebracht.
All das deutet darauf hin, dass es
zumindest bei der IG Metall ein Arrangement zwischen Regierungs- und Gewerkschafts-Sozialdemokratie
gibt: "Tausche Verlängerung der Altersteilzeitregelungen gegen Rücknahme der
gesellschaftlichen Mobilisierung." Schon heute werden die BR-Spitzen der Autobetriebe nicht müde,
auf derartige positive Signale aus der SPD hinzuweisen. Und für neuerliche Wahlempfehlungen der SPD
als kleineres Übel könnte das dann auch allemal gut sein.
Die Linke in den Gewerkschaften muss
dagegen den Kampf gegen die Rente mit 67 als ein Programm gegen die Verlängerung der Lebensarbeitszeit
und gegen die Absenkung der Renten hoch halten. Eben weil es ein branchenübergreifendes Thema mit
verbindendem Potential ist, und weil mit der Verabschiedung des Gesetzes nicht sofort wirkende Fakten
geschaffen werden, die via "Gewöhnung" weitere Mobilisierung erschweren würden.
Bleibt noch zu hoffen und daran zu
arbeiten, dass die anlaufende Metall-Tarifrunde unter den heutigen günstigen ökonomischen
Bedingungen von der IG Metall konsequent genug genutzt wird, um mit Kampf eine Lohnerhöhung
durchzusetzen, die in den Betrieben als Erfolg erlebt wird. Solche Erfolgserlebnisse sind notwendig, damit
das Vertrauen in die eigene Kraft seinen heutigen Tiefpunkt überwindet und wieder zunimmt.
Tom Adler
Informationen und Meinungen sollten keine Waren sein. Und Geld ist ein Fetisch.
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