SoZ - Sozialistische Zeitung

Zur SoZ-Homepage SoZ - Sozialistische Zeitung, April 2007, Seite 07

Die BenQ-Pleite

Ein Rückblick

Ende Januar wurde das letzte Handy im niederrheinischen Werk von BenQ Kamp- Lintfort fertiggestellt. Zum Schluss waren noch 165 Mitarbeiter in der Produktion übrig geblieben. Markus Grolms war einer von ihnen. Als die SoZ im November 2006 mit ihm sprach, setzte die Belegschaft noch Hoffnungen auf den Insolvenzverwalter. "Mit einem Lohnkostenanteil von 5% kann man nicht sagen, wir wären nicht wettbewerbsfähig."
Die Mehrzahl der Kollegen ist in eine Transfergesellschaft gekommen. Das geht zwölf Monate, es gibt 84% vom letzten Netto für "Qualifizierung und Vermittlung". Wer am Ende keinen Job hat, kriegt eine ordentliche Abfindung, wer schnell einen Job findet kriegt eine "Turboprämie" in Höhe von 24000 Euro. Wer nach zwölf Monaten keinen Job hat kriegt ein Jahr Arbeitslosengeld, danach droht Hartz IV.
MARKUS GROLMS hat mit Kollegen das Soli- Zelt vor dem Werkstor aufgebaut, das Zentrum der Protestaktionen der Belegschaft. Im folgenden Beitrag schildert er, wie er die Wochen des Kampfes erlebt hat.

Es gibt Dinge, die sieht man kommen, lange bevor sie uns wirklich erreichen. Sind sie dann da, ist der Schock dennoch groß, als hätte man nichts geahnt. Die BenQ-Pleite war so eine Sache. Von Siemens systematisch in die Krise gefahren, zur Bestattung an BenQ übergeben, haben wir alle geahnt, dass diese Geschichte nicht gut ausgehen wird.
Als wir unsere erste Nacht im Solizelt vor dem Werkstor verbringen wollten, waren Andreas und ich noch geschockt und fassungslos. Dabei hatten wir uns in den letzten Monaten beinahe täglich gesagt, dass es nicht mehr lange gut gehen werde. Weil das 12 Meter lange Solizelt erst am nächsten Vormittag kommen sollte, hatte Martin von der KAB uns zwei Gartenpavillons gebracht. Die haben wir dann aufgebaut, um endlich einen Anfang zu machen und das Gefühl von Hilflosigkeit und Ausgeliefertsein abzuschütteln.
In zwei Jahren ist hier alles dicht, hatte unsere Kollegin Elvira Thiel im Juni 2004 dem Spiegel gesagt. Der hatte an unserem Beispiel zeigen wollen, warum die Deutschen wieder länger arbeiten müssen, alle Deutschen. Hätte Elvira gesagt, dass sie schon spüre, wie es aufwärts geht, sie hätte bestimmt in so einem "Du bist Deutschland"-Spot mitmachen dürfen. Durfte sie aber nicht. Dabei hatte selbst der ewig nörgelnde Stoiber Kamp-Lintfort zum Musterbeispiel für ganz Deutschland erklärt — ein Glück, dass nur Elvira Recht behalten hat.

Das Management hat alles im Griff

"Die fahren den Laden gegen die Wand", konnte man spätestens seit Ende 2004 immer wieder hören, wenn wir in der Halle über das gesprochen haben, was sich in unserem Betrieb abspielte. Das Management aber wollte uns weiter glauben machen, dass alles unter Kontrolle sei und der Durchbruch so nah wie nie zuvor. "Wir wollen stärker wachsen als der Markt", hatte einer unserer vielen Vorstände damals gesagt. Solche Rhetorik hat irgendwann keinen von uns mehr interessiert, das konnte man einfach so stehen lassen. Umfallen wie der berühmte Sack Reis würde es ohnehin von allein. Uns allen blieb aber nichts anderes, als trotz böser Vorahnungen weiterzumachen.
Es ist genau diese Art von Widersprüchen, an denen man kaputt geht. Täglich antreten, um Gas zu geben, damit alles gut wird, immer im Hinterkopf, dass die letzte Messe längst gelesen ist. Reinhauen und am Riemen reißen, vor allem dann, wenn mal wieder ein neuer Vorstand mit Powerpoint-kompatiblen Wortschnipseln goldene Zeiten heraufbeschwören wollte.
"Wollen die uns eigentlich verarschen?", habe ich mich bei solchen Gelegenheiten immer wieder gefragt. Gerne hätten wir mal einen der großen Macher mit in die Halle genommen, nur um mal zu zeigen, wie die Wirklichkeit jenseits der Bildschirmpräsentation aussieht. Angst war wohl die zuverlässigste Größe hier in Kamp-Lintfort in den letzten Jahren, von keiner Kennziffer erfasst, in keiner Präsentation erwähnt. So ist das, Geräte konnte man einfach umpolen, die Angst aus den Köpfen der Menschen zu bringen, dafür hätte es weit mehr gebraucht.
"Was soll ich mitbringen?", war das einzige, was Andreas entschlossen antwortete, als ich ihn gefragt hatte, ob er diese erste Nacht im Zelt mit mir verbringen will. Diese Art von Entschlossenheit war es, die ich so oft vermisst hatte, wenn ich mich während einer Betriebsversammlung mal wieder fragte, warum wir eigentlich nicht einfach das eigens für diesen Zweck errichtete Zelt abreißen: Kamp-Lintfort und die Zelte als Vorboten schlechter Nachrichten.

Vom Werk zur Industrieruine

Außer den Wachleuten war niemand am Werkstor an jenem Abend. Auch nicht die Medien, die uns in den kommenden Wochen täglich begleiten würden. In diesem Moment fand ich das auch ganz gut so. Ich stellte mir vor, wie sich Maria Gresz in einer Anmoderation über die beiden Protestler in den Gartenpavillons lustig machen würde, "als planten sie ein Grillfest gegen die Globalisierung".
So ähnlich hätte das lauten können. Doch blieb uns derartiger Zynismus der Medien in den nächsten Wochen erspart. Vermutlich lag dies einfach daran, dass der Fall BenQ neue Maßstäbe gesetzt hatte, Maßstäbe für eine Verkommenheit, an die sich die Deutschland AG erst noch gewöhnen muss und vielleicht auch gewöhnen wird. Wir freilich haben uns keine Illusionen darüber gemacht, was wir erreichen können. BenQ sollte eine Art Arbeiterklappe sein: "Rein mit ihnen und dann ab dafür." Soweit der Plan. Diesen zumindest wollten wir ein wenig durchkreuzen, das war für uns Grund genug, in einem Zelt vor dem Werkstor zu wohnen.
Aber auch die letzte Betriebsversammlung unter der Flagge von Siemens fand in einem Zelt statt. 345 Kolleginnen und Kollegen hatten kurz zuvor erfahren, dass sie nicht Mitarbeiter von BenQ werden würden. Unser Werksleiter und selbsternannter "Eisbrecher", August Krauss, beteuerte, dass man eben hinnehmen müsse, was man nicht ändern könne. Das kann man von der Kommandobrücke des Eisbrechers so sehen. Taiwanesische Wochen in der Kantine würde es geben, Taiwanesische Wochen, unfassbar. Trotzdem gab es Kollegen, die noch geklatscht haben.
Als Andreas mit seinem Vectra eintraf, hatte er ein paar Flaschen Astra-Pils im Gepäck und einen Kopf voller Gedanken an das Baby, das Jenny und er in ein paar Wochen bekommen würden. Robin-Jan würde ein Solizelt-Baby werden, aber das konnten wir noch nicht wissen, während wir auf den Kollegen Heinz warteten. Er war durch und durch Metaller und war viele Jahre Betriebsratsvorsitzender in einer Fabrik in Mülheim gewesen. Sie hatten dort Gabelstapler gebaut, bis die Krankenkasse den Insolvenzantrag gestellt hatte. Nach ein paar Monaten hatte Heinz als letzter die Fabrik verlassen. Globalisierung vor Ort erleben, das kann man in Deutschland nunmehr jeden Tag.
"Ihr holt euch den Tod auf den kalten Steinen", hatte Heinz gemeint und sich mit zwei Gartenliegen, Decken und der silbernen Thermoskanne Kaffee auf den Weg gemacht. So fanden wir uns dann unter dem Dach des grün-gestreiften Pavillons wieder, es war die "erste Reihe eines neoliberalen" Multiplexkinos. "Das wär ein Film, den würdest du nur unter der Ladentheke kriegen", meinte Andreas mit Blick auf die menschenleeren Gebäude. "Vielleicht ist Globalisierung genau das, ein makroökonomischer Porno, bei dem der Shareholder immer oben ist."
Von unserem Zelt hatten wir freie Sicht auf eine zukünftige Industrieruine. "Vielleicht wird sie mal Bestandteil der Route Industriekultur", dachte ich. Wer auf der Autobahn das Ruhrgebiet durchquert, passiert alle paar Kilometer eines der Hinweisschilder, die eigentlich Grabsteine sind. Nimmt man eine Ausfahrt, dann kommt man in Wohngebiete, in denen echte Globalisierungsexperten wohnen, auf der Suche nach Arbeit, auf der Suche nach Hoffnung und Zukunft, und wenn sie noch nicht aufgegeben haben, dann suchen sie auch noch morgen. Und in der Zeitung lesen sie von "Fördern und Fordern", diese zynischen Phrasen von Politikern, denen nichts mehr einfällt. Irgendwann gibt man das Lesen einfach auf, genauso wie das Lesen der Kontoauszüge.
Wir erzählten uns unsere Geschichte, wie wir es wohl bis zur Rente schaffen würden, von unseren Plänen und den Krediten, die wir mit Blick auf die Zukunftstechnologie aufgenommen hatten. Das freilich war vor unserer Ausbildung zu Globalisierungsexperten, die wir im Januar mit unserer Kündigung abschlie?en würden. "Das Ding wird fliegen", hatte unser "liebenswerter" Ex-Personalchef gesagt, der nicht mit uns zu BenQ gegangen war, weil er eine reizvollere Aufgabe im Hause Siemens gefunden hatte. Wer sagt da schon nein. "Das Ding wird fliegen", wir mussten lachen. Noch so eine Phrase von einem, der uns das Ei an die Backe pellen wollte, das alles gut werde, während er selber im Laufschritt das Weite suchte.
"Na Jungs, alles klar?", fragte der Mann vom Wachdienst jede Stunde auf seinem Rundgang. Den macht er seit Jahren fast jede Nacht, um seine sichere Rente aufzubessern. Irgendwann haben wir dann einfach gepennt. Ich kann mich nicht erinnern, ob ich etwas geträumt habe. Nichts verlernt man schneller im Ruhrgebiet als das Träumen, entlang der Route der Industriekultur.

Markus Grolms

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