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Der Kapitalismus bietet keine lebenswerte Perspektive. Im Grunde wird das
heute in jedem Schulbuch eingeräumt. Die bürgerlich-patriarchalische Klassengesellschaft, die
Produktion für Profit, das System der verallgemeinerten Konkurrenz, die Bestie mit den vielen Namen,
sie lebt nur noch von TINA, von der Behauptung: "There is no alternative es gibt keine
Alternative".
"Sozialismus des 21.Jahrhunderts"
bezeichnet den Versuch, die Glaubwürdigkeitskrise der sozialistischen Alternative zu überwinden.
Die Mängel des "Sozialismus des 20.Jahrhunderts" sind die erste Ursache dieser Krise.
Es gab im vorigen Jahrhundert sozialistisch
geführte Massengewerkschaften und Genossenschaften, große sozialdemokratische und später
auch kommunistische Massenparteien, die viel erkämpften. Es gab sogar eine ganze Reihe von
Ländern, in denen die kapitalistische Marktwirtschaft abgeschafft war, in denen weder große
Produktionsmittel noch Arbeitskräfte "frei" gehandelt werden konnten.
Die große Mehrheit der Menschen in
diesen Organisationen und Staaten blieben jedoch Objekte der Entscheidungen anderer, Untertanen von
Führungen und Apparaten, Spielbälle von Partei- und Staatsräson. Das alles war weit entfernt
vom ursprünglichen marxistischen, sozialistischen, kommunistischen Vorhaben, "alle
Verhältnisse umzuwerfen, in denen der Mensch ein erniedrigtes, ein geknechtetes, ein verlassenes, ein
verächtliches Wesen ist", wie Marx gesagt hat und wie es auch das Motto dieser Konferenz ist.
Die neue Erfahrung der bolivarianischen
Revolution in Venezuela bringt nicht nur deshalb neue Luft zum Atmen, weil Hugo Chávez dem
mächtigen US-Imperium die Stirn bietet. Ihre Anziehungskraft rührt daher, dass hier den
Besitzlosen und den Ärmsten der Armen bedeutende materielle Mittel zur Verfügung gestellt werden,
damit sie Versorgung und Infrastruktur, Gesundheitsdienste und Medien selbst organisieren. Sie tun dies mit
beeindruckendem Erfolg. Darüber hinaus werden Belegschaften ermutigt, in den Betrieben die Kontrolle
über Entscheidungen und Vorgänge auszuüben, die ihre Arbeits- und Lebensbedingungen
betreffen.
Noch ist nichts entschieden in Venezuela,
noch ist die Macht der herrschenden Klasse dort nicht gebrochen. Doch an der Idee der Selbstorganisation
von unten gilt es anzuknüpfen. Wenn viele Menschen gemeinsam die Fremdbestimmung durchbrechen,
entsteht Gegenmacht und letztlich eine zum bürgerlichen Staat alternative Macht, die den Keim des
Absterbens der Herrschaft von Menschen über Menschen in sich trägt.
So charakterisierten Marx und Engels die
Pariser Kommune von 1871, und das ist mit sozialistischer Rätedemokratie gemeint. Auch Rosa Luxemburg
verstand unter der "Diktatur des Proletariats" die sozialistische Demokratie. Später wurde
der Marxismus zur Rechtfertigungslehre herrschender Partei- und Staatsapparate umgemodelt. Nichts hat ihm
mehr geschadet. Die Herrschaft der assoziierten Produzenten und Produzentinnen sollte laut Marx freie
Individuen hervorbringen, die ihre gesellschaftlichen Angelegenheiten gemeinschaftlich regeln und ihre
Fähigkeiten frei entfalten. Das Ziel muss auch die Mittel regieren, mit denen es erkämpft wird.
Heute gilt es die Mobilisierung,
Eigenaktivität und Selbstorganisation der für ihre Rechte und Interessen kämpfenden
Beschäftigten und Ausgegrenzten systematisch zu fördern. Morgen muss die sozialistische
Revolution für die große Mehrheit der Menschen nicht weniger, sondern tausendmal mehr
demokratische Rechte und Freiheiten schaffen, als es die demokratischste der bürgerlichen Republiken
je kann.
Sie muss die Befriedigung der elementaren
Bedürfnisse jenseits von Markt und Existenzkampf garantieren und die Arbeitszeit, die aufgewendet
wird, den eigenen Lebensunterhalt zu verdienen, radikal verkürzen. Alle Menschen müssen die
materielle Möglichkeit erhalten, einen Teil der ihnen verbleibenden Arbeitszeit der Selbstverwaltung
im Betrieb und im Gemeinwesen zu widmen. Alle müssen an politischen Entscheidungsprozessen teilhaben
können.
Einige bürgerliche Kommentatoren
sprechen heute von "Revolution", nämlich von der notwendigen Klimarevolution. Sie bleiben
dabei dem Waren- und Geldfetischismus verhaftet. Wie viel kann man mit dem ökologischen Kapitalismus
verdienen? Wieviel Ökosteuer wird der zahlen müssen, der unsere natürlichen Lebensgrundlagen
zugrunde richtet?
Schon Marx wusste, dass die kapitalistische
Produktionsweise die Produktivkräfte nur entwickelt, indem sie zugleich die Erde und die arbeitenden
Menschen ruiniert. Die Erde aber kann nur menschenwürdig erhalten und gestaltet werden durch die
assoziierten Produzenten und Produzentinnen selbst, denen es nicht um Profit und Niedermachen von
Konkurrenten geht, sondern um die Befriedigung menschlicher Bedürfnisse in einer wohnlichen Welt.
Niemand weiß, ob das 21.Jahrhundert
den Durchbruch zu einer menschlichen, solidarischen, sozialistischen Welt bringen wird. Die Suche nach
Wegen zum Ziel und nach der Ausgestaltung des Ziels ist nicht abgeschlossen. Neue Generationen werden sie
fortsetzen. Doch gibt es auch Gewissheiten:
Die Alternative zu einer
sozialistischen Perspektive ist der Zerfall der kapitalistischen Gesellschaften und elementarer
zivilisatorischer Fundamente des menschlichen Zusammenlebens.
Eine sozialistische Gesellschaft kann
nicht mit einem Einparteiensystem oder mit der gesetzlich verbrieften Führungsrolle einer Partei
aufgebaut werden.
Sozialistische Demokratie bedeutet
nicht nur Selbstverwaltung der Betriebe, sondern auch die tätige Mitwirkung der
Bevölkerungsmehrheit an den Entscheidung über die großen Richtungsfragen der Politik,
einschließlich der Wirtschaftspolitik.
Manuel Kellner
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