SoZ - Sozialistische Zeitung

Zur SoZ-Homepage SoZ - Sozialistische Zeitung, April 2007, Seite 13

Wie entsteht

eine neue Kultur?

Ist Kultur wirklich nur ein "weicher Standortfaktor" für Städte und Regionen, der Touristen und Unternehmen anziehen kann? Tatsächlich sind weite Sektoren des kulturellen Lebens heute darauf angelegt, dem Teil der Menschheit zu Abendunterhaltung zu verhelfen, der gut in Brot und Arbeit steht und sich Fernreisen leisten kann. Die anderen müssen sich glücklich schätzen, über ein Fernsehgerät am Passivkonsum von konfektionierter virtueller Unkultur teilzuhaben.
In der Geschichte der Menschwerdung — wohl schon beim Neandertaler — haben neben Kooperation bei der Arbeit auch spielerische Kulturrituale eine Rolle gespielt. In ihnen drückten sich gemeinsam empfundene Harmonie und Schönheit aus, welche die ethische Einbindung der Individuen in die Gemeinschaft reflektierte und zugleich entwickelten. Wenn heute weder die Arbeitswelt noch die Kultur integrative Funktionen erfüllen, kann die Gesellschaft nur in Barbarei versinken. Die Rede von Demokratie ist Geschwätz, wenn diese nicht im Zusammenhang mit Bildung und Kultur für alle konzipiert ist.
Eine künftige Linkspartei müsste ihr ökonomisches Programm als Teil einer glaubhaft realisierfähigen neuen Menschheitszivilisation darstellen. Deren kulturellen Inhalt soll sie nicht selbst bestimmen. Aber sie muss es verstehen, um sich herum ein intellektuelles und kulturelles Klima zu schaffen, in dem die Züge dieser neuen Zivilisation sichtbar werden. Eine beliebte Rockband zum Wahlkampf zu engagieren, reicht nicht aus.
Es fehlt der neoliberalen Gesellschaft nicht an fähigen Intellektuellen und Künstlern mit linken Überzeugungen, sondern vielmehr an institutionellen Voraussetzungen, welche die systematische Ausarbeitung, Vernetzung und Popularisierung von Teilprodukten der neuen Kultur ermöglichen. Diese Institutionen müssen nicht neu erfunden werden. Sie haben als Kulturfinanzierung der öffentlichen Hand im Rheinischen Kapitalismus existiert, waren aber offenbar nur als Konkurrenz zum Realsozialismus gedacht.
Es gehört zu den bedeutendsten Defiziten der PDS/Linkspartei, dem Wegbrechen dieser institutionellen Voraussetzungen nach 1989 kaum Beachtung geschenkt zu haben und stattdessen in hilfloser Attitüde um Unterstützung bei Intellektuellen und Künstlern zu betteln. Ohne nennenswerten Erfolg. Um daran etwas zu ändern, müsste sich eine künftige Linkspartei permanent und hörbar dafür einzusetzen, dass "Kultur für alle" zur Pflichtaufgabe des Bundes, der Länder und der Kommunen ernst genommen wird.
Nicht nur die Arbeitsstätten und Arbeitsmittel der Wissenschaftler und Künstler sind Produktionsmittel, sondern auch die Medien, die ihre Produkte zu den Menschen bringen — oder sie ihnen vorenthalten. Anstatt darauf zu hoffen, dass die bestehenden Medien ihre Politik ändern und Linke wieder mehr ins Licht der Öffentlichkeit bringen, müsste die Linkspartei sich mit den Besitz- und Machtverhältnissen in den Medien und den Folgen für die Gesellschaft intensiv öffentlich auseinandersetzen.
Diese Kulturkritik muss sie nicht selber leisten, aber sie muss sichtbare, d.h. große Anstrengungen unternehmen, um sie zu unterstützen und zu organisieren (z.B. anspruchsvolle Zeitschriften, Sender usw. schaffen). Sie müsste jedesmal vor Ort, aber auch in den Parlamenten laut und öffentlich gegen jeden Abbau kultureller Strukturen protestieren — und zwar nicht nur, wenn es um sog. Leuchttürme wie Theater und Opern geht. Dass Linke selber an Mittelkürzungen für Bildung und Kultur beteiligt sind, muss sofort aufhören.
Aber die parlamentarische Ebene reicht nicht aus: Wenn eine Kinderbibliothek geschlossen werden soll, muss eine Linkspartei langfristigen Bürgerprotest erzeugen, wobei engstens mit den Geschädigten zusammenzuarbeiten ist. Das sind nicht nur die Mitarbeiter der Bibliothek, sondern auch ihr Publikum und die Autoren, deren Bücher an diesem Ort aus dem Verkehr gezogen werden.
Entschlossenes Eintreten für den Ausbau der kulturellen Infrastruktur für alle ist die Grundvoraussetzung, dass sich Intellektuelle überhaupt wieder für ein linkes Engagement interessieren. Für eine linke Perspektive, die rein ökonomisch formuliert ist, werden sie es nicht tun, denn sie kommen selber darin nicht vor. Ohne von der öffentlichen Hand geförderte kulturelle Infrastruktur wird eine neue soziale Bewegung auch keine Räume haben, in denen sie sich darstellen und mit den verschiedenen Schichten der Bevölkerung kommunizieren kann. Ohne die materiellen Grundlagen für die Entwicklung neuer kultureller Kontexte — außerhalb der heutigen Kulturindustrie — wird es keine Linkswende geben.

Sabine Kebir

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