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Ist Kultur wirklich nur ein "weicher Standortfaktor" für
Städte und Regionen, der Touristen und Unternehmen anziehen kann? Tatsächlich sind weite Sektoren
des kulturellen Lebens heute darauf angelegt, dem Teil der Menschheit zu Abendunterhaltung zu verhelfen,
der gut in Brot und Arbeit steht und sich Fernreisen leisten kann. Die anderen müssen sich
glücklich schätzen, über ein Fernsehgerät am Passivkonsum von konfektionierter
virtueller Unkultur teilzuhaben.
In der Geschichte der Menschwerdung
wohl schon beim Neandertaler haben neben Kooperation bei der Arbeit auch spielerische Kulturrituale
eine Rolle gespielt. In ihnen drückten sich gemeinsam empfundene Harmonie und Schönheit aus,
welche die ethische Einbindung der Individuen in die Gemeinschaft reflektierte und zugleich entwickelten.
Wenn heute weder die Arbeitswelt noch die Kultur integrative Funktionen erfüllen, kann die
Gesellschaft nur in Barbarei versinken. Die Rede von Demokratie ist Geschwätz, wenn diese nicht im
Zusammenhang mit Bildung und Kultur für alle konzipiert ist.
Eine künftige Linkspartei müsste
ihr ökonomisches Programm als Teil einer glaubhaft realisierfähigen neuen Menschheitszivilisation
darstellen. Deren kulturellen Inhalt soll sie nicht selbst bestimmen. Aber sie muss es verstehen, um sich
herum ein intellektuelles und kulturelles Klima zu schaffen, in dem die Züge dieser neuen Zivilisation
sichtbar werden. Eine beliebte Rockband zum Wahlkampf zu engagieren, reicht nicht aus.
Es fehlt der neoliberalen Gesellschaft
nicht an fähigen Intellektuellen und Künstlern mit linken Überzeugungen, sondern vielmehr an
institutionellen Voraussetzungen, welche die systematische Ausarbeitung, Vernetzung und Popularisierung von
Teilprodukten der neuen Kultur ermöglichen. Diese Institutionen müssen nicht neu erfunden werden.
Sie haben als Kulturfinanzierung der öffentlichen Hand im Rheinischen Kapitalismus existiert, waren
aber offenbar nur als Konkurrenz zum Realsozialismus gedacht.
Es gehört zu den bedeutendsten
Defiziten der PDS/Linkspartei, dem Wegbrechen dieser institutionellen Voraussetzungen nach 1989 kaum
Beachtung geschenkt zu haben und stattdessen in hilfloser Attitüde um Unterstützung bei
Intellektuellen und Künstlern zu betteln. Ohne nennenswerten Erfolg. Um daran etwas zu ändern,
müsste sich eine künftige Linkspartei permanent und hörbar dafür einzusetzen, dass
"Kultur für alle" zur Pflichtaufgabe des Bundes, der Länder und der Kommunen ernst
genommen wird.
Nicht nur die Arbeitsstätten und
Arbeitsmittel der Wissenschaftler und Künstler sind Produktionsmittel, sondern auch die Medien, die
ihre Produkte zu den Menschen bringen oder sie ihnen vorenthalten. Anstatt darauf zu hoffen, dass
die bestehenden Medien ihre Politik ändern und Linke wieder mehr ins Licht der Öffentlichkeit
bringen, müsste die Linkspartei sich mit den Besitz- und Machtverhältnissen in den Medien und den
Folgen für die Gesellschaft intensiv öffentlich auseinandersetzen.
Diese Kulturkritik muss sie nicht selber
leisten, aber sie muss sichtbare, d.h. große Anstrengungen unternehmen, um sie zu unterstützen
und zu organisieren (z.B. anspruchsvolle Zeitschriften, Sender usw. schaffen). Sie müsste jedesmal vor
Ort, aber auch in den Parlamenten laut und öffentlich gegen jeden Abbau kultureller Strukturen
protestieren und zwar nicht nur, wenn es um sog. Leuchttürme wie Theater und Opern geht. Dass
Linke selber an Mittelkürzungen für Bildung und Kultur beteiligt sind, muss sofort aufhören.
Aber die parlamentarische Ebene reicht
nicht aus: Wenn eine Kinderbibliothek geschlossen werden soll, muss eine Linkspartei langfristigen
Bürgerprotest erzeugen, wobei engstens mit den Geschädigten zusammenzuarbeiten ist. Das sind
nicht nur die Mitarbeiter der Bibliothek, sondern auch ihr Publikum und die Autoren, deren Bücher an
diesem Ort aus dem Verkehr gezogen werden.
Entschlossenes Eintreten für den
Ausbau der kulturellen Infrastruktur für alle ist die Grundvoraussetzung, dass sich Intellektuelle
überhaupt wieder für ein linkes Engagement interessieren. Für eine linke Perspektive, die
rein ökonomisch formuliert ist, werden sie es nicht tun, denn sie kommen selber darin nicht vor. Ohne
von der öffentlichen Hand geförderte kulturelle Infrastruktur wird eine neue soziale Bewegung
auch keine Räume haben, in denen sie sich darstellen und mit den verschiedenen Schichten der
Bevölkerung kommunizieren kann. Ohne die materiellen Grundlagen für die Entwicklung neuer
kultureller Kontexte außerhalb der heutigen Kulturindustrie wird es keine Linkswende
geben.
Sabine Kebir
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